Bewertung

Review: #4.06 In die Ecke getrieben

#4.06 In die Ecke getrieben thematisiert insbesondere das verzerrte Bild, das man mitunter von sich selbst oder von einer bestimmten Situation hat. Jesse denkt weiterhin, dass er Mike bei dem fingierten Überfall das Leben gerettet hat und spätestens nun ein vollwertiges Mitglied in den engsten Kreisen rund um Gus' Drogengeschäfte ist. Walter ist unterdessen nicht nur irrtümlicherweise der festen Überzeugung, dass alles, was er tut, zum Schutze seiner Familie ist, sondern sorgt durch hanebüchene Entscheidungen auch auf vollkommen unnötige Art und Weise für Spannung zwischen Skyler bzw. Gus und sich selbst.

"I am not in danger, Skyler. I am the danger."

Dabei sind die unbedachten Handlungen Walters in dieser Episode nicht einmal halb so schlimm wie die durch und durch dumme Äußerung Walters beim gemeinsamen Essen mit u.a. Hank, bei dem er ihm indirekt zu verstehen gibt, dass Gale unmöglich Heisenberg sein kann. Walter hat sogar das Kunststück vollbracht, derart offensichtlich zu agieren, dass selbst Skyler hinter seinen Äußerungen mehr sieht, als lediglich ernst gemeinte Tipps für Hanks Untersuchung. Skyler ahnt so langsam, welche Kreise Walters Machenschaften ziehen und fragt ihn gerade heraus, ob dieser in Gefahr sei. Was folgt, ist ein peinlicher Selbstdarstellungsmonolog Walters, bei dem er seinen Gewinn und die finanzielle Größe dessen, was er tut, mit großen börsennotierten Unternehmen vergleicht und seine Unersetzbarkeit in dieser Unternehmung herausstellt. Ja, Walter ist definitiv stolz auf das, was er dort tut. Skyler fällt dies natürlich sofort auf, worauf sie verständlicherweise entsprechend schockiert reagiert und zusammen mit ihrer Tochter Holly das Haus verlässt, ohne irgendjemandem Bescheid zu geben. Nur Walter kann sich offensichtlich selbst noch nicht eingestehen, dass er zunehmend Gefallen an dem ehemaligen Mittel zum Zweck findet. Skyler flieht regelrecht und möchte anhand eines Münzwurfs entscheiden, wohin sie weiter fliehen wird. Doch als ihr die Entscheidung des Schicksals nicht gefällt, nimmt sie eben jenes selbst in die Hand und entscheidet sich bewusst dafür, zurückzukehren – vorerst. Eine ungemein starke Szene, die den inneren Kampf und die Verzweiflung, der Skyler immer wieder ausgesetzt ist, perfekt wiedergibt.

Besonders eindrucksvoll wirkt der Kontrast zwischen dem heutigen Walter und dem Walter in den ersten Episoden von "Breaking Bad", wenn man die Interaktion mit Walters früherem Chef im Autowaschsalon, Bogdan, beobachtet. Bogdan kennt nur den zurückhaltenden und geradezu ungesund folgsamen Walter, wohingegen dieser durch die Erfahrungen der letzten Monate mittlerweile kaum weiter von seinem damaligen Ich entfernt sein könnte. Bogdan hält Walter zunächst einen Vortrag darüber, dass man als Chef hart zu sein habe, um ihm im Anschluss just diese Fähigkeit abzusprechen und zu verkünden, dass er lieber mit Walters Frau Skyler, die diese Eigenschaft offensichtlich aufweist, Geschäfte macht. Man merkt anhand Walters Körpersprache zwar sehr deutlich, dass man es hier nicht mehr mit Walter von damals zu tun hat, aber erst gegen Ende wird dies auch Bogdan langsam aber sicher bewusst, als Walter darauf besteht, den ersten Dollar, den Bogdan mit dem Salon verdiente, an sich zu nehmen. Wäre Bogdan noch länger im Salon gewesen, so hätte er noch den Moment mitbekommen, an dem Walter eben diesen Dollar nutzt, um sich am Automaten ein Getränk rauszulassen – einer dieser kleinen Triumphe, die Walter mittlerweile offensichtlich des Öfteren einfach braucht.

"Someone has to protect this family from the man who protects this family."

Noch diffiziler wird die Beziehung zwischen Walter und Skyler, als Walter, Jr. ins Spiel kommt. Walter, Jr., dem weisgemacht wurde, dass sein Vater ein Spielproblem hat, hält mittlerweile seine Mutter für diejenige, die an den Streitigkeiten zwischen ihr und Walter schuld ist. Sein Vater habe ja schließlich eine Krankheit – und nein, damit ist nicht der Krebs gemeint, sondern die vermeintliche Spielsucht. Walter hingegen, und hier scheint seine Selbstwahrnehmung endlich einmal wieder intakt zu sein, versucht seinem Sohnemann klar zu machen, dass seine Spielsucht (=Tätigkeit als Methfabrikant) nicht etwas ist, das er ohnmächtig in dieser Form als gottgegeben zu akzeptieren hat, sondern eine Aneinanderreihung von bewussten Entscheidungen war. Die Mischung aus dem Unwillen, seiner Frau den schwarzen Peter zuzuschieben und der Einsicht, dass er letzten Endes reichlich wenig tut, das tatsächlich gegen seinen eigenen Willen ist, ist durchaus faszinierend.

Das Problem hierbei ist nur, dass Walter seinen eigenen Worten auch einmal Taten folgen lassen sollte. Denn er sabotiert durch die Entscheidung, seinem Sohn ein sündhaft teures Auto zu schenken, komplett die Beziehung zwischen Skyler und ihrem Sohn und festigt – wohl unabsichtlich, aber definitiv leichtsinnig – ihren Status als der "böse" Elternteil nur noch weiter. Manchmal ist es tatsächlich beängstigend, wie unbedacht Walter aus einem Impuls heraus handeln kann. Wie kann man allen Ernstes seinem Sohn ein kostspieliges Geschenk machen, wenn man offiziell doch gar nicht die nötigen finanziellen Mittel dafür aufweist? Wie kann man tatsächlich der Meinung sein, dass die Ehefrau diese Idee auch nur ansatzweise unterstützt? Wie soll Walter denn sein hehres Ziel, seine Familie zu beschützen, realisieren, wenn er derart offensichtlich Geld verprasst und damit auf sich aufmerksam macht? Und wie genau hat sich Walter die Dynamik zwischen Walter, Jr. und Skyler vorgestellt, wenn Skyler diejenige sein muss, die Walters Fehler korrigiert und das Auto zurückbringen lässt? Schön, dass wenigstens Skyler bewusst ist, wie aus dem rationalen Walter ein zunehmend impulsiv agierender Mann wird.

"Why me?" - "I'd like to think I see things in people."

Während Walter also alle Hände voll zu tun hat, all das, was er die vergangenen Wochen, Monate und Jahre aufgebaut hat, langsam aber sicher zu zerstören, ist Jesse weiterhin mit Mike unterwegs. Jesse, der seine Entzugserscheinungen vor Mike nicht verstecken kann, und Mike, der sich für seine Verhältnisse geradezu fürsorglich um Jesse kümmert, haben einen Auftrag: Nachdem ein Kühllaster von Los Hermanos Pollos überfallen wurde und die Angreifer anschließend einen markierten Eimer aus dem Lastwagen entnahmen, müssen die beiden mehr über die Auftraggeber herausfinden. Dazu sollen sie ein Haus mit kleinen Ganoven observieren, in dem zwei Junkies das blaue Meth aus eben jenem Eimer weiterverkaufen sollen. Mike hält sich pflichtbewusst und aufgrund der Information, dass die beiden Dealer anscheinend bewaffnet sind, an Plan A. Jesse hingegen favorisiert Plan B, bei dem er eine deutlich aktivere Rolle einnimmt.

Der in den Auswirkungen und Ausprägungen der Sucht nach Crystal Meth durchaus bewanderte Jesse schnappt sich also kurzerhand eine Schaufel und beginnt, auf dem Anwesen der zwei ein Loch zu buddeln. Damit lockt er einen der beiden nach draußen, der ganz fasziniert dem Geschehen folgt und auf seine Frage, was Jesse da eigentlich mache, nur darauf aufmerksam gemacht wird, dass er das schon wisse. Was beim Zuschauer zu einem "Nein, das weiß er nicht! Woher auch?"-Aufschrei führt, überzeugt den offensichtlich nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindlichen Kleinganoven derart, dass sein Misstrauen verschwindet und er schließlich sogar das Graben für Jesse übernimmt. Damit ist Junkie Nummer 1 fürs Erste aus dem Spiel und schnell gelingt es Jesse mit tatkräftiger Unterstützung von Mike auch, Junkie Nummer 2 unschädlich zu machen. Und tatsächlich: Im Haus der beiden Junkies befindet sich der Eimer mit Los Hermanos Pollos Aufmachung, auf ihm eine geschriebene Frage in spanischer Sprache, ob Gus und Co. nun bereit seien, zu reden – offensichtlich eine Nachricht von den Ganoven des Kartells. Während Mike einen Gegenschlag fordert, mahnt Gus zur Vorsicht und möchte zunächst einmal das Gesprächsangebot des Kartells annehmen. Nach seiner Unterhaltung mit Mike trifft Gus auf Jesse. Dieser fragt Gus, warum ausgerechnet er ausgewählt wurde, als Mikes Backup zu agieren, was Gus zu der Aussage veranlasst, dass er in Jesse Potential sieht. Ob dies der Wahrheit entspricht oder Gus Jesse durch sein indirektes Lob nur noch mehr an sich binden möchte, darf zumindest angezweifelt werden.

"This whole thing - all of this - it's all about me!"

Jesses Misstrauen der gesamten Situation Mike und Gus gegenüber wurde erst so richtig durch Walter genährt. Denn Walter kommt in einer vorherigen Unterredung mit Jesse zu dem Schluss, dass der Angriff auf Mike fingiert war und dies lediglich geschah, um einen Keil zwischen Jesse und ihn zu treiben. Walter macht einen durchaus paranoiden und im Endeffekt auch schrecklich ichbezogenen Eindruck auf Jesse, als er zu erläutern versucht, warum Gus dies alles wegen Walter tut. Aber letzten Endes scheint Walter recht zu haben und sorgt zudem dafür, dass Jesse wieder etwas mehr nötige Distanz zu Mike und Gus erhält. Während die Szene also insbesondere zeigt, dass Walter selbst dann nur bedingt vernünftig wirkt, wenn er rationale Gedanken fasst, ist sie auch immens wichtig für Jesse und wie er Gus und dessen Geschäft sieht. Zwar glaubt er nicht an das, was Walter von sich gibt, muss aber insgeheim zugeben, dass Vorsicht durchaus angebracht wäre.

Mit vernünftigen Handlungen seitens Walter ist es in dieser Episode aber nicht weit her, und so kommt Walter, als Jesse ihn wegen einer gemeinsamen Unternehmung mit Mike bei den Reinigungsarbeiten im Drogenlabor alleine lässt, auf die unsagbar dumme Idee, sich Unterstützung von drei Damen zu holen, die ein Stockwerk über ihm in der Wäscherei arbeiten. Ihm gelingt es tatsächlich, sie dazu zu bringen, dass sie ihm folgen, auch wenn dies erst mit ordentlich Bestechung und einer Unterhaltung mit Händen und Füßen gelingt. Daher erscheint es auf den ersten Blick auch unglaubwürdig, als man sie kurze Zeit später in Overalls sieht und wie sie dort durchaus komplizierte und sensible Apparaturen sauber machen. Wie um alles in der Welt ist es ihm gelungen, sie auf die notwendigen Kniffe ihrer derzeitigen Tätigkeit hinzuweisen, wenn er es kaum geschafft hat, sie nach unten zu bringen? Aber gut, so war wenigstens für etwas Humor gesorgt – und Brisanz, denn Gus ist Walters Aktion natürlich aufgefallen und er macht ihn auch direkt dafür verantwortlich, wie Walter später von Tyrus erfahren muss.

Fazit

Walter ist mittlerweile derart verblendet, dass er alles tut, um andere auf seine eigene Bedeutung aufmerksam zu machen. Er schenkt seinem Sohn einen teuren Wagen, ist sich für kleine Provokationen in Richtung Gus nicht zu schade und gibt sein verqueres Weltbild gegenüber seiner Frau preis. Auch wenn es kaum ein Geschehen gab, das die weitere Handlung in beachtenswertem Maße vorantreiben konnte, so lieferte #4.06 In die Ecke getrieben doch vor allem einen hochinteressanten Blick in den Geisteszustand des Hauptcharakters, der für ihn höchst gefährlich und für den Zuschauer vielversprechend sein dürfte.

Andreas K. - myFanbase

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