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Review: #5.10 Die Gnade der Mutter

Foto: Lena Headey, Game of Thrones - Copyright: 2015 Home Box Office, Inc. All rights reserved.
Lena Headey, Game of Thrones
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Im Vakuum der dem Finale folgenden "Game of Thrones"-freien Zeit wird Jon Snow dank der Drehbuchautoren David Benioff und D.B. Weiss zu Schrödingers Katze: Er stirbt. Oder: Er stirbt nicht. Sein möglicher Tod ist aber nur einer der verhältnismäßig vielen Cliffhanger, die uns #5.10 Mother's Mercy beschert.

Die Zukunft, ein dunkler Ort

Mit #5.10 endet die vielleicht durchwachsenste Staffel der Serie, die uns zwar auf der einen Seite brillante Gänsehaut-Momente wie den Sturm der White Walkers auf Hartheim oder Danys Ritt auf Drogon bescherte, auf der anderen Seite aber viele Chancen vertan hat. Etwa, wenn es darum ging, mit Dorne eine neue Szenerie und neue Figuren einzuführen, die dem Zuschauer ebenso ans Herz wachsen, wie die bereits bekannten Orte und Gesichter. Oder mit der Vergewaltigung von Sansa, die zwar einer der größten Schock-Momente der 5. Staffel ist - nach #5.06 Ungebeugt, Ungezähmt, Ungebrochen aber weder thematisiert wird, noch zu einer umfangreichen Figurenentwicklung führte.

Mother's Mercy verdeutlicht zudem, dass diese und die vorherigen neun Episoden mehr als Bindeglied zu verstehen sind, als das weitere Zurechtrücken der Figuren auf dem Schachbrett Westeros', mehr als Vorbereitung auf das große Finale, das uns nach zwei weiteren Staffeln erwartet. In den kommenden Folgen steht allen Charaktere eine ungewisse Zukunft in geografischer, aber auch eigener seelischer Fremde bevor. Stellvertretend sei hier etwa Sam genannt, der nach einer wunderbar rührenden Aussprache mit Jon ("I'm glad the end of the world is working out well for someone") die Nachtwache verlässt, um sich in Old Town zum Maester ausbilden zu lassen. Oder etwa Cersei, deren starke Fassade auf ihrem vom Hohen Spatz angeordneten 'Walk of Shame' nach und nach bröckelt.

Die Rache, ein gefährliches Spiel

Hauptmotiv der Folge ist nicht die titelgebende 'Gnade', sondern einmal mehr Rache. Drei Frauen töten in Mother's Mercy, um Menschen, die sie einst auf unterschiedliche Art liebten, zu rächen. Sechs Männer stechen auf einen vermeintlichen Verräter ein, um einen Vertrauensbruch zu rächen. Jede Rache geschieht aus einem tiefen, persönlichen Impuls heraus - doch jeder dieser emotionalen Ausbrüche lenkt von den eigentlichen Aufgaben ab, macht blind gegenüber den drohenden Gefahren.

Brienne kann endlich den Mord an Renly Baratheon rächen, indem sie dessen Bruder Stannis mit dem Schwert erschlägt. Dabei verlässt sie ihren Wachposten und bemerkt nicht, dass Sansa dort das Notsignal zündet. Arya kann endlich ihren Freund Syrio Forel rächen, indem sie Meryn Trant die Augen aussticht und die Kehle aufschlitzt. Dafür vernachlässigt sie jedoch den Auftrag des Vielgesichtigen Gottes und wird zur Strafe geblendet. Ellaria Sand kann ihrerseits Rache für Oberyn Martell nehmen, indem sie der abreisenden Myrcella einen vergifteten Abschiedskuss gibt - ohne zu bedenken, welche Konsequenzen dies für ihre Familie, ihr Land oder Prinz Trystane hat, der sich nun alleine mit Jaime auf hoher See befindet. Und schlussendlich erkennen die Männer der Nachtwache um Alliser Thorne nicht, vor welcher Gefahr sie Jon Snow warnen will, als sie sein Bündnis mit denn Wildlingen rächen.

Rache bringt in "Game of Thrones" keine Erlösung - so sehr es sich die Figuren auch wünschen. Vielmehr erschafft sie neues Leid, neue Verdammnis und dreht die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt weiter.

Die Angst, ein finsterer Begleiter

Dieses Motiv spielt auch in den Storys der anderen Charaktere eine entscheidende Rolle - doch auf andere Art und in vielen Varianten.

Die Furcht vor Ramsay Boltons Rache schweißt Sansa und Theon endlich zusammen. Nachdem Sansa ein Feuer im obersten Turm entzündet hat, wird sie auf dem Rückweg von Myranda erwischt und mit Pfeil und Bogen bedroht. Kurz bevor es zum Angriff kommen kann, wirft Theon Ramsays Geliebte von der Brüstung in den Tod. Als einzigen Ausweg für sich und Sansa steht wiederum nur der Sprung von Winterfells Mauer offen. In einem Interview erklärte Regisseur David Nutter aber, dass man davon ausgehen kann, dass beide überleben. Wie, darauf darf man nach diesem Abgang gespannt sein. Freuen darf man sich aber so oder so über den Fortbestand der Figuren. Auch in Mother's Mercy schaffen es Alfie Allen und Sophie Turner in den wenigen Minuten, die ihnen vergönnt sind, mit ihrer Performance zu überzeugen. Wenn Sansa voller Überzeugung Myranda mit den Worten "If I'm going to die let it happen while there's still some of me left" standhält, fiebert man als Zuschauer regelrecht mit.

Zwei andere Frauen müssen dagegen mit den Konsequenzen der Rache umgehen. Nach ihrer Flucht vor den Harpyien befindet sich Daenerys auf einmal alleine mit Drogon in einer unbekannten Wildnis, bei deren Erkundung sie plötzlich von einem immer größer werdenden Khalasar umzingelt wird. Regisseur Nutter findet für Danys kurze Episode, die fast ohne Worte auskommt, starke Bilder. Wir Zuschauer sind es mittlerweile gewohnt, sie in der warm-getönten, sonnigen Welt von Meereen zu erleben - sie nun alleine, in einer wolkigen, satt-grünen Landschaft zu sehen, versprüht eine eigentümlich einsame Atmosphäre. Einmal mehr ist die letzte Nachfahrin der Targaryens auf sich gestellt. Das sie aber nach all den Erlebnissen nicht mehr das junge, naive Mädchen ist, sondern aus allem gelernt hat, erkennt man an einer kleinen Geste: Sie lässt ihren Ring zu Boden fallen, der bei den Dothraki ansonsten negativ aufgefallen wäre.

Auch Cersei weiß, wie sie mit ihren Feinden und Verbündeten umgehen muss - eigentlich. Doch nachdem ihre Verbindung mit dem Hohen Spatz zu ihrer Rache an den Tyrells geführt hat, haben diese sich wiederum mit einer Anklage gegen die Königsmutter 'bedankt'. Von der langen Einzelhaft gezeichnet, gesteht Cersei in #5.10 nun den vorgeworfenen Inzest, allerdings nur mit Cousin Lancel und nicht mit ihrem Bruder Jaime. Ganz subtil wird klar, dass sie darauf spekuliert, so die notwendige Absolution der Götter zu bekommen. Doch anders als die Politik ist die Religion kein Spiel, das sich manipulieren lässt - eine Lektion, die Cersei am eigenen Leib erfährt. Sie darf zurück in die Rote Festung - muss den Weg dahin aber nackt und mit geschorenen Haaren beschreiten. Der oben schon erwähnte 'Walk of Shame' ist meisterhaft inszeniert und von Lena Headey grandios gespielt. Als Zuschauer folgen wir Cersei ganz nah durch die engen Gassen von Königsmund. Die Wut und der Hass des Volkes sind nahezu greifbar und entladen sich mehr und mehr in lauten Flüchen, obszönen Gesten und erniedrigenden Handgreiflichkeiten. Stück für Stück entrückt Cersei. Schritt für Schritt wird sie verwundbarer. Als sie endlich durch die Tore der Burg geht, meint man fast, sie wäre gebrochen. Mit starrer Miene wird die Herrscherin dort von ihrem Onkel Kevan und Groß-Maester Pycelle erwartet. Nur Qyburn zeigt Mitgefühl - und präsentiert sogleich mit einem modifizierten Gregor Cleagane sein neustes Experiment. Fast sah man in Cerseis Augen wieder die Rachsucht glitzern.

Vom Niemandsein, vom Herrschersein

Nicht nur diese Szenen wurden von Regie und Kamera grandios umgesetzt. Mother's Mercy ist gespickt mit vielen offensichtlichen, wie diffizilen visuellen Highlights. Das Aufeinandertreffen der winzigen Armee von Stannis Baratheon mit dem übermächtigen Heer der Boltons sorgt aus der Vogelperspektive für erhöhten Puls, ebenso wie die bereits erwähnte Massenszene mit Dany und dem dothrakischen Khalasar. Dagegen muten Aryas Szenen, ihre blutige Rache ebenso wie ihre Erblindung, fast schon wie ein Traum an - dafür sorgt das ausgeklügelte Farbspiel sowie die ausgezeichnete Tricktechnik, etwa bei den Verletzungen Trants oder bei dem vielfachen Gesichtswechsel des vermeintlich toten Jaqen. Gerade in der letzten Szene des jüngsten Stark-Mädchens bekommt auch der Zuschauer das Gefühl, dass man noch viel darüber lernen muss, was es heißt, ein 'Niemand' zu sein. Aryas Storyline ist definitiv etwas, worauf man sich in Staffel 6 freuen darf.

Eine weitere Handlung, die fast schon Jubeln lässt: Tyrion wird Meereen regieren, solange Dany vermisst wird. Von dem kleinen Mann darf man da Großes erwarten! Es wird spannend sein zu sehen, ob und wie der Lannister mit seiner Erfahrung in Politik und Diplomatie den Harpyien Herr wird. Wie Varys an seiner Seite erscheint, wirkt aber auch hier wie ein Traum: Aus dem Nichts taucht die Spinne auf, fast scheint es, als wäre es nur ein Wunschgedanke Tyrions, der das unerwartete Aufeinandertreffen mit einem lakonischen "I did miss you" quittiert. Peter Dinklage dominiert als Darsteller ohnehin die Szenerie in Meereen. Wie er gleichsam Jorah und Daario ein "You love her, don't you?" entgegen wirft, sorgt ebenso für Schmunzeln, wie seine Einwände, es wäre ratsam, ihn mit auf die Suche nach Danaerys zu nehmen. Einziges Manko an dieser Szene: Greyworm taucht auf und wird von allen als Liebling der Bevölkerung bezeichnet, der unbedingt an Tyrions Seite bleiben muss. Diesen Eindruck habe zumindest ich in den vorherigen Folgen nie bekommen.

Warum Jon Snow nicht tot ist:

Der reflektierte Lichtstrahl in seinen Augen. Melisandre bei der Nachtwache. Das reicht. Mir zumindest.

Eine Anmerkung zum Schluss:

Muss man auf Jaimes und Myrcellas Vater-Tochter-Vereinigung eingehen? Für mich eine weitere Lektion in den "Game of Thrones"-Meisterdisziplinen "Immer wenn's schön wird, stirbt gleich wieder wer" und "Jaime wird nie wieder glücklich werden" (Ich wünsche mir dennoch wieder etwas mehr Tiefgang für diese Figur, gehörte die Storyline doch in Staffel 3 zu meinen Highlights).

Barbara Kotzulla - myFanbase

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