Bewertung

Review: #4.08 Tad & Loreen & Avi & Shanaz

Foto: Lena Dunham, Girls - Copyright: 2012 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.
Lena Dunham, Girls
© 2012 Home Box Office, Inc. All Rights Reserved.

Es ist eine ungewöhnliche halbe Stunde, die #4.08 Tad & Loreen & Avi & Shanaz uns darbietet. Inhaltlich werden viele völlig verschiedene Erzählstränge miteinander verbunden, die – und das ist sicherlich eine erfreuliche Abwechslung – auch eine ganze Reihe interessanter Nebencharaktere stärker ins Zentrum des Geschehens rücken. Gleichzeitig wirkt das Zusammenführen all dieser unterschiedlichen Storylines etwas unstimmig und willkürlich, sodass wir hier zwar eine relativ unterhaltsame, aber erzählerisch doch sehr fragmentierte Folge vor uns haben, deren Einzelteile sehr lose zusammenhängen. Wenn es eine episodenübergreifende Thematik gibt, dann wohl die Problematik der Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Die große Enthüllung ist natürlich die um Tads Geständnis gegenüber Loreen, dass er schwul ist. Dies ist ein ganz extremer Fall miteinander kolllidierender Wahrnehmungen: Tad selbst ringt seit Jahren damit, sich und seine Sexualität zu akzeptieren und diese gegenüber seiner Frau zu offenbaren, während Loreen glaubt, die Ursachen ihrer Eheprobleme lägen darin begründet, dass Tad ein Problem mit ihrer erfolgreichen akademischen Karriere hat. Sie erkennt in ihrer Selbstzentriertheit nicht, wo das Problem tatsächlich liegt – und als Zuschauer wird einem klarer denn je zuvor, wo Hannahs narzisstisches Verhalten herrührt. Es ist sicher kein Zufall, dass Tad im Streitgespräch mit Loreen fast dieselben Worte benutzt, wie Adam damals bei der Trennung von Hannah: "It's not about you." Das verstand Hannah nicht, das versteht Loreen nicht und so geben sich Mutter und Tochter weiter der Illusion hin, die Welt würde sich nur um sie drehen und sie hätten ein Anrecht auf sämtliche Aufmerksamkeit und sämtliches Verständnis ihres Umfelds. Die Parallelen zwischen Loreen und Hannah werden noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass Hannah mit Elijah ja genau dasselbe passiert ist wie Loreen nun mit Tad. Doch "Girls" tappt nicht in die Falle, Loreen als armes Opfer darzustellen. So hart es als Ehefrau auch sein muss, solch ein Geständnis vom Ehemann zu hören, Loreen selbst ist in dieser Ehe schon lange nicht mehr glücklich. Die Affäre mit Avi ist dafür der beste Beweis, aber auch und vor allem die Tatsache, dass Loreen und Tad sich ganz offensichtlich schon lange auseinandergelebt haben.

Nichts ahnend von dem Familiendrama daheim lebt Hannah in ihrer eigenen Welt, in der sie sich von allen die Aufmerksamkeit und Liebe zu erheischen versucht, die sie so sehr benötigt: die Aufmerksamkeit ihrer Schüler, die Aufmerksamkeit von Fran, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Doch ihre eigene Wahrnehmung – der Glaube, sie sei im Recht und verdiene dementsprechend diese oder jene Behandlung – ist völlig von der Realität entrückt. Sie übertritt jegliche professionelle Grenzen, als sie mit ihrer Schülerin Cleo mal eben zwischen Mittagessen und Nachmittagsunterricht ein Piercing machen lassen will (definitiv eine der ekligsten Szenen, die seit langem im Fernsehen kamen) in dem geradezu verzweifelten Versuch, hier eine Freundschaft zu knüpfen. Dass Hannah so gut mit einer 14-jährigen klarkommt, legt nicht zuletzt den Gedanken nahe, dass sie selbst einfach oft wie genau eine solche handelt und sich selbst zwar als erwachsene, verantwortungsvolle und komplexe Person sieht, diese Selbstwahrnehmung aber eine einzige Lüge ist. Diese entlarvt später Fran, der Hannah völlig akkurat als dramatic person bezeichnet und damit richtiger nicht liegen könnte. Hannahs unfassbar falsche Einschätzung der Situation – dass Fran sie nach dem katastrophalen Date immernoch anziehend findet und ihr eine zweite Chance geben sollte – zeigt, dass sie oft wirklich noch nicht weiter ist als ein pubertierender Teenager. Fran drückt dieses Problem der falschen Selbsteinschätuzng perfekt aus: "I think you are exactly the person that I think you are. I think you're not the person that you think you are." Dass Hannah Frans Ablehnung in einem Akt völliger Fehlinterpretation auch noch als Produkt der Misogynie auslegt, schließt dann wieder den Kreis zu Loreen, deren erste Reaktion auf Tads Geständnis die gleiche Anschuldigung war.

Das Problem falscher Selbstwahrnehmung spielt auch in den verschiedenen Nebenplots eine Rolle, allen voran bei Shoshanna. Diese glaubt zunächst, Ray würde immernoch an ihr hängen, nur um dann feststellen zu müssen, dass dieser in Wirklichkeit noch an Marnie hängt (wobei ich hier mit Shosh übereinstimme: "Fucking Marnie?") Ihr Date mit Scott läuft dafür überraschend gut – trotz hohem Fremdschämfaktor als sie plötzlich "überraschend" zu sein versucht und seien wir mal ehrlich, wäre Scott im wahren Leben genauso kulant oder würde ein halbwegs normaler Mensch nicht die Flucht ergreifen? Relativ unspektakulär und spannungsarm gestaltet sich schließlich Marnies Storyline mit Desi, die platter nicht sein könnte und die auch durch einen spontanen Heiratsantrag keinen Deut interessanter wird. An diesen Stellen verliert sich die Episode leider in zusammenhanglosen, unwichtigen Szenen, die in ihrer Gesamtheit betrachtet eine sehr dürftige Storyline ergeben – gerade bei Marnie ist diese Staffel wirklich so gut wie nichts Interessantes zu vermerken, dafür ist ihre Beziehung zu Desi zu belanglos, dafür sind beide Figuren, sowohl Marnie als auch Desi, zu banal.

Während also das zentrale Geschehen rund um Tad und Loreen in seiner Umsetzung punkten kann und auch Hannahs diverse Faux-Pas den Zuschauer mal wieder zwischen Fremdschämen und ungläubigem Gelächter hin- und herwanken lassen, so können die Nebenstorylines rund um die anderen Protagonistinnen nicht wirklich überzeugen. Schade ist es weiterhin, dass wir zwischen den vier Frauen – bis auf eine gemeinsame Szene zwischen Shoshanna und (der furchtbar eingebildeten) Jessa – quasi gar keine Interaktion mehr haben. Zur Zeit scheint die Serie selbst ein kleines Selbstwahrnehmungsproblem zu haben: Sie sieht sich als eine Serie über vier Freundinnen, doch deren Freundschaft hat sie bisweilen aus den Augen verloren.

Maria Gruber - myFanbase

Die Serie "Girls" ansehen:


Vorherige Review:
#4.07 Aktionskunst
Alle ReviewsNächste Review:
#4.09 Vaterkomplex

Diskussion zu dieser Episode

Du kannst hier mit anderen Fans von "Girls" über die Folge #4.08 Tad & Loreen & Avi & Shanaz diskutieren.