Review: #4.04 Ausgeflogen
In dieser thematisch sehr verdichteten Episode sind es zwei Frauen, die als Hauptantriebskraft für verschiedene Ereignisse dienen und beide haben, trotz ihrer komplett unterschiedlichen Eigenschaften und Ausgangssituationen, ein Ziel gemein: Sie sind auf der Suche nach einem besseren Leben, nach einer neuen Chance, nach Sicherheit. Lindsey und Ellen May sorgen diesmal für einiges Chaos und nach verschiedenen Umwegen sind sie schließlich beide auf der Flucht – und der Hoffnung auf ein besseres Leben nicht unbedingt näher. Mit #4.04 The Bird Has Flown drosselt "Justified" das Tempo nochmals stark, nimmt sich dadurch aber auch die nötige Zeit, um vor allem auf die privaten Probleme seiner Protagonisten einzugehen und einige bisher beiseite gelassene Figuren näher zu beleuchten.
Eine davon ist Lindsey Salazar, Raylans attraktive Barkeeperin und Affäre, die ihn nicht nur über die Trennung von Winona hinweggetröstet hat, sondern dem sonst recht einsamen Marshal auch so etwas wie ein Privatleben verschafft hat, das ihn ein wenig von seinem arbeitslastigen Alltag ablenkt. In der Vergangenheit haben wir in etwa genauso viel von Lindsey erfahren wie Raylan selbst, nämlich nicht viel, was sie ihm wie auch uns als eine recht mysteriöse und undurchschaubare Frau erscheinen lässt. Nachdem man in der letzten Episode spekulieren durfte, was nun wohl mit Lindsey und Randall passiert sein könnte, überrascht man uns mit einer recht unerwarteten Wendung: Lindsey hat Raylan hintergangen und sein Geld gestohlen, ist aber gleichzeitig auch nicht loyal gegenüber Randall, den sie ebenfalls hintergeht. Lindsey benutzt beide Männer, um sie gegeneinander auszuspielen, bewahrt trotz dieser Hinterlist aber dennoch ein gewisses Quentchen Sympathie, da man es wohl niemandem übel nehmen kann, wenn er mit aller Kraft versucht, sich ein besseres Leben zu schaffen – auch wenn das auf Kosten anderer geschieht.
Raylans Suche nach Lindsey und Randall nimmt die meiste Zeit der Folge in Anspruch und ist insgesamt relativ spannungsarm, da bald klar wird, dass es am Ende zum unausweichlichen Showdown zwischen Raylan und Randall kommen muss. Bei dieser Suche überzeugt einzig und allein die Interaktion zwischen Raylan und Rachel, die selten so kollegial zusammengearbeitet haben und als Marshal-Gespann immer besser funktionieren, auch wenn Rachel auf die Frage "boyfriend or partner?" ganz lässig ein "neither one as such" erwidert. Amüsant ist auch, wie Rachel immer wieder nachfragt, wie viel Geld Raylan denn gestohlen wurde, was dieser konsequent nicht beantwortet, was Rachel aber dennoch nicht daran hindert, ihm zu helfen. Die Geste, Raylan eine Shotgun zu überreichen und ihm somit das Vertrauen entgegenzubringen, dass er die Sache richtig regeln wird, ist ein großer Schritt vorwärts für die Freundschaft der zwei ungleichen Marshals.
Und natürlich ist Raylan mit einer Shotgun in der Hand einfach nur eines – nämlich verdammt cool. Er knallt Randall eiskalt mehrere Bean Bags in die Brust, überspielt mit seiner Coolness aber auch eine tieferliegende Enttäuschung darüber, dass Lindsey ihn hintergangen, sein Vertrauen ausgenutzt und ihn verletzt hat. Sein stolz-treudoofes "I knew you liked me" bevor er das Bewusstsein verliert, spricht allein schon Bände. Dennoch bleibt am Ende der Vertrauensbruch und Raylan kehrt körperlich und vor allem auch psychisch ausgelaugt in sein verwüstetes Apartment zurück, ohne Frau und ohne Geld.
Die andere zentrale Frauenfigur dieser Episode ist die heimatlose Ellen May, deren loses Mundwerk und emotionale Labilität ein immer größeres Problem für Boyd und vor allem Ava darstellt. Nach Billys Tod – der wirklich völlig unerwartet kommt – weiß sie nicht, an wen sie sich wenden soll und kehrt daher wieder zu Ava zurück. Anhand von Ellen May wird deutlich, wie schwer es in einem derartigen Milieu ist, etwas Gutes zu tun, ohne sich selbst zu schaden, und wie man gezwungermaßen das Schlechte tun muss, um sich selbst zu schützen. So ist Ellen Mays Abschiebung zu Boyds Cousin zwar eine Maßnahme, um die einzige Zeugin von Avas Mord an Delroy aus der Welt zu schaffen, doch Ava zeigt immer auch aufrichtige Fürsorge für Ellen May und ist durchaus zu einer Art Mentorin und Beschützerin der jungen naiven Frau geworden, die in ihrem Leben bisher alles Pech der Welt hatte. Als Zuschauer tut es einem fast weh, zu sehen, wie fern Ellen May die Vorstellung ist, in Alabama ein neues Leben anzufangen, und sie es gar nicht versteht, dass dies eigentlich die Chance ihres Lebens ist, die sie sich nachher auch noch mit ihrem unbedachten Kommentar über Delroy verbaut.
Die letzten Minuten schaffen es dann doch noch, zumindest ein bisschen Spannung aufzubauen, denn es ist klar, dass es kein Zufall ist, dass ausgerechnet Colt Ellen May zur Bushaltestelle fahren soll. Und spätestens als Colts Telefon klingelt, ist alles glasklar. In diesen Minuten kann auch Colt ein bisschen mehr an Tiefe gewinnen, der keinesfalls nur ein unbedachter Handlanger von Boyd ist, der ohne mit der Wimper zu zucken Leute abschießt. Im Gegenteil, es erfordert ihn einiges an Überwindung, sich zu dieser drastischen Tat hinreißen zu lassen, und als er dann schließlich bereit dazu ist, Ellen May zu töten, erwartet ihn eine unerfreuliche Überraschung: Ellen May ist weg. Was da wohl noch kommen mag?
Nach dieser Episode haben sich zwei Dinge fundamental geändert: Zum einen ist Raylans Privatleben an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Zum anderen hat Ava dadurch, dass sie Ellen May ein Todesurteil ausgesprochen hat, nicht nur ihre Integrität, sondern auch einen wichtigen Schützling verloren. Damit hat #4.04 The Bird Has Flown, obwohl sie eine gemächliche, bis auf wenige Szenen unspektakuläre Folge ist und die Entwicklungen um Drew Thompson und Billy St. Cyr gar nicht bzw. nur marginal aufgreift, zumindest dramaturgisch ihre Funktion erfüllt. Das Credo lautet aber weiterhin: "Justified" muss jetzt endlich mal Gas geben, damit aus solider Unterhaltung wieder richtig gute wird.
Maria Gruber - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: The Bird Has FlownErstausstrahlung (US): 29.01.2013
Erstausstrahlung (DE): kein Termin
Regie: Bill Johnson
Drehbuch: Taylor Elmore
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