Bewertung

Review: #4.11 Reingelegt

Foto: Joelle Carter, Justified - Copyright: James Minchin/FX
Joelle Carter, Justified
© James Minchin/FX

Harlan County ist bekanntermaßen ein beliebter Ort für Western-artige Showdowns und in vier Staffeln "Justified" haben wir bereits so manch fantastische Schießduelle erlebt. Diesmal geraten unsere Protagonisten erneut in sehr vertrackte Situationen, die zwei großartige Showdowns heraufbeschwören: Einmal haben wir den Ablenkungskonvoi von Art und Tim, die in eine brandgefährliche Falle von Colt geraten, und zum anderen haben wir Raylan, Bob, Rachel und Drew, die sich in der alten High School verschanzen und dort Boyd und Tonins Männer in Empfang nehmen. Beide Konfrontationen gehen zugunsten der US-Marshals aus, doch immer nur haarscharf.

Tonins Macht wird in dieser Episode eindrucksvoll demonstriert, fährt er doch so manche Geschütze auf, gegen die selbst die US-Marshals absolut machtlos sind. Es ist schon enorm, wie die Marshals, eigentlich die Gesetzeshüter, in die Ecke gedrängt werden können, da Tonin einfach über so viele Ressourcen verfügt, dass er sich quasi außerhalb jeglicher Gesetzgebung befindet und daher seine Männer auf die Marshals loslassen kann, ganz wie im Wilden Westen. Die Wichtigkeit Drew Thompsons wird angesichts dieser mächtigen Präsenz umso klarer, denn Thompson ist der Einzige, dessen Aussage Tonin hinter Gittern bringen und damit das Gesetz wieder in Kraft treten lassen kann. Andererseits: Das Gesetz ist weder für die Marshals ein nutzbares Werkzeug im Kampf gegen das Verbrechen, noch für die Kriminellen ein Hinderungsgrund, nicht so zu handeln, wie sie eben handeln. Obwohl glasklar ist, dass Colt die Bomben am Straßenrand platziert hat, sind Tim und Art juristisch gesehen völlig machtlos, genauso wie Raylan und Co. nicht deswegen überleben, weil Tonins Männer Angst vor dem Gesetz haben, sondern schlichtweg, weil ihnen ihr Leben lieb ist.

Vor diesem Hintergrund der Quasi-Anarchie entwickeln sich in dieser Episode zwei hervorragende Erzählstränge, die inhaltlich sehr verdichtet sind und gerade deshalb so eine Spannung erzeugen. Raylan, Drew und Rachel stecken in Arlos Haus fest und werden dazu gezwungen, sich in der alten High School zu verstecken, ein Schachzug, den Boyd dank seiner Kenntnis über Raylans Vorgehensweise aber antizipieren kann. So bleibt Raylan nichts anderes übrig, als auf Boyd und Tonins Männer zu warten, eine Wartezeit, die aber mit einigen interessanten Gesprächen zwischen Raylan, Drew und Rachel überbrückt wird. So erklärt Drews Anekdote über sein Kennenlernen mit Arlo im Vietnamkrieg etwa, wieso er Arlo das Paket Kokain überhaupt anvertraute und ausgerechnet in Harlan blieb. Dabei ist immer Raylans Unwohlsein zu spüren, der eigentlich nur ungern über Arlo sprechen will und daher alles mit seiner typischen (und großartigen!) Nonchalance überspielt. Egal ob gegenüber Drew oder gegenüber Boyd, Raylans Coolness ist einfach bemerkenswert und macht dem Zuschauer ein ums andere mal klar, wieso er als Marshal so einen verdammt guten Job macht und nicht schon längst unter der Erde liegt.

Natürlich sind besonders die Konfrontationen zwischen Boyd und Raylan wieder absolute Highlights, vor allem, weil immer klar ist, dass die beiden alten Freunde zwar nicht von ihrem Standpunkt abrücken werden, dabei aber darauf bedacht sind, den anderen am Leben zu lassen. Aber auch die Dynamik zwischen dem widerwärtigen Nick Augustine (toll: Mike O'Malley) und Boyd ist überaus interessant, schafft Augustine es doch zeitweise, Boyds scheinbare Unverwundbarkeit zu durchbrechen, indem er sich von seiner Wortgewandheit nicht beeindrucken lässt ("I love the way you talk, using forty words where four will do."). Dennoch beharrt Boyd auf seinem Deal mit den 500.000 Dollar und macht Augustine unmissverständlich klar, dass er ihn braucht, um Drew zu finden, da er weiß, wie Raylan denkt. Dumm nur, dass Raylan ebenso weiß, wie Boyd denkt und klugerweise Drew und Rachel mit dem Zug fortschickt. Damit stellt sich die große Frage: Wie windet sich Boyd da wieder raus? Diese Frage stellt sich vor allem angesichts des Vorfalls zwischen Ava und Augustine in der Bar, eine für "Justified" typisch großartige Szene, in der die Emotionen immer weiter hochkochen, bis Ava kurz davor steht, Augustines Gesicht anzuzünden (was man sich in diesem Moment als Zuschauer nur sehnlichst wünscht). Doch stattdessen behält Ava einen klaren Kopf und flieht aus der Bar, nachdem sie zuvor noch von Johnnys Verrat – und seiner Liebe zu ihr – erfahren hat. Es scheint, dass Boyd und Ava wirklich nichts anderes mehr bleiben wird als die Flucht vor Tonins Männern... oder?

Enorm spannend ist auch der zweite Plot, der Art, Tim und Colt in den Mittelpunkt stellt. Tim bekommt hier eine zentrale Funktion, denn als Kriegsveteran erkennt er die Falle, die Colt ihm gestellt hat, sofort. Was folgt, ist eine Art Pattsituation für beide Seiten: Die Marshals sitzen zwischen drei Autobomben fest, Colt kann nicht das Feuer eröffnen, ohne zu riskieren, selbst erschossen zu werden. Fantastisch ist hier das Telefonat zwischen Tim und Colt, ein "Justified"-Dialog von Allerfeinsten, voller Zweideutigkeiten und Anspielungen, obwohl eigentlich völlig klar ist, was Sache ist. Doch dank Tims strategischen Know-Hows und eines selbstgebastelten Molotov-Cocktails (Art, mal wieder herrlich: "Molotov cocktail. Haven't seen those since that Guns'n'Roses concert in 1969.") gewinnen die Marshals auch dieses Szenario.

Als einzigen Kritikpunkt kann man eigentlich nur den Subplot mit Bob und Yolo (aka "Yoda" bzw. "Yoohoo") anführen, der mit derartiger Gewalt aufwartet, dass man sich zeitweise schon fragt, warum man jetzt über fünf Minuten lang dabei zusehen muss, wie der arme Constable brutal zusammengeschlagen wird. Natürlich ist es beeindruckend, welche Kräfte Bob freilegen kann und was für eine Loyalität er gegenüber seinem Job und Raylan zeigt, doch letztlich ist es doch relativ unnötig, dies so lang und breit in Szene zu setzen.

Doch das ist Jammern auf hohem Niveau. Denn "Justified" befindet sich weiterhin auf einem Höhenflug und liefert mit #4.11 Decoy die vierte fantastische Episode in Folge ab. Die Ereignisse rund um Drew Thompson werden unwahrscheinlich spannend und clever in Szene gesetzt, alle Charaktere haben ihre Glanzmomente, es gibt einige herausragende Dialogszenen, und am Ende fragt man sich, wie das wohl nun alles ausgehen wird. Es bleiben noch zwei Episoden für Staffel 4 und zum aktuellen Zeitpunkt ist wirklich alles offen. Bleibt abzuwarten, ob es bis zum Finale tatsächlich noch zu dem Showdown zwischen Raylan und Boyd kommen wird, den sich die zwei in dieser Folge versprochen haben – und wer auf dem Weg sonst noch alles dran glauben muss.

Maria Gruber - myFanbase

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