Bewertung

Review: #5.06 316

"Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." – Johannes Kapitel 3, Vers 16

Ja, es wird biblisch. Fast schon episch. Der Glaube ist nämlich das zentrale Thema dieser Episode. Es geht um den Glauben an die Insel, an das Schicksal, an das eigentlich Unmögliche, an all das, was Jack nie glauben wollte. Doch diese Folge markiert die Wiederauferstehung des Jack Shephard: Der Mann der Wissenschaft ist tatsächlich zu einem Mann des Glaubens geworden. Diese Umkehr hat allerdings ihren Preis gekostet – unter anderem drei Jahre seines Lebens und Lockes Selbstmord.

"He just couldn't wrap his mind around it."

Man kann kaum in Worte fassen, in wie vielen Belangen diese Episode schlicht und ergreifend brillant ist. Von Beginn an ist die Folge absolut atemberaubend. Wir sehen zunächst eine großartige Rekonstruktion des Piloten: Jack erwacht mitten im Dschungel. Er schnappt nach Luft. Doch anstatt in Panik und Entsetzen auszubrechen, zeigt sich ein Lächeln auf seinem Gesicht, ja geradezu Erleichterung darüber, wieder auf der Insel zu sein. Dies ist wie ein Sinnbild für die immense Entwicklung, die der Charakter in den letzten vier Staffeln durchgemacht hat: Von einem Mann, der sich stets vehement gegen alles Übersinnliche gewehrt hat, hat sich Jack zu jemandem entwickelt, der es gelernt hat, zu glauben und sein Schicksal anzunehmen.

Die Anfangssequenz lässt uns Zuschauer verwirrt zurück: Jack ist jetzt wieder auf der Insel? Und Hurley und Kate sind bei ihm? Was zum...?? Doch dann heißt es "46 Stunden zuvor" und Ms. Hawking tritt auf den Plan.

Hawkings kleine Unterrichtsstunde in der unterirdischen Dharma-Station liefert uns erneut ein paar wichtige Antworten. Wir erfahren von Hawking, dass Dharma mithilfe dieser Station die Insel gefunden hatte und wahrscheinlich auch später die US Army; dass die Insel in ständiger Bewegung ist und deswegen nie Rettung kam; dass es auf der Welt verschiedene Orte mit einer speziellen elektromagnetischen Ausprägung gibt, darunter die Insel; dass es bestimmte Zeitfenster gibt, die man erreichen muss, um zur Insel zurück zu gelangen; und dass der Ajira Airways Flug 316 nach Guam direkt durch so ein Zeitfenster fliegt.

Wow. Wir werden geradezu mit Antworten bombardiert!

Später hat Jack eine Unterredung mit Ben in der Kirche. Mit der Geschichte des ungläubigen Thomas haben wir wiederum eine biblische Referenz, die sinnbildlich für Jack steht. Wie Thomas auch konnte Jack so lange nicht glauben, bis er es selbst gesehen hat. Oder wie Ben es so richtig ausdrückt: "We're all convinced sooner or later, Jack." Eine großartige Szene.

"Wherever you are John, you must be laughing your ass off."

Jack wird zum Altersheim gerufen und wir treffen erstmals auf seinen Großvater und Christians Vater, Ray Shephard. So kurz dieses Treffen auch war, ich werde das Gefühl nicht los, dass Ray noch eine viel wichtigere Funktion haben wird, als Jack Christians Schuhe zu geben. Gerade seine Aussage "One of these times, I'm actually gonna get away... they won't ever find me either" lässt sehr viel Spielraum für die abgedrehtesten Theorien. Ist es nur Zufall, dass Ray prinzipiell von einem Ort wie der Insel spricht? Wo ihn niemand finden würde? Wer weiß...

Am Abend findet Jack Kate in seiner Wohnung vor, die mal wieder einen auf total kryptisch macht und Jack dazu verpflichtet, nie wieder nach Aaron zu fragen, wenn er will, dass sie mit zur Insel kommt. Was ist passiert? Wo ist Aaron? Hat Kate womöglich wieder von Claire geträumt? Wieso hat sie ihre Meinung geändert? Nun, Jack ist das in dem Moment wahrscheinlich ziemlich egal, denn Kate gibt ihm erstmal einen leidenschaftlichen Kuss und lenkt ihn von jeglichen Grübeleien ab.

Am nächsten Morgen erfahren wir dann, wieso Christian bei seinen Auftritten immer weiße Tennisschuhe trägt. Ha! Nicht unbedingt die dringendste Frage, die ich auf dem Herzen hatte, aber man sieht wieder einmal, wie unglaublich detailgetreu die Serienmacher arbeiten. Jack hatte damals einfach nicht den Aufwand betreiben wollen, seinem toten Vater neue Schuhe zu kaufen und so muss Christian nun wohl oder übel mit Sneakers durch den Dschungel stapfen.

Die richtigen Schuhe bringt Jack zu Lockes Leiche. Während er sie Locke anzieht, sehen wir, dass Jack noch nicht hundertprozentig überzeugt ist. Er ist ein Gläubiger wider Willen - doch er tut, was getan werden muss. Ein toller Moment, der nochmals die besondere Verbindung der beiden Männer unterstreicht und später nur noch durch Lockes Selbstmordnotiz an Jack übertroffen wird: "Jack, I wish you had believed me. JL." Einfach genial, wie dieser Satz die gesamte Essenz der Beziehung zwischen Jack und Locke auszudrücken vermag und gleichzeitig perfekt zu der Geschichte des ungläubigen Thomas/Jack passt.

"How can you read?" – "My mother taught me."

Am Flughafen treffen wir schließlich alle Oceanic Six (außer Aaron) wieder – und das völlig unerwartet. Nachdem wir schon keine Ahnung haben, wieso Kate ihre Meinung geändert hat, steht plötzlich auch Sun hinter Jack und die beiden sehen, wie Sayid in Handschellen zum Flugzeug geführt wird. Auch Hurley kommt an Bord. Doch wieso, das erfahren wir in dieser Episode nicht. Hatte Hurley vielleicht eine Vision von Charlie? Wieso wurde Sayid verhaftet? Was hat Sun den letzten Ruck gegeben? Und was hat Ben eigentlich die ganze Zeit gemacht (meine Vermutung: ein Anschlag auf Penny)? Indem man uns diese Informationen vorenthält, hat man sehr geschickt Stoff für ein paar gute Flashback-Episoden gesammelt, auf die ich mich jetzt schon freue.

Ganz wie Ms. Hawking gesagt hat, werden die Bedingungen des Flugs 815 so gut wie möglich rekonstruiert und es ist spannend zu sehen, wer welche Rolle einnimmt und in welchen Details wir etwas der alten Charaktere wieder finden. Locke steht beim Flug 316 ganz klar für Christian. Sayid hat Kates Rolle als Gefangener eingenommen, seine Begleitung Ilana damit die von Edward Mars. Hurley liest vor dem Abflug wie schon beim ersten Mal einen spanischen Comic und hat außerdem eine Gitarre dabei, in Anlehnung an Charlie. Lapidus ist der Pilot des Fliegers, wie es ursprünglich schon bei der Maschine 815 hätte sein sollen. Und Ben nimmt Hurleys Part ein, der in letzter Minute an Bord kommt. Phänomenal.

Das Flugzeug hebt ab und als Zuschauer bekommt man Gänsehaut. Die Szene ist einfach wunderbar inszeniert. Es zeigt sich mal wieder, dass "Lost" vor allem eines ist: ein Charakterdrama. Viel mehr noch als herausfinden zu wollen, was es mit Dharma und den Zeitreisen und all den Mysterien auf sich hat, fiebert man in Momenten wie diesen mit, was mit den Figuren passieren wird. Was schließlich passiert? Der Flieger beginnt zu rütteln, wird in ein gleißendes Licht getaucht, Jack erwacht im Dschungel und findet später Hurley und Kate. Und dann kommt plötzlich Jin im Dharma-Anzug angefahren!

Was ist nun geschehen? Ist das Flugzeug wirklich abgestürzt? Wo ist das Flugzeugwrack dann überhaupt? Sind nur die Oceanic Six wieder auf der Insel und das Flugzeug ist womöglich weitergeflogen? Oder ist das Flugzeug vielleicht in der "richtigen" Zeit (2008) abgestürzt und nur die Oceanic Six sind in der Vergangenheit gelandet?

"Is he telling the truth?" – "Probably not."

Nun, nach dieser biblisch angehauchten und einfach nur bombastischen Folge haben wir wieder das altbekannte Phänomen: Es bleiben viele Frage offen. Doch eines ist klar: "Lost" ist nicht mehr zu stoppen. #5.06 316 hat die Qualität eines Staffelfinales, wurde uns aber mitten in der Staffel als "reguläre" Folge geboten. Das zeigt deutlich, dass man nicht vor hat, einen Gang runterzuschalten. Ganz im Gegenteil, jetzt geht es erst richtig los.

Maria Gruber - myFanbase

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