Review: #4.08 Wind und Sonne
Es war sicher nicht leicht, nach der absolut grandiosen Episode der Vorwoche nun einfach so weiter zu machen und zum Tagesgeschäft zurück zu kehren. Und so hat man einen ganz anderen Weg beschritten und mit #4.08 The Summer Man eine Folge gedreht, die auf stilistischem Wege so aus dem Gros der bisherigen Episoden heraus sticht, dass sie schon allein deshalb wirklich sehr bemerkenswert ist. Ein wirklich cleverer Schachzug, zumal sich die angewandten Methoden auch inhaltlich wirklich sehr gelungen einfügen und nicht wie ein reines Stilexperiment anfühlen.
He was conceived in a moment of desperation and born into a mess.
Am auffälligsten ist dabei natürlich Dons Voice-over, bei dem wir seine Tagebucheinträge zu hören bekommen. Es ist schon ein sehr seltsames Gefühl, nun wirklich einmal direkt in Dons Gedankenwelt Einblick zu haben, nachdem man bisher immer nur erahnen konnte, was in ihm wirklich vorgeht. Ein Teil der Faszination rund um seine Figur beruht sicher auch darauf, dass man bisher nie genau wusste, wie es wirklich in ihm ausschaut, zumal er auch nie diese Gefühle nach außen dringen lässt. Es ist also wirklich mutig, genau dieses Mysterium zu durchbrechen und zum eher profanen Stilmittel des Voice-over zu greifen, zumal die Beispiele des überoffensichtlichen Erkenntnisgewinns per Erzähler zahlreich sind und man unweigerlich an die ein oder andere unsägliche "Grey's Anatomy"-Folge erinnert wird. Aber auch wenn Dons Gedanken nicht immer die absoluten Aha-Momente beinhalten, erfüllen sie doch im Rahmen dieser Episode absolut ihren Zweck. Es macht Sinn, dass Don auf eigene Faust versucht, seine Alkoholprobleme in den Griff zu bekommen. Man ist ja als Zuschauer schon unheimlich erleichtert, dass er diese überhaupt bewusst zur Kenntnis nimmt, auch wenn man nicht so recht daran glauben mag, dass er diese ganz ohne Hilfe auf die Reihe bekommt. Aber sein Ansatz, sich selbst per Tagebuch bewusster wahrzunehmen, seinen Körper beim regelmäßigen Schwimmen wieder als Einheit seiner selbst zu benutzen und somit irgendwie wieder Herr seiner Sinne zu werden, ist sicher nicht vollkommen verkehrt. Er kämpft mit sich und er scheint das absolute Tief überwunden zu haben. Hatte ich nach Annas Tod noch die Befürchtung, dass er nun noch tiefer in die Spirale seines moralischen Verfalles abrutschen würde, scheint seine reinigende Nacht mit Peggy genau das Gegenteil bewirkt zu haben, Gott sei Dank.
I have a drinking problem.
Und nun wird er sich dem Fortschritt seines Verfalles schmerzlich bewusst, als er beim Schwimmen komplett an seine körperlichen Grenzen stößt, Alkohol und Nikotin sei Dank, aber er nimmt seit langem wieder einmal seine Umwelt bewusst war. Die Szene, die durch die völlig ungewohnt dominante Einspielung von "Satisfaction" begleitet wurde, zeigt Don wieder als den aufmerksamen Beobachter der Welt, wie wir ihn damals kennen gelernt haben. Und mit voller Wucht wird ihm und dem Zuschauer der Wandel in der Gesellschaft rund um ihn herum präsentiert. Ich habe mich schon länger gefragt, ob es Zufall ist, dass die Umbrüche in der amerikanischen Kultur für "Mad Men" völlig untypisch im bisherigen Verlauf der vierten Staffel eher dezent am Rande gehalten wurden, aber nun wird klar, dass wir uns ebenso wie Don in einer Art Nebelwolke befanden und die Außenwelt einfach nicht wirklich darin eindringen konnte. Die wurde nun durchbrochen und ich gehe davon aus, dass die politisch-gesellschaftlichen Themen für den Rest der Staffel einen breiteren Raum einnehmen werden.
Don versucht also allein mit seinem Alkoholproblem klar zu kommen und es wird ihm von seiner Umwelt nicht gerade leicht gemacht. Er hat sichtlich Müh und Not, nicht gleich wieder zum Glas zu greifen und die Ausmaße seines Schnapskonsums muss ihm selbst spätestens durch die von Miss Blankenship heran geschleppten Vorräte klar geworden sein. Aber mit einem weiteren ungewöhnlichen Stilmittel fokussiert die Kamera inmitten einer Besprechung Dons mit Ken und Peggy völlig auf sein Glas und die Mühe, die es ihn kostet, dieses nicht anzurühren. Und als später Henry Francis bei ihm im Büro anruft, nur um ihm gegenüber den starken Mann zu demonstrieren, und um es einmal profan auszudrücken: sein Revier zu markieren, wandert Dons Blick wieder zuerst zur Flasche und dann zur Uhr. Ich finde es jedenfalls mehr als angemessen, dass wir nach so vielen Episoden exzessiven Trinkens, welches sich in Staffel vier besonders für Don zu einem wahren Problem entwickelt hat, dieser Tatsache hier eine so breite Plattform widmen.
Don't you wanna be close with anyone?
Was die Frauen angeht, weiß Don immer noch nicht so recht, was er will. Er setzt seine Verabredungen mit der braven Bethany fort, aber spätestens als er bei einem Date mit ihr auf Betty trifft und Bethany sichtliche Genugtuung darüber empfindet, dass sie der ehemaligen Mrs. Draper ein wenig ähnelt, ist dieser Zug für Don wohl endgültig abgefahren. Denn ihm ist hoffentlich ebenso klar wie dem Zuschauer, dass er mit einer jüngeren Variante Bettys niemals glücklich werden könnte. Bethany geht zwar im Taxi danach soweit, ihm einen ganz besonderen Vorgeschmack sexueller Art zu verschaffen ("…to be continued."), aber einen Mann wie Don kann sie damit nicht beeindrucken, im Gegenteil. Da ist die selbstbewusste Faye schon eher interessant für Don, besonders nachdem er sie so herrlich ordinär mit ihrem Freund Schluss machen hören hat. ("Go shit in the ocean!") Und uns als Zuschauer lässt es mehr als aufhorchen, dass der Mann, der keiner sich bietenden Gelegenheit widerstehen kann, Fayes Angebot auf mehr ausschlägt. Ich würde meinen, die Frage, welche der vielen in Staffel vier vorgestellten Damen eine wichtige Rolle in Dons Leben spielen wird, hat sich voerst einmal geklärt.
Aber nicht nur Don hat an diesem speziellen Abend im Restaurant zu knabbern, denn Betty trifft ihr unerwartetes Aufeinandertreffen direkt in die Magengegend. Sie kann mit der Situation überhaupt nicht umgehen und ist nahe davor, die Beherrschung zu verlieren. Diese Geschichte ermöglicht der Serie aber auch, den Charakter Henry Francis näher zu beleuchten, der als der neue Mann an Bettys Seite nun einmal fest zum Gefüge gehört. Ich muss sagen, ich finde seine Reaktion auf Bettys Verhalten im Restaurant leicht überzogen. Klar, Betty kann sich oftmals verhalten wie ein kleines Kind und ihre Worte und ihre Körpersprache in ihrem Streit mit Henry beweisen dies wieder einmal. Aber im Kern der Sache ist es nun einmal für jeden Menschen eine schmerzliche Erfahrung, den Ex-Partner beim Flirten zu sehen. Zumal wenn dieser einen wiederholt hintergangen und im Stich gelassen hat. Betty ist immer wieder ein enorm schwieriger Charakter, ihr Verhalten ihren Kindern und speziell Sally gegenüber machen es einem nicht leicht, Sympathien für sie zu empfinden. Aber wenn man einmal ihr Verhältnis zu Don völlig isoliert von allen anderen Faktoren betrachtet, kann man es ihr absolut nicht verdenken, dass sie ihm das verzweifelter, verlassener Mann-Verhalten nicht abkauft. Aus ihrer Sicht führt er das Leben, das er immer wollte, ohne Verpflichtungen und Konsequenzen. Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass sie erst Francines leichten Stubser in die richtige Richtung benötigt, um zu erkennen, dass sein "sad bastard"-Verhalten keine Fassade ist. Es ist hoffentlich ein Schritt zu einer wenigstens leicht entspannteren Beziehung zwischen ihr und Don, dass sie sein unerwartetes Auftauchen auf Genes Geburtstagsfeier gutheißt.
Henry kommt im Zuge dieser ganzen Geschichte wesentlich unsympathischer daher, erhält aber endlich einmal klarere Konturen als Charakter. Dass er sich sozusagen von Dons Geist bedroht fühlt wird immer klarer, schließlich lebt er in dessen Haus, mit dessen Familie und seine Frau hat offensichtlich mit ihren Gefühlen für ihren Ex-Mann noch nicht vollkommen abgeschlossen (wie kann sie auch, bei allem was vorgefallen ist nach lediglich anderthalb Jahren?). Da er nun einmal auch nicht das volle Ausmaß an allem, was zwischen Betty und Don vorgefallen ist, kennt, und er nur dessen offensichtlich rücksichtsloses und uninteressiertes Verhalten ihnen gegenüber sieht, kann man schon nachvollziehen, wie er dazu kommt, vor Don solch eine Show abzuziehen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich offensichtlich was er bezweckt, indem er vorm Haus seines Vorgängers demonstrativ den Rasen mäht, als dieser seine alten Kisten abholt. Und wie immer wieder bei dieser genial vielschichtigen Serie, weiß man ganz genau, dass er eigentlich Recht mit seinem Verhalten hat, aber man steht trotzdem voll auf Dons Seite.
You want some respect? Go and get it for yourself.
Ein zweiter wichtiger Aspekt dieser Episode ist die Art und Weise, wie sowohl Peggy als auch Joan mit dem unverhohlenen Sexismus umgehen, der ihnen entgegen schlägt. Und auch wenn die 60er Jahre mittlerweile weit hinter uns liegen und Frauen in wichtigen Positionen in Firmen keine solche Seltenheit mehr sind wie damals, ist dieser Aspekt auch heute noch nicht ganz vom Tisch. Deshalb ist es so schwierig, in diesem Konflikt eine Seite für die richtige zu erklären. Natürlich ist Peggys Weg, mit Joeys Verhöhnungen umzugehen, der objektiv betrachtet sinnvollere, aber auch Joan trifft mit den Worten "All you have done is to prove to them, that I'm another powerless secretary and you're a humorless bitch. einen wunden Punkt. Ich bin immer wieder absolut fasziniert und begeistert, dass gerade diese Serie, mit einem so klaren Fokus auf eine männliche Titelfigur und eine reine Männerdomäne, solch vielschichtige und mehrdimensionale Frauencharaktere besitzt. Und dass die Thematik ihrer Stellung in dieser Welt immer wieder äußerst sensibel, wertungsfrei und vor allem ohne eine leichte Antwort behandelt wird. Denn sowohl aus Peggys als auch aus Joans Sicht haben sie sich jeweils so verhalten, wie sie selbst es für richtig und der Situation angemessen gehalten haben. Peggy hätte niemals eine Chance gehabt, ihre Vorgesetztenstellung den anderen Kreativen bei SCDP gegenüber mit Respekt aufrechterhalten zu können, nachdem Joey ihr diesen Satz über die humorlosen Frauen ins Gesicht geknallt hat. Aber Joan hat natürlich auch nichts gewonnen, wenn sie Peggy dafür benötigt, ihre Ehre zu verteidigen. Joan hat jahrelang eine Aura der Macht um sich aufgebaut, die ganz auf ihrer subtilen, weiblichen Stärke beruht, aber diese schwindet nun vor ihren Augen, ob dies nun an ihrem steigenden Alter oder an den wandelnden Zeiten liegt. Und ich weiß nicht, in welchem Augenblick sie mir mehr leid getan hat: als Joey ihr mit seinem "What are you doing here besides walking around and trying to get raped." (Joey weiß nicht, was er da sagt, aber der Zuschauer natürlich schon) zeigt, was er von ihr hält oder als sie (wieder einmal) erkennen muss, dass ihr Mann keine Ahnung von ihrem Leben hat. Arme Joanie.
Und mit diesem Eklat, den Joey da herauf beschwört, führt er uns allen noch einmal wunderbar vor Augen, dass er zwar moderner und weniger autoritätshörig ist als die Generation junger Männer vor ihm (man erinnere sich nur an das Männergeschwader bei Sterling Cooper, die zwar hinter dem Rücken ihrer Vorgesetzten alle Arten von Anstößigkeiten losgelassen haben, es aber nie gewagt hätten, so mit Joan umzugehen), dabei aber genauso sexistisch und überheblich bleibt in all seinem liberalen Denken. Ich frage mich wirklich, welche Form des Chauvinismus schlimmer ist.
I tell you, I was blind, now I can see.
Kaum fehlt Roger mal in einer Episode und ist auch nicht in Form von "Sterling's Gold" indirekt präsent, komme ich fast schon ins Schwimmen, was meine Überschrift für die zusammenhanglosen Beobachtungen angeht. Zum Glück gibt es aber noch Miss Blankenship, die sich immer mehr vom reinen Cartooncharakter zum herrlich trockenen Comedy-Lieferanten entwickelt. Also, was es sonst noch zu erwähnen gibt:
- Pete hatte heute wieder einmal nicht viel zur Episode beizutragen, aber allein sein ahnungsloses "When did we get a vending machine?" war unbezahlbar. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber er entwickelt sich immer mehr zu einem meiner Lieblinge.
- Joey Superstar war heute sehr präsent, aber den Vogel schießt natürlich Harry ab, der ihm vorschlägt, sein Glück in Hollywood zu versuchen. Und Joey, ganz charmantes Arschloch, glaubt, Harry will ihn anbaggern. Hach, er war schon ein Schatz, der kleine Joey.
- Das Thema Vietnam rückt langsam aber sicher in den Fokus des Geschehens, kein Wunder beim weiteren Verlauf der Geschichte. Greg wird zum Training einberufen und Joan nutzt dieses Thema, um den Jungs eine denkwürdige Rede zu halten.
- Wer musste bei Bettys Behauptung, Don sei ihr einziger Mann vor Henry gewesen auch an den "armen" Captain Awesome denken?
- Und das Bild von Don, wie er allein ausgebreitet in seinem Bett schläft, erinnert frappierend an die Silhouette aus dem Vorspann.
- Ein Fakt, der mir das anfangs befremdliche Voice-over angenehmer werden lassen hat, war, dass es zum Ende der Episode hin immer spärlicher eingesetzt wurde. Wir wissen also immer noch nicht wirklich, was Don über Faye oder auch seine Entscheidung, doch an Genes Geburtstag teilzunehmen denkt, und das finde ich auch gut so.
Fazit
Man könnte wieder einmal stundenlang so weitermachen, und nachdem ich letztens erst wieder festgestellt habe, dass "Mad Men" sich ausgezeichnet dazu eignet, ständig Parallelen zwischen der Serie, dem Leben und den Menschen allgemein zu ziehen (speziell mit gleich gesinnten "Mad Men"-Anhängern) komme ich nun wieder einmal zum Ende, ohne auch nur ansatzweise die Episode zu Ende durchleuchtet zu haben. Es war eine Episode, die mutige stilistische Wege gegangen ist und die dies meiner Meinung nach außerordentlich gut gemeistert hat. Es war keine Offenbarung wie #4.08 The Suitcase, aber dennoch verdammt gutes Fernsehen.
Cindy Scholz - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: The Summer ManErstausstrahlung (US): 12.09.2010
Erstausstrahlung (DE): 03.04.2013
Regie: Phil Abraham
Drehbuch: Matthew Weiner, Lisa Albert & Janet Leahy
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