Bewertung
Get Well Soon

Vexations

Zwei Jahre ist es her, dass der unter dem Künstlernamen "Get Well Soon" bekannt gewordene Oberschwabe Konstantin Gropper mit seinem beachtlichen Debütalbum "Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon" international für Furore gesorgt hat. Nun meldet sich der Barockpopbarde mit seinem zweiten Streich, einem ambitionierten Konzeptalbum im Geiste großer Philosophen, zurück. Anlass für Ärgernisse liefert er damit, trotz gegenteiliger Andeutung im Albumtitel, keinen. Ganz im Gegenteil.

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Auf den ersten Blick scheint alles beim Alten geblieben zu sein. Einen himmelhoch jauchzenden Herrn Gropper sucht man auf "Vexations" ebenso vergebens wie auf dem Erstlingswerk, während sein zu Tode betrübtes Alter Ego erneut allgegenwärtig ist. Und doch unterscheiden sich die beiden Alben zum Teil ganz wesentlich voneinander. Vom DIY-Charme des komplett alleine, in den eigenen vier Wänden aufgenommenen Debüts ist auf dem professionell im Studio produzierten, live mit Orchester eingespielten Zweitling nicht viel übrig geblieben. Noch eindrucksvoller als die Instrumentierung gestaltet sich allerdings die dem neuen Album übergeordnete Thematik. Unter dem Deckmantel des Stoizismus hat das "German Wunderkind" nämlich etwas geschaffen, das vermutlich auch als vertonte Doktorarbeit in Philosophie durchgehen könnte.

Songtextfetischisten und Interpretationsfanatikern geht bei solch tiefschürfenden Inhalten bestimmt reihenweise das Herz auf. Denn zu entdecken und entschlüsseln gibt es auf "Vexations" jede Menge – vorausgesetzt natürlich, man bringt die nötige Geduld und Muße mit. So wird gleich zu Beginn Jean-Paul Sartres Roman "Der Ekel" gehuldigt ("Nausea"), ehe kurz darauf die Weisheiten und das tragische Ende des römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca thematisiert werden ("Seneca's Silence"). An anderer Stelle gedenkt Herr Gropper dem Attentat, das auf den berühmten Film- und Opernregisseur Werner Herzog verübt wurde ("Werner Herzog Gets Shot"), während bei "5 Steps / 7 Swords" der Schweizer Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross und ihrer 5-Phasen-Theorie Tribut gezollt wird. Diese Auflistung ließe sich beliebig lange fortsetzen, spiegelt jedoch auch schon in ihrem jetzigen Umfang die inhaltliche Komplexität des Albums wider.

Doch auch musikalisch geht Multiinstrumentalist Gropper dieses Mal in die Vollen. Ungehemmt frönt er sich seiner Leidenschaft für so manch nicht alltägliches Tonwerkzeug – Vibraphon, Marimba, Glockenspiel – und verleiht damit den klassisch gehaltenen Streichquartett-Blechbläser-Arrangements eine eigene, unverkennbare Note. Es sind jedoch nicht nur die ausufernd instrumentierten Momente, wie beispielsweise der herausragende Refrain des Album-Highlights "We Are Ghosts", die für Gänsehaut sorgen. So erinnert die fragile, vergleichsweise reduzierte Ballade "That Love" an ein großes Vorbild Konstantin Groppers, den amerikanischen Singer/Songwriter Bill Callahan. Spätestens bei der zentralen, mit schier unbändiger Verzweiflung vorgetragenen Frage "And where was that love when we needed it most?" beschleicht einen das Gefühl, dass es sich dabei um ein verloren gegangenes Stück von Callahans 2009er Geniestreich "Sometimes I Wish We Were An Eagle" handeln muss.

Ihren Höhepunkt erreicht die auf "Vexations" tief verankerte Traurigkeit schließlich bei "A Burial At Sea". Das Stück gleicht einem musikalischen Abschiedsbrief und lässt den Hörer unmittelbar am tragischen Abg(es)ang eines gescheiterten Protagonisten, der Bilanz über sein Leben zieht ("All in all, I had my share, laughter and tears") und schweren Herzens seine letzten Wünsche äußert ("Top of my wish list: To die misunderstood, to be larger than life after death, to be quoted in books still to come / And second: A burial at sea"), teilhaben. Sobald diese Worte verstummen, im Hintergrund leises Meeresrauschen einsetzt und ein dezenter Chor "Far away the ocean, far away the sea" anstimmt, geht einem das so nahe, wie es zuletzt bei "Hospice" von The Antlers der Fall war.

Bei einem so opulenten Werk wie "Vexations" lässt es sich wohl nicht vermeiden, dass die ein oder andere kritische Stimme das Gehörte für zu gewollt pathetisch befindet. Manch einer wird darüber hinaus anmerken, dass sich bei 14 Liedern und einer Gesamtlaufzeit von über einer Stunde ein paar unnötige Längen eingeschlichen haben. Und einer wiederum anderen Gruppe von Hörern erscheint womöglich das Album insgesamt zu verkopft, zu ausgehirnt, zu unzugänglich. Auch wenn bis zu einem gewissen Grad keiner dieser Skeptiker Unrecht hat, so muss man letztlich doch anerkennen, dass es sich bei "Vexations" um das in sich stimmige, zweite Gesamtkunstwerk eines ebenso begnadeten wie talentierten jungen Musikers handelt. Der frische Wind, der dank "Get Well Soon" durch die deutsche Indie-Szene weht, ist somit noch lange nicht abgeklungen.

Fazit

Schon beim Hören des Debütalbums drängte sich eine Frage immer und immer wieder auf: Wer zum Kuckuck braucht heutzutage eigentlich noch einen Conor "Bright Eyes" Oberst, wenn es doch mittlerweile in Form von Konstantin "Get Well Soon" Gropper eine deutlich bessere Alternative gibt? Der Anteil jener Musikliebhaber, die darauf ein dezidiertes "Niemand!" entgegnen, dürfte infolge der Veröffentlichung von "Vexations" drastisch in die Höhe schnellen. Ein Album mit und für Herz und Hirn, das die Latte für das noch junge Musikjahr 2010 sehr hoch legt.

Anspieltipps

We Are Free

That Love

We Are Ghosts

A Burial At Sea

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YouWillGetWellSoon.com

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Tracks

1.Nausea
2.Seneca's Silence
3.We Are Free
4.Red Nose Day
5.5 Steps / 7 Swords
6.We Are Still...
7.A Voice In The Louvre
8.Werner Herzog Gets Shot
9.That Love
10.Aureate!
11.We Are Ghosts
12.A Burial At Sea
13.Angry Young Man
14.We Are The Roman Empire

Willi S. - myFanbase
28.01.2010

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