Review: #1.03 Sein und Schein
Tiefe Einblicke in die Psyche und Vergangenheit öffnen neue Sichtweisen auf zahlreiche Charaktere. So gerät Juliettes vermeintlich perfekte Fassade durch das plötzliche Auftauchen ihrer Mutter ins Bröckeln. Unterdessen muss Rayna nach der Enthüllung über ihre Mutter, ihre Einstellung zu ihrem Vater Lamar hinterfragen und steht zudem am Scheideweg in Hinblick auf ihre berufliche und private Beziehung zu Deacon. Und Avery überrascht mit seiner Unterstützung für die weiter von mangelndem Selbstbewusstsein gezeichnete Scarlett.
"Do you even know me? The answer is never no."
Hayden Panettiere gelingt es auch in dieser Folge wieder, ihrem Charakter zwei völlig unterschiedliche Leben einzuhauchen. Gegenüber ihren Angestellten tritt sie einmal mehr dominant und unnachgiebig auf. Nach dem Motto "geht nicht, gibt’s nicht“ nimmt sie die Dinge lieber selbst in die Hand und setzt Deacon mit einem "Jetzt-oder-nie“-Angebot sehr galant unter Druck. Dabei ist es am Beispiel mit Deacon im Tonstudio klasse zu sehen, wie sehr sie sich in Bezug auf Gefühlsregungen bereits konditioniert hat. Innerhalb von Sekundenbruchteilen kann sie hier von Bitch auf strahlenden Unschuldsengel umschwenken.
Juliettes ohnehin schon recht komplexer Charakter bekommt durch das Auftauchen ihrer Mutter Jolene eine weitere interessante Note. Auf die zunächst kaltherzige Abfuhr folgt bei der Abkehr eine sichtlich angegriffene, weinende Juliette. Wir hatten ja bereits in der Pilotfolge (#1.01 Von Sternen und Sternchen) erfahren, dass ihre Mutter drogensüchtig ist und offenbar hat das auch Juliettes Kindheit und Jugend stark beeinflusst. Der Anblick der Urheberin ihrer schweren Vergangenheit lässt die Erinnerungen und den Schmerz wieder hochkochen. Daher mag die Aufnahme ihrer Mutter überraschend und vordergründig nur wegen der möglichen Gefährdung ihrer Karriere erfolgt sein. Ich bin mir jedoch sicher, unter ihrer harten Schale steckt neben einem Fünkchen Mitleid sicher auch Familiensinn, selbst wenn sie Jolene zunächst nur Ablehnung und Widerwillen entgegenbringt. Sie ist und bleibt nun einmal ihre Mutter. Auch der Diebstahl der Nagelpolitur am Ende der Folge ist ein sicheres Indiz für ihre psychischen Probleme, ausgelöst durch das Fehlen der Mutter in ihrem Leben. Ich bin kein Psychologe, aber es gibt doch zahlreiche Theorien, die behaupten, dass sich das Versagen von Liebe seitens der Eltern und das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, in einem für andere nicht erklärbaren Drang nach Kleptomanie äußern können. Nun setzt Juliette mit dieser unbedachten Tat ihre Karriere aufs Spiel. Ich bin sehr gespannt, wie sich diese Geschichte weiter entwickeln wird.
Deacon zeigt sich in diesem Zusammenhang ein weiteres Mal als guter Freund und Gesprächspartner, dem man sich gerne anvertraut. Er erkennt Juliettes Kummer und Nachdenklichkeit bei der Aufnahmesession ("Every song comes from somewhere.“) und es gelingt ihm, dass sie sich öffnet und von ihrer Mutter erzählt. Er tut Juliette gut und lenkt sie von ihren Problemen ab. Ihre Schwärmerei für eine gemeinsame Tour mit Deacon erinnert mich an einen verliebten Teenager. Das verfestigt noch einmal den Eindruck, dass sie wohl früh erwachsen werden musste, ihre Jugend nicht wie ein gewöhnlicher Teenager ausleben konnte und sich nach Liebe und Zuneigung sehnt.
"You prove her to have the same disregard for your marriage that she did for ours."
Rayna besinnt sich nach ihrem Gefühlschaos um Deacon wieder auf ihre Familie. Das steht ihr meines Erachtens auch gut zu Gesicht und lässt sie beispielsweise durch die Rührung beim Auftritt ihrer Töchter auch wieder sympathischer wirken. Die beiden Mädchen haben übrigens wirklich ein erstaunlich musikalisches Talent. Normalerweise kann ich singenden Kindern ja wenig abgewinnen, aber dieser Auftritt hat selbst mich überzeugt. Im Kampf um die Geldprobleme kann man es Rayna nicht unbedingt verübeln, das sie für die Teilnahme an der finanziell lukrativen Tour mit Juliette Barnes zu stolz ist. Andererseits könnte sie dies auch als Chance sehen, das Geld selbst zu verdienen und somit nicht auf finanzielle Unterstützung von Lamar angewiesen zu sein. Zumal dieser seine Hilfe für ihn typisch an Bedingungen geknüpft hat, die Rayna noch wesentlich mehr missfallen müssten. Für mich ist es daher auch nicht weiter verwunderlich, dass sie sich in ihrer Emanzipation von ihrem Vater nun nicht auch noch von ihm ihr Leben und ihre Karriere diktieren lassen will. Das macht sie ihm mit ihrem drastischen "go to hell“ dann auch mehr als deutlich.
Mit der Offenbarung ihre Mutter betreffend, gelingt den Autoren eine durchaus glaubhafte Erklärung für Lamars Verhalten, die ihn auch menschlicher zeichnet. Es muss schwer sein, wenn einen die eigene Tochter immer wieder aufs Neue an die schmerzhafte Vergangenheit und Liebe erinnert. Man ist nun sogar dazu geneigt, Mitleid für Lamar zu empfinden. Andererseits ist es auch unfair von ihm, Rayna die gleichen Fehler ihrer Mutter unterstellen zu wollen. Ich kann daher genauso gut ihre Sichtweise nachvollziehen, sollte Lamar seine Frau tatsächlich so wie nun Rayna behandelt haben. Das wissen wir als Zuschauer aber nicht und sind bislang auch noch nicht ausreichend mit den Figuren vertraut, damit ich mich hier schon auf eine bestimmte Seite schlagen könnte.
Gut gefällt mir in diesem Zusammenhang, wie Teddy seiner Frau zur Seite steht. Sicher wäre Lamars Scheck die Lösung ihrer Probleme. Aber er weiß natürlich um das angespannte Verhältnis der beiden und gibt Rayna unterstützend den Ratschlag, den Scheck einfach zu zerreißen, um sich besser fühlen zu können. Dass er letztendlich die Verantwortung für die Geldprobleme übernimmt und diese auch selbst aus der Welt schaffen will, verleiht Teddy auch endlich etwas mehr Stärke, Profil und Sympathie. Wirkte er bislang doch bloß wie eine Marionette in Lamars Machtspielchen. Und eine Leiche scheint auch Teddy noch im Keller zu haben, wie mich sein Rückzieher bei der Bank bei der Überprüfung seiner Geldgeschäfte vermuten lässt.
Auch die bislang sehr im Hintergrund agierende Tandy erlangt erstmals mehr Persönlichkeit. Sie hat die Affäre der Mutter lange zurückgehalten, um Raynas Erinnerungen an ihre Mutter nicht zu zerstören. Das charakterisiert Tandy als große Schwester, der das Wohl ihrer Angehörigen am Herzen liegt. Außerdem ist es auch ein Erklärungsansatz dafür, warum sie wohl Lamar näher steht.
"Because you and music – there’s no difference, you know? It’s the same."
Infolge der Enthüllung um ihre Mutter geht Raynas Vermeidungstaktik in Sachen Deacon nicht auf. Sie braucht jemanden, dem sie sich anvertrauen kann und bezeichnenderweise ist das nicht ihr Ehemann Teddy, sondern Deacon. In einer sehr emotionalen Szene realisiert Rayna aber schließlich, dass dies die falsche Entscheidung war. Sie muss Deacon sowohl in Sachen Musik als auch in Bezug auf ihr Privatleben gehen lassen, weil dies in ihrem Fall zwei untrennbare Ebenen sind. Die Einsicht, dass es unfair von ihr ist, von ihm zu verlangen, zwischen diesen Dingen unterscheiden zu können, steht ihr dabei gut zu Gesicht und war auch dringend von Nöten. Auch wenn sie es eigentlich nicht will, wird sie Deacon damit sehr verletzen. In meinen Augen tut sie aber das Richtige, selbst wenn es sich in diesem Moment noch nicht so für sie anfühlen mag.
Mit der nun möglicherweise frühen Trennung von zwei eng verbundenen Hauptfiguren, wagen die Autoren einen sehr mutigen, wenn auch für die Handlung und Charakterzeichnung wichtigen Schritt. Ich bin gespannt, wie konsequent sich nun die Leben dieser beiden Figuren auseinanderentwickeln werden oder ob sich deren Wege nicht doch schneller wieder kreuzen als gedacht.
"You got to have to take the pressure off. All you are is the way the music gets heard."
Auch wenn sich das Triangle aus Scarlett, Avery und Gunnar noch immer losgelöst von den anderen Handlungssträngen abspielt, ist deren Geschichte alles andere als uninteressant. Im Gegenteil. Es ist spannend mit anzusehen, wie Scarlett und Gunnar ihre ersten Schritte in der Welt des Musikbusiness machen. Und es ist auch nur allzu verständlich, dass nicht gleich alles glatt geht, wenn man erstmals in einem Tonstudio steht. Noch dazu wenn dort schon all die persönlichen Vorbilder der Country Szene ihre Songs aufgenommen haben. Ich verstehe das auch als ein Zeichen von Respekt und wäre selbst bestimmt ähnlich aufgeregt wie Scarlett gewesen. Es spricht auch für die Autoren, dass sie Scarletts bisherigere Charakterzeichnung einer jungen Frau mit mangelndem Selbstvertrauen schlüssig fortführen.
Einmal mehr hinterlässt auch Gunnar bei mir einen positiven Eindruck, der mit seinem feinen Gespür für Scarletts Empfindungen den eigentlichen Grund ihres selbst auferlegten Drucks erkennt. Sie hat Angst, Avery durch ihren eigenen Erfolg zu verlieren. Dass Avery nicht gerade erfreut ist, dass er dies von Gunnar und nicht von Scarlett selbst erfahren muss, ist dann aber auch nachvollziehbar. Dennoch sehe ich bei Avery ein wenig die Gefahr, dass er auf Scarletts Erfolg doch eifersüchtig ist. Zeichen dafür gibt es durchaus. Seien es seine skeptischen Blicke auf Scarlett und Gunnar beim Songwriting oder wenn er gegenüber Gunnar im Gespräch stets kurz angebunden ist. Andererseits überrascht Avery mich wieder positiv, als er unter Zuhilfenahme eines Schneebesens die Studiosituation simuliert, um Scarlett von ihrem Druck zu befreien. Das wirkt tatsächlich aufrichtig und führt bei Scarlett zum Erfolg, was zugleich ihre starken Gefühle und Vertrauen ihm gegenüber verdeutlicht. Doch meine Skepsis in Sachen Avery überwiegt. Sein Studiobesuch schien mir doch eher ein Versuch zu sein, auch einen Fuß in die Tür zu bekommen. Ob sich meine Vermutungen bestätigen, werden die nächsten Folgen sicherlich zeigen.
Der Handlungsstrang weiß außerdem mit der erfrischend natürlichen Ausstrahlung der Darsteller, insbesondere von Clare Bowen und Sam Palladio, aber auch durch die authentisch, handgemachte Musik der beiden zu überzeugen. Das ist Gefühl und Harmonie nahe der Perfektion. Der beste Song der Folge ist für mich daher auch ihr Duett "Fade into You“.
Fazit
Insgesamt gefiel mir #1.03 Sein und Schein wieder besser als die Ausgabe der Vorwoche. Es gelingt den Autoren ziemlich gut, den Figuren zunehmend ein eigenes und durchaus vielseitiges Profil zu verleihen. Die Handlung um Juliette nimmt mit dem Auftauchen ihrer Mutter nun noch mehr an Fahrt auf und verleiht ihrem Charakter weitere verletzliche Züge. Da bin ich besonders gespannt, welche Folgen das für Juliette noch haben wird. Auch Lamar profitiert durch diese Episode und verliert an seiner bisherigen Eindimensionalität als bloßes Ekelpaket. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, wünsche ich mir aber noch immer eine bessere Einbindung von Scarlett, Gunnar und Avery in die Haupthandlung um Rayna und Juliette. Aber das ist schon Jammern auf recht hohem Niveau.
Jan H. - myfanbase
Die Serie "Nashville" ansehen:
Vorherige Review: #1.02 Evergreen | Alle Reviews | Nächste Review: #1.04 Verschiedene Welten |
Diskussion zu dieser Episode
Du kannst hier mit anderen Fans von "Nashville" über die Folge #1.03 Sein und Schein diskutieren.
Informationen zur Episode
Englischer Titel: Someday You’ll Call My NameErstausstrahlung (US): 24.10.2012
Erstausstrahlung (DE): kein Termin
Erstausstrahlung (Pay-TV): 12.03.2013
Regie: Michael Engler
Drehbuch: Liz Tigelaar
Links
Jetzt ansehen/bestellen
Episode jetzt bei Apple TV+
ansehen
Episode jetzt bei Amazon.de
ansehen
DVD jetzt bei Amazon.de
bestellen
Meistgelesen
Aktuelle Kommentare
22.11.2024 21:56 von Chili_vanilli
Cruel Intentions: Cruel Intentions
Hat schon jemand reingeschaut? Bin akutell bei Folge 1... mehr
20.11.2024 15:18 von Catherine
Liebeskolumnen: Rory & Dean, Teil 3
Ich glaube, es wurde während des "Gilmore... mehr