Bewertung

Review: #1.06 Megan O'Hara

Foto: Dylan Walsh, Nip/Tuck - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
Dylan Walsh, Nip/Tuck
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Die Grundthematik dieser Episode ist der Umgang mit persönlichem Verlust. Alle drei männlichen Protagonisten der Serie stehen in der hiesigen Episode vor einer Entscheidung, die sich durch die vergangenen Ereignisse entwickelt hat und nun ihren weiteren Weg ebnen wird. Interessant ist dabei vor allem, dass alle ein wenig aus ihrem üblichen Verhaltensmuster herausbrechen und sich in neues Territorium wagen.

"Don't make the mistake of healing the internal problem with an external fix."

Für Sean markiert diese Episode den Ausbruch aus seinem bisherigen Verhalten. Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben ihn so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht, dass er nun unweigerlich einen Zusammenbruch erfährt. Das Baby war der Strohhalm an den Sean sich so fest geklammert hat, die letzte Hoffnung all seine derzeitigen Probleme noch irgendwie bewältigen zu können. Doch mit der Fehlgeburt liegt nun ein Scherbenhaufen vor ihm. Seine Pläne beruflich kürzer zu treten und all die Erziehungsfehler der Vergangenheit bei seinem dritten Kind wieder gut zu machen, sind nun hinlänglich. Er hat all seine Hoffnung in das ungeborene Kind gesteckt, er hatte den Traum durch dieses Kind einen Neuanfang mit Julia und seiner Familie bekommen zu können und war so überzeugt von dieser Idee, dass er dem ungeborenen Kind sogar schon einen Namen gab. All dies ist mit der Fehlgeburt wie eine Seifenblase zerplatzt.

Und so suhlt sich Sean zunächst in Mitleid, verfällt in eine regelrechte Depression, denkt jedoch nicht daran etwas zu ändern. Es kommt ihm nicht in den Sinn dennoch beruflich kürzer zu treten, sich vermehrt Annies und Matts Erziehung zu widmen und seiner Frau somit bei ihrem Zweitstudium entgegen zu kommen. Ohne das Kind sieht er keine Notwendigkeit aus seinem alten Muster herauszubrechen, da es für ihn keinen Sinn macht an der derzeitigen Situation zu arbeiten. Und so schlittert er unbemerkt in eine Midlife-Crisis, die sich hier dadurch andeutet, dass er seine Patientin Megan küsst und damit den Kodex bricht, den er Christian immer wieder vorhält. Anstatt an seiner Ehe mit Julia zu arbeiten, flüchtet sich Sean in eine Phantasie und widerspricht damit allen Moralvorstellungen, die er sonst immer so hochgehalten hat. Er betrügt seine Frau, er riskiert seine Ehe und er lässt sich auf eine Patientin ein. Es scheint, dass Sean hier zum ersten Mal ausschließlich emotional reagiert und jegliche Rationalität ablegt.

"The only other time I felt remotely this powerless was in the early 90's when some chick slipped her finger up my butt with no warning!"

Genau entgegen gesetzt steht dazu Christian in dieser Episode, der zwar immer noch seine alten Verhaltensmuster an den Tag legt und mit jeder Frau ins Bett steigt, die sich dafür anbietet, jedoch ist er am Ende gewillt den Versuch einer Beziehung zu unternehmen. Auslöser dafür ist der stetige Vandalismus an seinen Sachen. Nachdem ihn Grace darüber aufgeklärt hat, dass der Vandalismus als eifersüchtige Geste gedeutet werden kann, grast Christian die Frauen ab, mit denen er in den letzten Wochen geschlafen hat und ist schließlich der festen Überzeugung, dass Gina die Schuldige ist. Als er glaubt diese auf frischer Tat ertappt zu haben, brennt eine Sicherung bei ihm durch und er droht ihr nicht nur, sondern wendet sogar Gewalt an, was ein erschreckendes Bild ist. Sein Materialismus ist so extrem, seine Selbstdefinition anhand von Luxusgütern soweit fortgeschritten, dass er bspw. sein Boot nicht nur als "sein Kind" bezeichnet und somit einen Vergleich zwischen Julias Fehlgeburt zu dem Vandalismus an seinem Boot zieht, sondern dieser letztlich in der Gewaltanwendung gegen eine Frau mündet. Der Grund dafür wird mit großer Sicherheit sein, dass er nie eine wirklich emotionale Bindung zu anderen Menschen hatte. Seine Mutter hat ihn verstoßen, sein Pflegevater ihn missbraucht und zu Frauen pflegt er rein sexuelle Beziehungen, vornehmlich One-Night-Stands. Einzig Sean, Julia und deren Kinder lässt Christian emotional an sich heran, doch seit der Auseinandersetzung mit Julia ist auch diese Bindung nahezu nicht mehr vorhanden. Nun unternimmt Christian den Versuch eine Beziehung mit Kimber einzugehen, unwissend, dass sie es eigentlich ist, die den Vandalismus begangen hat. Es wird nicht lange dauern, bis Christian dies herausfindet, und somit wieder an einen Punkt ankommen wird, der ihn selbst darin bestätigt, dass emotionale Bindungen ein Laster und keinesfalls förderlich sind.

"It may sound weird, but maybe it's some modern way for Vanessa and I to be together."

Auch Matt wird in dieser Episode gezwungen sich mit seinen Gefühlen auseinander zu setzen, als Vanessa ihm vorschlägt einen Dreier mit ihr und ihrer Freundin Ridley zu haben. Wie nahezu jeder Junge in Matts Alter, ist dieser natürlich extrem angetan von der Idee mit zwei Frauen gleichzeitig zu schlafen und sich somit eine Phantasie zu erfüllen, die wohl jeder Jugendliche besitzt, der im Zeitalter des Internets und der auch ansonsten sexuell aufgeladenen Medienlandschaft aufgewachsen ist. Während es zunächst so scheint, dass Matt der Sache vollkommen eigennützig und experimentierfreudig zustimmt, zeigt sich schließlich, dass er unter anderem durch diese Aktion hofft seiner Exfreundin Vanessa wieder näher zu kommen. Da diese Matt jedoch gleich zu Beginn vor den Kopf stößt und verdeutlicht, dass es ihr ausschließlich darum geht ihre Freundin sexuell zu befriedigen und Matt somit nur Mittel zum Zweck ist, nutzt Matt letztlich die Gelegenheit es Vanessa heimzuzahlen und sie im richtigen Moment auszuschließen. Am Ende ist es Vanessa die dabei zusehen muss, wie Matt und Ridley miteinander schlafen, ohne die Chance zu haben sich selbst wieder ins Spiel zu bringen. Wie so oft bei Dreierkonstellationen bleibt eine Person außen vor. In diesem Fall ist es Vanessa, die das ganze erst initiiert hat und nun erkennen dürfte, dass man eine Person nicht an sich binden kann, indem man sich selbst vollkommen zurück nimmt und nur auf die Wünsche des anderen eingeht.

Tighten Up

Relativ randständig, wenn auch als Rahmung der gesamten Episode, wird hier die Geschichte von Bliss Berger erzählt. Die Thematik einer falschen Online-Identität ist immer wieder willkommener Stoff für diverse Serien und Filme, und auch hier wird damit gespielt. Sowohl Bliss als auch ihre Online-Bekanntschaft Isaac haben sich unter verzerrten Wahrheiten ineinander verliebt, indem sie ihr wahres Äußeres verheimlicht haben. Doch während Bliss unter extremen Anstrengungen 70 Kilogramm verloren und sich einer Schönheitsoperation unterzogen hat, um ihrer Lüge so nah wie möglich zu kommen, hat Isaac nichts dergleichen getan und wahrscheinlich vielmehr darauf gesetzt, dass die inneren Werte zählen. Nicht nur das schockierte Gesicht von Bliss am Ende, sondern ihre gesamte Tortur sich auf dieses Treffen vorzubereiten, dürften jedoch deutlich machen, dass Bliss die Äußerlichkeiten in jedem Fall deutlich mehr sind als die inneren Werte. Und immerhin hat sie extrem an sich gearbeitet, um einen perfekten (ersten) Eindruck zu machen und erkannt, dass trotz der monatelangen Online-Bekanntschaft die Bedürfnisse von Menschen nicht ersetzt werden können, vor allem nicht, wenn man sich ganz anders darstellt, als man eigentlich ist.

Fazit

Da alle Charaktere ein wenig aus ihrem üblichen Schema herausgebrochen sind, wusste die Episode sehr gut zu unterhalten. Drehbuchautorin Jennifer Salt hat großartige Arbeit geleistet jegliche Handlung der Charaktere nachvollziehbar darzustellen und bei allen Handlungssträngen die einzelnen Seiten zu beleuchten. So kann man Seans Hilflosigkeit und die Konsequenz in Bezug auf Megan durchaus verstehen, wenn es auch gleichermaßen nachvollziehbar ist, wieso Julia vollkommen anders mit der Fehlgeburt umgeht. Man hat außerdem Verständnis für Kimbers übertriebene Reaktion und rechnet es Christian hoch an, dass er den Versuch unternimmt sich zu ändern. Einzig Matts Handlungsstrang fügt sich leider nicht nahtlos in die Grundthematik der Episode ein und wirkt – zumindest zu Beginn – ein wenig zu übertrieben.

Annika Leichner - myFanbase

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