Bewertung

Review: #4.03 Der Gott-Komplex

Die ersten zwei Folgen der vierten Staffel von "Private Practice" waren für mich mehr als nur enttäuschend. Ich konnte mich weder mit den Storylines noch mit dem Verhalten der einzelnen Charaktere anfreunden und wenn ich ehrlich bin, habe ich mich schon auf eine Wiederholung, der meiner Meinung sehr schlechten zweiten Staffel eingestellt. Doch die dritte Episode der aktuellen Staffel belehrt mich eines Besseren. Endlich wird der Folge wieder ein Hauptthema gegeben, welches sich wie ein roter Faden durch die ganze Episode zieht. Endlich stehen nicht mehr irgendwelche an den Haaren herangezogene Beziehungsprobleme im Raum und es tauchen für einmal bei den Charakteren auch keine unrealistische oder untypischen Eigenschaften auf. Der Handlungsstrang dreht sich viel mehr um ein realistisches Problem in der Welt der Ärzte und trotz einer gewissen Vorhersehbarkeit der einzelnen Storylines, die mich persönlich dieses Mal überhaupt nicht gestört hat, bleibt die Folge bis zum Ende mitreißend und emotional.

"Your job isn’t to judge his life, your job is to save his life, that’s all."

Jeder hat den Spruch "Ärzte spielen Gott" sicherlich schon mal gehört und auch wenn diese Redewendung meistens nicht ganz ernst gemeint ist, steckt sicherlich doch ein Stück Wahrheit in ihr. Ärzte können, sollten aber nicht, in manchen Situationen über Leben und Tod entscheiden. Ich kann mir jedoch sehr gut vorstellen, dass es Momente gibt, in denen ein Arzt sich überlegt für seinen Patienten diese Entscheidung zu treffen. Man stelle sich nur einmal vor, dass man einen Patienten auf dem Operationstisch hat, der gar nicht weiter leben will. Sei es beispielsweise aus dem Grund, dass er schwer krank ist und er auch nach der Operation kein normales, schmerzfreies Leben mehr führen kann. In so einer Situation könnte einem Arzt bestimmt der Gedanke durch den Kopf gehen, dass der Patient ihm wahrscheinlich dankbar wäre, wenn er nicht alles tun würde, um sein Leben zu retten.

Ein anderes Beispiel welches einen Arzt dazu bringen kann, eine solche Entscheidung zu treffen, wird dem Zuschauer durch die Rückblicke in Sams Vergangenheit offenbart. Sam hat vor zwölf Jahren bei einer Herzoperation einen Patienten sterben lassen, da dieser ihm kurz zuvor gestanden hat, dass er ein Kinderschänder ist. Doch wie Addison zu Sam vor der Operation treffend sagt, ist es nicht seine Aufgabe über Leute zu urteilen, sondern seine Aufgabe ist es, Leben zu retten. Das heißt, es ist keinem Arzt bestimmt Gott zu spielen, sondern er hat sich wie alle anderen auch an die Gesetze und Regeln zu halten. Hier kann man die Parallele zu Petes Storyline in dieser Episode erkennen und es hat mir sehr gut gefallen, wie dargestellt wurde, dass zwei unterschiedliche Handlungen von Ärzten in unterschiedlichen Situationen etwas Ähnliches aussagen können. Nämlich, dass es ihnen nicht erlaubt ist, sich über andere Menschen hinwegzusetzen und Regeln und Gesetze zu brechen.

Die Tatsache, dass sie sich in den jeweiligen Situationen falsch verhalten oder falsch verhalten haben, ist sowohl Sam wie auch Pete klar, und beide ziehen schlussendlich auch Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten. Sam, indem er gleich nach dem Tod des Pädophilen auf seinem Operationstisch seine Karriere als Herzchirurg an den Nagel hängt, und Pete, indem er sich dazu entschließt, keine illegalen Operationen mehr durchzuführen und seinem ehemaligen Freund sogar droht ihn anzuzeigen, sollte dieser weiter bei sich Zuhause Menschen operieren.

Der Handlungsstrang von Sam wird meiner Meinung nach durch seinen Besuch bei Troy Hagen gut abgeschlossen. Es wäre absolut kitschig und unrealistisch gewesen, hätte Sam Hagen verziehen. Aber seinen Rat an ihn, sich operieren zu lassen und anschließend der Hinweis an Charlotte betreffend des Pseudo-Aneurysma zeigen, dass Sam inzwischen verstanden hat, dass er nicht derjenige ist, welcher über die Menschen urteilt und die Entscheidung über Gut und Böse treffen kann, sondern, dass sein Beruf ihm die Pflicht auferlegt hat, alles zu tun, um ein Menschenleben zu retten.

Bei Petes Storyline hat mir ein solcher Abschluss etwas gefehlt. Petes Antrieb seinem Freund bei den illegalen Operationen zu helfen, ist neben der persönlichen Befriedigung, die ihm durch die Rettung eines Menschenlebens durch eine Operation zukommt, die Tatsache, dass es Menschen gibt, die so arm sind, dass sie sich keine medizinische Versorgung in einem Krankenhaus leisten können. Dadurch, dass sich Pete zum Schluss entscheidet, einmal in der Woche eine Schicht in der Notaufnahme zu übernehmen, löst er sein persönliches Problem, nämlich, dass er dadurch seine Arbeit wieder etwas interessanter gestalten kann und dadurch den "Nervenkitzel", welchen er vermisst hat, teilweise zurückbekommt. Doch das viel grundlegendere Problem, dass es Menschen gibt, die finanziell auf zu schwachen Füssen stehen, um sich medizinisch richtig versorgen zu lassen, wird nicht weiterverfolgt. Ich hätte mir hier gewünscht, dass sich Pete wenigstens Gedanken darüber macht, ob und wie sich diese Situation verändern ließe.

"Explain to me. Why my husband would risk everything? His practice, his medical license, his family, because some old ghost from his past ask him to."

Der Ehe von Pete und Violet stehe ich immer noch sehr skeptisch gegenüber und daran konnte auch der gute Handlungsstrang in welchen Pete in dieser Episode involviert war, nichts ändern. Denn Violet hat in meinen Augen bis zum Schluss nicht einmal versucht, Pete und seine Handlungen zu verstehen. Ihre Reaktion bestand darin, dass sie Pete vorwirft, dass er alles riskiert, um einem Freund zu helfen. Nicht ein einziges Mal zieht sie in Erwägung, dass Pete sich so verhält, weil er diesen Menschen helfen will, weil er mit seinen Handlungen dazu beitragen will, dass diese armen Leute eine bessere medizinische Versorgung bekommen.

Auch Pete kann sich seiner Ehefrau gegenüber nicht öffnen und mit ihr über seine Gefühle und seine Beweggründe sprechen. Dies drückt für mich ein mangelndes Vertrauen in der Beziehung aus und dies finde ich ziemlich bedenklich, wenn man die Tatsache miteinbezieht, dass die Ehe durchaus noch nicht allzu lange besteht, Pete und Violet zuvor jedoch Freunde waren und somit dieses Vertrauensverhältnis eigentlich vorhanden sein sollte. Meine Bedenken, dass Pete und Violet viel zu überstürzt geheiratet haben und sich dadurch eher voneinander entfernen als zueinander finden, wurde in dieser Episode leider nicht aus der Welt geschaffen.

Wenigstens bemerkt Violet zum Schluss, dass Pete bei seiner Arbeit etwas vermisst und dies sicherlich teilweise auch ein Grund war, weswegen er Gibby bei dessen illegalen Operationen zur Seite gestanden hat. Ihre Bemühungen, eine Lösung zu finden, damit Pete ab und zu für eine Schicht in der Notaufnahme des Krankenhauses arbeiten kann, sprechen dafür, dass ihr diese Ehe wirklich am Herzen liegt und sie auch will, dass sie funktioniert.

"But the truth is, I don’t see what you see. I mean, everytime when I walk trough that front door with you, I remember the first time I brought you here..."

Viel realistischer wirkt für mich die Beziehung zwischen Cooper und Charlotte, vor allem da sich Cooper nun scheinbar von seiner schon fast krankhaften Besessenheit im Bezug auf Violet und seiner Freundschaft zu ihr verabschiedet hat. Dass Charlotte schlechte Erinnerungen mit Coopers Wohnung in Verbindung bringt, ist absolut verständlich genauso wie die Tatsache, dass sie vorerst nicht mit Cooper darüber reden kann, vor allem da sie sicherlich festgestellt hat, dass er in dieser Beziehung nicht gleich fühlt, wie sie. Natürlich hätte sie ihn irgend einmal damit konfrontieren müssen, dass sie umziehen will, schließlich kann man einen solchen Schritt nicht allzu lange vor dem Partner geheim halten. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass Charlotte einfach nicht wusste, wie sie Cooper darauf ansprechen sollte, obwohl hier der direkte Weg sicherlich am einfachsten gewesen wäre.

Coopers Reaktion auf Charlottes Gefühle und auf den gewünschten Wohnungswechsel hat mich positiv überrascht und hat mir gezeigt, wie viel Cooper diese Beziehung bedeutet und wie sehr er sich Mühe gibt, dieses Mal alles richtig zu machen. Wichtig fand ich jedoch, dass Cooper nicht einfach einlenkt und einem Wohnungswechsel zustimmt, sondern dass er seine Sicht der Dinge klarstellt und Charlotte mitteilt, dass er nicht wie sie empfindet, sondern mit seiner Wohnung Erinnerungen an die guten Zeiten ihrer Beziehung verbindet. Die Entscheidung, nun neue Erinnerungen zu schaffen, sehe ich als Zeichen, dass Charlotte und Cooper ihre Vergangenheit nun zur Seite schieben und in ihrer Beziehung zusammen nach vorne blicken, sei es nun in Coopers alter Wohnung oder in einem neuen gemeinsamen Heim.

"I know Sam" – "No, no I know Sam. You’re just sleeping with him."

Naomi war für mich die größte Überraschung in dieser Folge. Wenn ich ehrlich bin, habe ich befürchtet, dass Naomi, nachdem sie von der Beziehung zwischen Addison und Sam erfährt, wieder im Selbstmitleid versinkt. Doch glücklicherweise ist dies nicht eingetreten. Auch wenn Naomi zwar zu Anfang versucht, die Beziehung zwischen Addison und Sam locker zu sehen, merkt man an ihren Bemerkungen gegenüber Addison, dass sie sowohl die Beziehung zwischen ihrer besten Freundin und ihrem Ex-Ehemann, wie auch die Heimlichtuerei unheimlich verletzt hat.

Gut hat mir das Gespräch zwischen Sheldon und Naomi gefallen, indem Sheldon ihr klarmacht, dass sie ihre Wut zulassen und sie ruhig gegenüber Addison auch äußern soll. In der letzten Zeit wurde die Freundschaft zwischen Addison und Naomi ziemlich oft auf die Probe gestellt, und dass Naomi, nachdem sie von Addisons und Sams Beziehung erfahren hat, die Freundschaft zu Addison nicht beendet, sondern nur erst einmal etwas Abstand zu ihr haben will, beweist große Stärke.

Doch auch Addison hat in dieser Episode Stärke bewiesen, indem sie Naomis Beleidigungen nichts entgegenhält und indem sie zugibt, dass Sam zur Zeit Naomi braucht, weil sie selber nichts für ihn tun kann. Ich denke gerade dieser Schritt ist ihr aufgrund der Situation in der diese drei stecken nicht leicht gefallen. Doch es war auf alle Fälle die richtige Entscheidung und Naomis Verständnis für Sam hat diesem geholfen, sich wenigstens teilweise selbst zu vergeben.

"Am I a good man?" – "Yes"

Wie schon erwähnt, hat mir der Handlungsstrang rund um Sam sehr gut gefallen. Als einziges scheint es mir etwas unrealistisch, dass Addison ihn zwölf Jahre lang nie wieder auf dieses Ereignis damals angesprochen hat, oder wenigstens versucht hat ihn dazu zu bringen mit Naomi darüber zu reden. Denn so wie der Rückblick und Addisons Reaktion damals dargestellt wurde, besteht für mich kein Zweifel daran, dass sie genau wusste, was Sam getan hat und in Anbetracht von Addisons Charakter, und dass Sam schon damals zu einem ihrer besten Freunde zählte, hätte sie ihn eigentlich mit seiner Entscheidung konfrontieren müssen.

Doch abgesehen von diesem kleinen Schönheitsfehler fand ich sowohl Sams Erinnerungsrückblick, den Troy Hagen auslöst, sowie auch Addisons Reaktion auf Sams Verhalten, sehr gut geschrieben. Sams Verhalten gegenüber Hagen ist am Anfang sicherlich absolut nachvollziehbar. Schließlich hat dieser Mann Dell auf dem Gewissen und hat das Leben von Maya und ihrem ungeborenen Kind gefährdet. Also scheint es mir nur allzu verständlich, dass Sam mit diesem Mann nichts zu tun haben will und ihn nicht in seiner Praxis sehen will. Zuerst schien es mir fast ein wenig unrealistisch, dass die anderen so ruhig, ja fast emotionslos auf das Auftauchen von Hagen reagiert haben. Doch durch den Rückblick in Sams Vergangenheit wurde klar, dass die anderen Hagen zwar nicht vergeben haben, sie jedoch im Gegensatz zu Sam die Trauer um Dell nicht mit Hass auf den Verantwortlichen des Unfalles verarbeiten.

Bei Sam hingegen wird durch das Auftauchen von Hagen und durch dessen Herzinfarkt sofort ein Ereignis aus seiner Vergangenheit wieder hervorgerufen und er muss sich endlich damit auseinandersetzten, etwas was er bis jetzt vermieden hat. Das was damals passiert ist, wird Sam sicher ein Leben lang verfolgen, aber ich denke, indem er sich Naomi geöffnet hat, konnte er einen Teil davon verarbeiten. Dies scheint mir vor allem deshalb wichtig zu sein, weil dieses Ereignis wohl mit ein Grund war, weswegen die Ehe zwischen ihm und Naomi in die Brüche ging. Für mich war Sams Zusammenbruch in Naomis Armen und ihr Verständnis für ihn ein guter Abschluss für diese Beziehung und ich hoffe die Beiden können sich jetzt von ihrer gemeinsamen Vergangenheit etwas lösen, die guten Zeiten in Erinnerung behalten und eine Freundschaft zueinander aufbauen.

Auch wen Sam sich Addison nicht anvertrauen konnte, gefielen mir die gemeinsamen Szenen der Beiden sehr gut. Denn ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass auch Addison um diese Beziehung kämpfen wird, und dass es ihr wichtig ist, dass dies mit Sam und ihr funktionieren wird.

Fazit

Eine überraschend gute Folge, die sich endlich wieder einmal auf einen guten Handlungsstrang konzentriert hat und sich von den für mich eher lächerlich wirkenden Beziehungsproblemen innerhalb der Praxispartner gelöst hat. Abgesehen davon wurde mit dem "Gott-Komplex" ein interessantes Thema aufgegriffen und damit aufgezeigt, dass sich Ärzte oft in Situationen wiederfinden, die moralisch sicherlich schwierig zu beurteilen sind. Man kann nur hoffen, dass es sich bei den ersten zwei Folgen der vierten Staffel um ein Anfangstief handelte, und sich die Serie nun auf dem guten Level dieser Episode halten kann.

Maria Schoch - myFanbase

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