Ein zweites Grey's Anatomy? - Review Staffel 1

Foto:

"Private Practice", der Ableger von "Grey’s Anatomy", sollte es eigentlich schwer haben, denn im Schatten einer derart erfolgreichen Serie zu stehen, ist sicherlich nicht so einfach. Doch entgegen den Erwartungen, hat sich "Private Practice" im stark umkämpften Serienmarkt vorerst durchsetzen können. Nicht nur die Zuschauer des US-Senders ABC, sondern auch die deutschen Zuschauer von ProSieben waren von dem Spinoff überzeugt. Nach den neun interessanten und mitreißenden Episoden der ersten Staffel soll hier nun eine kurze Bilanz gezogen werden.

Die Besetzung

Keine Frage, die Besetzung von "Private Practice" ist fast durchweg gelungen. Allen voran natürlich Kate Walsh, Darstellerin der Addison Montgomery. Wie schon zu Zeiten ihres Engagements bei "Grey's Anatomy" mag ich Kate Walsh unglaublich gerne. Dennoch habe ich eine alte Bekannte für mich wiederenteckt, die in einigen Szenen Kate Walsh beinahe schon die Show stiehlt: Amy Brenneman. Der aus "Für alle Fälle Amy" bekannten Darstellerin gelingt es immer wieder, die Selbstzweifel und Emotionen, die ihr Charakter Violet an den Tag legt, überzeugend zu spielen.

Mit Audra McDonald konnte ich dagegen anfangs nicht so recht warm werden. Sie wirkte in jeder Szene recht genervt und war meiner Meinung nach kein besonders guter Ersatz für Merrin Dungey, die im Backdoor-Piloten die Rolle der Naomi Bennett übernommen hatte. Nach neun Folgen habe ich mich an "die Neue" gewöhnt, auch wenn ich Merrin in der Rolle lieber gesehen hätte. Zu guter Letzt komplettiert KaDee Strickland, übrigens die einzige blonde Schauspielerin im Ensemble, das Frauen-Quartet. Ihre Rolle als Leiterin des Saint Ambrose Hospitals war im Backdoor-Pilot noch nicht zu sehen, so dass man mit ihr einige interessante Verwicklungen erwarten durfte.

Natürlich dürfen im sonnigen LA auch die Männer nicht fehlen und so hat sich Shonda Rhimes für ihre neue Show, neben dem grandiosen "Prison Break"-Darsteller Paul Adelstein, der mit einer Leichtigkeit, seine Rolle des Cooper Freedmans spielt, auch Taye Diggs an Bord geholt. Der aus "Will & Grace"-bekannte Schauspieler ist von Seiten der männlichen Hauptdarsteller einer der besseren Schauspielern, denn ihm gelingt es, seine Rolle glaubhaft und überzeugend zu spielen. Dann wäre da noch Chris Lowell, der in den letzten Jahren durch seine Rolle des Piz in "Veronica Mars" bekannt geworden ist und beweist, dass er mit Witz und Charme nicht hinter seinen sicherlich weitaus erfahreneren Schauspielkollegen zurückstecken muss. Tim Dalys Rolle gefällt mir momentan am wenigsten, was jedoch nicht an ihm selbst liegt, sondern an den nur wenig interessanten Storylines, die Shonda ihm gibt.

Die Oceanside Wellnes Group

Wie den Zuschauern sicherlich unlängst aufgefallen sein dürfte, ist Los Angeles bei weitem nicht so trist wie Seattle. Zwar regnet es im sonst so sonnigen Kalifornien hie und da auch schon mal, aber generell gibt es eine wesentlich positivere Stimmung in L.A. Die "Oceanside Wellness Group" ist auch nicht das Seattle Grace Hospital. Nachdem sich in "Grey's Anatomy" allmählich Leid und Elend breit gemacht haben und die Geschichten momentan wie ein wolkenverhangener Seattle-Morgen wirken, erscheint die Atmosphäre in der privaten Gemeinschaftspraxis viel reizvoller und einladender.

Außerdem ist es erfrischend, dass Bereiche wie Krankenhaus und Privatpraxis voneinander abgeschirmt sind. Zwar steht die Wellness Group mit dem Krankenhaus in einer engen Zusammenarbeit, doch die meisten Fälle können durch psychologische Unterhaltungen, heilenden Therapien oder während der allgemeinen Sprechstunden, gelöst werden. Weitgehend wird auch auf den ganzen medizinischen Kauderwelsch verzichtet, da auf ganz natürliche und verständliche Art erklärt wird, was sich der Patient da eingefangen hat und wie gefährlich diese Krankheit womöglich ist. Früher oder später gelangen die Patienten trotzdem irgendwie ins Krankenhaus, was im Endeffekt verständlich ist, doch auch dort geht es bei weitem nicht so zu wie im Seattle Grace. Meistens gelingt es Shonda Rhimes, was ihr momentan mit "Grey’s Anatomy" nicht mehr ganz so gut gelingt: die Fälle werden hintergründlich angelegt. Trotzdem gab es natürlich auch bei "Private Practice" schon den ein oder anderen Fall, der die Charaktere in den Hintergrund gedrängt hatte, was sich momentan jedoch noch verschmerzen lässt, denn insgesamt ist die Charakterentwicklung unserer Hauptcharaktere stets das wichtigste.

Wenn man sich Addison in "Grey’s Anatomy" ansieht und man sie nun in "Private Practice" zu sehen bekommt, fällt sofort ein gravierender Unterschied auf: war Addison in der Mutterserie noch Addison Montgomery-Shepard, eine Neonatalchirurgin von weltweiter Anerkennung, die im strengen Arztkittel ihre Runden durchs Seattle Grace drehte, so ist sie nun wesentlich natürlicher. Mittlerweile ist sie etwas menschlicher, nahbarrer, verletzlicher und natürlicher. Genau deswegen funktioniert "Private Practice" auch so gut: Keine Arztkittel und kaum Operationssäle. Einzig und allein ein Lift, wie es ihn auch in der Mutterserie gibt, war zu beginn der Serie geblieben, verlor innerhalb der neun Episoden jedoch stark an Bedeutung. "Private Practice" ist eine ganz und gar eingenständige Serie geworden und glücklicherweise kein zweites "Grey's Anatomy".

Weiterlesen