Review: #4.12 Mit anderen Augen
Die aktuelle Episode ist ohne Frage die inhaltliche Fortführung von #3.10 Von der Seele reden, denn die großartige Tracie Thoms ist als Psychologin Dr. Diane Lewis zurück und nimmt sich die Mitglieder von Station 19 wieder nach und nach für einer Unterredung vor. Schon in der dritten Staffel war diese ungewöhnliche Erzählweise ein großartiger Trumpf, da es die Gefühlswelt der Charaktere auf dem Silbertablett präsentiert hat. Ist der Coup auch diesmal gelungen?
In der dritten Staffel war der Tod von Rigo Vasquez Auslöser für die psychologische Betreuung durch Diane, doch dabei sind in den Gesprächen höchst unterschiedliche Themen auf den Tisch gekommen. Diesmal aber ist die Polizeigewalt das Thema, die am Fall von George Floyd aus Minnesota ihren traurigen Höhepunkt im Mai vergangenen Jahres gefunden hat. Die geführten Gespräche sind demnach thematisch diesmal deutlich enger gehalten und dennoch ist es gelungen, in einem engen Rahmen alles auszureizen, was ging. Zudem ist in der Stilistik erneut aufgefallen, dass die geführten Gespräche oft (gefühlt zumindest) mitten drin enden. Das mag an der ein oder anderen Stelle irritierend wirken, weil man denkt: "Ja, und jetzt?", aber es ermöglicht es den Zuschauer*innen auch, dass sie gedanklich angeregt werden, sich ihre eigene Meinung zu bilden und sie nicht etwas vorgekaut bekommen. Das ist in Zeiten von florierenden Verschwörungstheorien wohl eine sehr wichtige Nuance, denn "Seattle Firefighters - Die jungen Helden" will hier keine Sichtweise aufdrängen, sondern viele verschiedene anbieten, um somit einen offenen Diskurs zu ermöglichen.
Um der Review eine sinnvolle Struktur zu geben, sollen nachfolgend die Gespräche in ihrer tatsächlich erfolgten Reihenfolge bewertet werden. Sich mal so eben einer fremden Person zu öffnen, kostet bekanntlich Überwindung, gerade wenn es mehr oder weniger von Captain Maya Bishop aufs Auge gedrückt wurde, aber wer definitiv Redebedarf hat, ist Ben Warren. Nach den Andeutungen der vergangenen Woche, die seine Gesundheit betreffen, wundert das nicht wirklich. Zumal sich die Anzeichen hier noch einmal verdichten. Mit Ben ist definitiv etwas nicht in Ordnung. Aber das Eintauchen in diese Thematik gehörte definitiv nicht in diese Episode, weswegen ich seine innere Zerrissenheit bezüglich der Polizeibrutalität als deutlich sinnvoller erachtet habe, denn es trifft auch seinen Wesenskern. Ben ist ein friedfertiger Mann, er ist somit nicht der Typ, der beim Thema Ungerechtigkeit mit dem Kopf durch die Wand muss. Er ist sehr rational in seiner Entscheidungsempfindung, weswegen er für sich und seine Söhne Tuck und Joey die Prämisse sieht, sich so kooperativ wie nur möglich der Polizei gegenüber zu verhalten, um mit dem Leben davonzukommen. Doch mit Floyds Tod vor Augen und mit Dean Millers Entscheidung im Hinterkopf, die Polizeigewalt öffentlich anzuprangern, regt sich genau deswegen sein schlechtes Gewissen. Denn in seiner Perspektive sieht er sich nun als feigen Zuschauer, aber nicht als mutig. Deswegen blickt er auch skeptisch auf die Proteste, denn diese ziehen Aufmerksamkeit auf sich und erlauben es nicht, sich weiter geduckt zu halten. Kann man diese Einstellung Ben aber wirklich vorwerfen? Nein, gewiss nicht. Es ist bekannt, dass in schwarzen Familien der sogenannte 'The Talk' mit den Kindern durchgeführt wird, um sie auf mögliche Polizeikontrollen vorzubereiten. Das ist eine regelrechte Tradition. Leider. Und machen wir uns nichts vor, unsere Gesellschaft ist weit davon entfernt, wegen einer mutigen Person plötzlich alles ganz anders zu sehen, deswegen ist der defensive Umgang mit der Polizei mehr als verständlich. Dennoch ist es schön, dass Ben am Ende für sich, Tuck und Joey einen ersten Schritt gehen kann.
Als zweite Gesprächspartnerin erweist sich Maya selbst, die eigentlich nur nachhaken will, wie das Gesprächsangebot bislang angenommen wird und die sich Diane daraufhin gleich selbst krallt. Erinnern wir uns an Staffel 3, als Maya den emotionalen Missbrauch durch ihren Vater nicht eingestehen konnte und seitdem hat sie sich wirklich im Leben gefestigt. Deswegen fand ich dieses Gespräch auch ideal, um vorzuzeigen, dass Maya inzwischen in der Lage ist, sich selbst zu analysieren, denn im Grunde therapiert sie sich ein wenig selbst. Bei ihr kommt zur Sprache, dass man je nach Lebenssituation schnell mal vergessen kann, dass Rassismus existiert. Maya selbst unterscheidet ihre Leute nicht nach Hautfarbe, deswegen ist es für sie kein Faktor. Zudem stellt sie selbst dar, dass sie in der Schule gelehrt bekommen hat, dass der Rassismus ausgerottet wurde. Und nun schämt sie sich, weil sie das wirklich geglaubt hat. Ich fand es an dieser Stelle wirklich beachtenswert, dass durch Dianes Hinweis auf die Ureinwohner von Amerika, auch die wenig ruhmreiche Vergangenheit der USA so brutal auf den Tisch gelegt wurde. Denn es ist wirklich so, dass man die eigene Geschichte oft verdrängt, weil man sie überwunden glaubt. Wir Deutsche können davon schließlich selbst ein Lied singen. Deswegen ist die richtige Kernbotschaft hier, dass man handeln muss, sobald man die Wahrheit erkannt hat. Maya erkennt für sich, dass sie sich aktuell in einer Machtposition befindet, in der sie wirklich etwas ausrichten kann, weswegen sie für ihre Leute die Teilnahme an einem Protestmarsch organisiert. Aber jede*r muss für sich selbst den richtigen Weg finden, Ungerechtigkeiten anzusprechen, wenn man von ihnen Zeug*in wird.
Sicherlich eines der wichtigsten Gespräche führen Diane und Travis Montgomery. Dieser hat sich zunächst zurückgehalten, obwohl viel in ihm kocht, denn er glaubte, dass die Gespräche vor allem für seine schwarzen Kollegen gedacht sind. Aber Diane macht mit wenigen Worten deutlich, dass Rassismus überall ist und wer weiß das nicht besser als Travis selbst, der asiatische Wurzeln hat. Durch die Pandemie, die ihren Start in China genommen hat, haben sich viele Asiaten üblen Konfrontationen ausgeliefert gesehen, auch hier in Deutschland. Aber auch abseits davon, ist die Ausgrenzung dieser Völkergruppe, aber auch vieler anderen nicht zu leugnen. Deswegen ist es absolut richtig, dass man Rassismus nicht in einer Rangliste bewerten kann, denn das verfehlt den Kern des Problems. Rassismus mag viele Formen haben, aber keine ist schlimmer als die anderen. Dies so prägnant noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, war sicherlich eine der wichtigen Botschaften dieser Episode.
In eine ganz ähnliche Richtung geht auch das Gespräch zwischen Andy Herrera und Diane, denn Erstere kennt als Latina ebenfalls Rassismus, doch sie gesteht sich selbst ein, dass sie aufgrund ihrer hellen Hautfarbe vieles umgehen konnte. Als Frau eines schwarzen Mannes kann sie die Augen vor vielem nicht mehr verschließen, so auch vor der Tatsache, dass sie wegen ihres Vaters mit vielen Polizisten sehr eng großgeworden sind. Auch hier wird ein sehr bekanntes Motiv aufgegriffen, nämlich das von der Polizei als Freund und Helfer, was zunehmend erschüttert wird, weil es innerhalb der staatlichen Behörden ohne Frage jede Menge Rassismus gibt. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass innerhalb ihrer Kreise oft auch zusammengehalten wird, weil gerade die Polizei durch einen sehr engen Kodex verbunden ist. Deswegen prangert Andy zurecht an, dass nicht mehr gegen die eigenen Reihen vorgegangen wird. Das Gespräch endet schließlich mit Dianes Worten, dass es sie als Therapeutin immer reizt, ihre Patienten zu trösten, doch das würde sie nicht tun, weil es Teil des Problems ist. Auch das ist leider die Wahrheit, denn wenn die Menschheit sich einreden kann, dass schon alles gut wird, dann macht sie nichts und schaut untätig zu.
Richtig emotional wird es schließlich natürlich wie so oft mit Victoria "Vic" Hughes, da Barrett Doss auch einfach eine Wucht als Schauspielerin ist. Sie stellt in dieser Episode die schwarze Perspektive dar, denn in ihr kocht Wut und davon jede Menge. Sie bekommt jede Menge Nachrichten von weißen Freunden, die nun aufwachen, wie auch schon argumentativ bei Maya angedeutet. Ja, es ist keine Frage, dass das für die schwarze Bevölkerung absurd klingen muss, denn sie kennen es keinen Tag ihres Lebens anders. Daher ist die Enttäuschung sehr gut nachzuvollziehen, dass plötzlich alle aus ihren Löchern kommen, die sie zuvor noch zu gerne aufgesucht haben. Zudem wird noch ein weiterer wichtiger Punkt angesprochen, nämlich die Tatsache, dass bei Schwarzen immer vermeintlich besonders lange gesucht werden muss, bis man argumentativ darlegen kann, warum der Verlust dieses menschlichen Lebens eine Schande ist. Auch das ist ein Argument, vor dem man die Augen nicht verschließen kann, denn selbst wenn Floyd tatsächlich ein Verbrechen begangen hätte, es war ein wertvolles, menschliches Leben wie alle anderen auch.
Bei Jack Gibson geht es thematisch in eine Richtung, die wir bei ihm nun schon mehrere Wochen erleben, denn er fühlt sich zunehmend unsicher, mit seinem Freund Dean ein Gespräch über seine Anklage zu suchen. Denn hier spielt rein, dass die weiße Bevölkerung nie verstehen wird, wie sich die schwarze fühlt. Aber genau das sorgt an manchen Stellen auch für Missverständnisse, die eigentlich nicht sein müssten. Es ist sicherlich nicht einfach, den Dialog immer aufrecht zu erhalten, aber Dianes Rat mit dem Zuhören ist wohl der beste, den man geben kann. Einfach loszupreschen - ohne Sinn und Verstand - und Unrecht anprangern, ist nicht die ideale Herangehensweise. Erst zuhören und dann überlegen.
Die eigentlichen Männer, um die es in dieser Episode aber geht, sind Dean und Robert Sullivan. Letzterer hat es mir in den letzten Wochen wirklich nicht einfach gemacht, aber das war hier mal wieder ein starker Moment, denn ich konnte ihn mal wieder nachvollziehen. Zunächst seine unglaubliche Wut, dann sein kurzer glücklicher Moment, als er zwei Kindern die Wache zeigt und letztlich das Gespräch mit Diane, dem er eigentlich hartnäckig aus dem Weg gehen wollte. Ja, ich kann mir vorstellen, wie schlimm der Gedanke sein muss, dass man George Floyd hätte sein können. Vor allem bewirkt das bei Sullivan auch, dass er sich wieder besinnt, wofür er eigentlich stehen will. Deswegen kann er auch endlich Andy gegenüber zugeben, wie sehr er sich dafür schämt, seine Karriere wichtiger als Deans Anklage gesehen zu haben. Ja gut, er brauchte erst einen auf die zwölf, um ebenfalls wach zu werden, aber ich bin froh, dass er jetzt an diesem Punkt ist.
Ein klein wenig bin ich in der Reihenfolge jetzt doch abgewichen, denn Deans Moment mit Diane ist in Sullivans Geschichte verwoben. Aber ich fand es sinnvoll, ihn für den Schluss übrig zu halten, denn er fand ohne Worte statt und hat dabei mehr ausgesagt, als es tausend Wörter hätten tun können. Wie die beiden miteinander weinten, war herzzerreißend und unfassbar echt. Die Krönung des Ganzen, ohne Frage!
Fazit
Abschließend kann man nur sagen, dass die Episode definitiv ein Gesamtkunstwerk geworden ist, die die volle Punktzahl verdient. Man konnte als Zuschauer*in vielleicht nicht jede Perspektive gleich gut nachvollziehen, aber man hat deutlich gemerkt, dass nahezu alles an Sichtweisen dargeboten wurde, was angesichts des aktuellen Zeitgeschehens kursiert. Damit hat die Welt von Shondaland mal wieder bewiesen, dass sie solche besonderen Episoden kreieren kann. Zudem wurde mit dem Abspann auch noch unterstrichen, dass hier wirklich jede einzelne Minute durchdacht war. Denn so wird bestätigt, dass die Erfahrungen aller an der Serie Beteiligten in die Dialoge eingeflossen sind und das Autorenteam der Serie hat das Gehalt für diese einzelne Episode komplett an die "Black Lives Matter"-Bewegung gespendet. Hier merkt man die zentrale Botschaft dieser Episode überdeutlich: nicht nur große Worte finden, sondern auch Taten folgen lassen. Demnach ist "Seattle Firefighters" eine Kommentierung des Zeitgeschehens in Perfektion gelungen!
Lena Donth – myFanbase
Die Serie "Seattle Firefighters - Die jungen Helden" ansehen:
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Diskussion zu dieser Episode
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Get Up, Stand UpErstausstrahlung (US): 22.04.2021
Erstausstrahlung (DE): 11.08.2021
Regie: Daryn Okada
Drehbuch: Krista Vernoff
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