Die verstörendsten Momente 2012/2013
#3.09 Der Regen von Castamaer (Game of Thrones)
Das Foreshadowing für diesen bestimmten Moment begann schon vor zwei Jahren, auf der San Diego Comic Con 2011, nachdem gerade die erste Staffel von "Game of Thrones" beendet war. Dort erzählte Serienschöpfer David Benioff davon, dass es von Anfang an der Traum von ihm und D.B. Weiss war, die Serie solange am Laufen zu halten, bis sie zu einer bestimmten Szene des dritten Bandes kommen. Um keine Spoiler zu verraten, blieb Benioff kryptisch, doch für die Buchkenner war völlig klar, von welcher Szene er sprach, als er sagte: "If we can get to RW, we've accomplished something". Nun haben sie es in die dritte Staffel geschafft und zu dieser ganz bestimmten Szene: der Red Wedding.
Now the rains weep o'er his hall, and not a soul to hear.
Eigentlich ist jedes Wort überflüssig, wieso es "Game of Thrones" mit der Endsequenz von #3.09 Der Regen von Castamaer in diese Kategorie geschafft hat. Wenn die Reaktionen auf einen Moment in einer Fernsehserie so massiv und extrem sind, dass ihm ein eigener Twitter-Account gewidmet wird, um die Unmengen an fassungslosen, wütenden und traurigen Tweets zu sammeln und eine Art Selbsthilfegruppe für die traumatisierten Fans zu gründen. Wenn äußerst hinterhältige (und vermutlich die Buchvorlagen lesende) Menschen ihr Smartphone zücken und im überlegenen Wissen dessen, was gleich über die unbedarften, ahnungslosen Mitschauenden hereinbrechen wird, deren schockierte Live-Reaktionen filmen und auf YouTube stellen. Wenn gefühlt die Hälfte der Fangemeinde aufgrund dieses einen Moments beschließt und verkündet, die Serie ab sofort nicht mehr zu schauen – dann haben wir es auch ohne jede Begründung mit einer der verstörendsten Szenen der Fernsehgeschichte zu tun.
Aber natürlich soll trotzdem versucht werden, das Unfassbare dieses Moments, der so viele Zuschauer sprachlos gemacht hat, in Worte zu fassen. Nachdem Robb Stark sein Versprechen gegenüber Walder Frey gebrochen hat, als er Talisa heiratete, will er nun Wiedergutmachung leisten, um Frey und dessen Armee im Krieg gegen die Lannisters für sich zu gewinnen. In Absprache mit Frey soll daher Robbs Onkel Edmure Tully eine von Freys Töchtern heiraten – und so machen sich Edmure und Robb samt Catelyn und Talisa sowie ihren Gefolgsmännern auf den Weg zu den Zwillingen, um Hochzeit zu feiern. Nach dem fast schon zu friedlich verlaufenden Wiedersehen zwischen Robb und Walder Frey und der Zeremonie ziehen sich die Frischangetrauten zum Vollzug der Ehe zurück. Und im Festsaal schlägt die trügerisch harmonische Stimmung schlagartig um.
Mit den ersten Klängen des Liedes "The Rains of Castamere" und Catelyns ahnungsvoller Reaktion darauf merkt auch der letzte Zuschauer, dass hier etwas Übles im Gange ist. Und wie übel es werden wird, begreift Catelyn, als sie sieht, dass Roose Bolton kampfbereit ein Kettenhemd unter seiner Festtagskleidung trägt. Was folgt ist eine der hinterhältigsten, brutalsten und erschütterndsten Attacken, die die fiktionale Erzählwelt je gesehen hat. Ganz ehrlich, dagegen waren die Griechen mit ihrem Trojanischen Pferd der reinste Kindergarten! Und David Benioff und D.B. Weiss sind sogar noch schlimmer als George R. R. Martin, denn sie beginnen das Massaker mit dem Angriff auf Talisa, die im Buch gar nicht mit zur Hochzeit gekommen ist. Robbs schwangerer Frau wird mit einem Dolch mehrmals in den Bauch gestochen – und damit töten die Serienmacher noch einen Ned! Denn wie Talisa kurz zuvor in einer herzergreifenden Szene verkündet hat, wollte sie ihren Sohn nach Robbs verstorbenem Vater benennen. Und stattdessen liegen Talisa und ihr ungeborenes Kind plötzlich im Sterben. Doch wie gesagt: Das war gerade mal der Anfang.
Das Gemetzel hört nicht auf, bis nicht auch der letzte Gefolgsmann des Königs des Nordens tot ist. Inklusive seines Schattenwolfs Grauwind, der niederträchtig in seinem Zwinger erlegt wird – vor den Augen von Arya, deren völlig entsetzter Gesichtsausdruck die Mienen vor den Bildschirmen widerspiegelt. Denn sowohl Arya, als auch dem Zuschauer ist klar, dass damit auch Robbs Schicksal besiegelt ist. Der junge König des Nordens, der unumstrittene Sympathieträger im Kampf um den Eisernen Thron, ist im Spiel der Throne leider ebenso naiv wie sein Vater. Und wird von Tywin Lannister im Fernduell nach allen Regeln der Intrigen-Kunst schachmatt gesetzt. Ermordet von seinem eigenen Gefolgsmann. Vor den Augen seiner Mutter. Und nein, auch damit ist es noch nicht genug, denn nach Catelyns markerschütterndem, fast animalisch wirkendem Schrei wird auch ihr kurzerhand und quasi im Vorbeigehen die Kehle durchgeschnitten, bevor der Zuschauer völlig traumatisiert und fassungslos, mit schreckgeweiteten Augen und einem dicken Kloß im Hals, auf den tonlosen Abspann starrt.
In nur acht Minuten löschen die Autoren nicht nur die halbe Stark-Familie aus, sondern entreißen dem Zuschauer jedes Sicherheitsgefühl. "Game of Thrones" ist nicht kalkulierbar, die Protagonisten sind nicht unsterblich, niemand ist sicher. Alle Gefühle, die man in die Charaktere und mit ihnen investiert hat, waren umsonst. Das musste man schon durch Neds Tod schmerzhaft erfahren – aber durch die Red Wedding erhält die Authentizität der Serie eine komplett neue Dimension. Benioff und Weiss lagen mit ihrer Einschätzung völlig richtig, dass diese Szene nicht nur für die Serie, sondern für das ganze Genre der Fernsehserien ein Meilenstein sein wird. Und ihre Umsetzung dieses Moments, an den die Erwartungen gigantisch waren, ist schlichtweg atemberaubend.
Die Fiktion rückt so erschreckend nahe an die Realität, dass gemessen an den Reaktionen der Zuschauer kaum noch ein Unterschied besteht. Das Massaker an den Starks wurde derart schockierend real umgesetzt, dass der Vergleich zu den Bildern des 11. September, den ein YouTube-Rezensent zieht, absolut plausibel ist. Die Grausamkeit und Intensität der Red Wedding bleiben nicht nur im Kopf, sie verankern sich dort mit Widerhaken und erschüttern den Zuschauer länger als eine Stunde oder eine Nacht. Dieses verstörende Gefühl der Unsicherheit bleibt. Ebenso wie die Gewissheit: "The North will never forget."
Lena Stadelmann - myFanbase
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