Rentierbaby - Review Miniserie

Ich mag Miniserie, weil sie weniger Episoden haben und dadurch die zu erzählende Geschichte kompakter ist. Es ist aber bei der Netflix-Serie "Rentierbaby" nochmal anders. Sieben halbstündige Episoden waren letztlich doch nicht so leicht wegzugucken und das hatte ich aufgrund der Thematik – Stalking – auch gar nicht erwartet, zumal das Geschehen auf wahren Begebenheiten von Hauptdarsteller Richard Gadd beruht. Somit ist die Altersfreigabe von 18 Jahren vollkommen berechtigt.
Als ich erstmals von "Rentierbaby" gehört habe, wurde gerade der Starttermin bekannt gegeben – der 11. April 2024. Ich habe nochmals knapp vier Monate gebraucht, bis ich sie geschaut habe. Aber ich kann jetzt schon sagen, dass die Emmy-Nominierungen für alle Beteiligten gerechtfertigt sind. "Rentierbaby" ist keine leichte Kost, was am Anfang gar nicht so den Anschein macht. Im Zentrum des Geschehens steht Donny Dunn (Gadd), der Stand-Up-Komiker werden will und deshalb sein Glück in England versucht. Wie man aber weiß, ist jeder Anfang schwer und so war es auch für Donny. Seine flachen Witze kamen einfach nicht an und so musste er in einem Londoner Pub arbeiten. Dabei lernte er Martha Scott (Jessica Gunning) kennen, die eine Anwältin sein will, aber ihren Tee nicht bezahlen kann, weswegen Donny ihn ihr aufs Haus ausgibt. Wenn es nicht so abgedroschen wäre, könnte man sagen: Wenn man den kleinen Finger reicht, wird gleich die ganze Hand genommen. Aber dieser Spruch bringt nicht einmal das zum Ausdruck, was man in den nächsten sieben Episoden zu sehen bekommt. Ich betone die Episodenanzahl deshalb nochmal so genau, weil es für mich eigentlich noch immer irgendwie unvorstellbar ist, wie man solche schweren Themen in so wenig Zeit so detailliert erzählen kann, dass ich erst einmal zwei Tage brauchte, um das Gesehene für mich zu verarbeiten und zu verdauen. Bereits im Vorfeld war bekannt, dass Hauptdarsteller Richard Gadd seine eigenen traumatischen Ereignisse in dieser Miniserie 'präsentiert' und verarbeiten wird. Dadurch habe schon das erste Mal meinen imaginären Hut gezogen, weil es echt mutig ist und auch wenn er damals in seinen 20ern war und schon einiges an Zeit vergangen ist, ich denke, man konnte hier in jeder Szene spüren, dass er es noch einmal durchlebt. Allerdings sind solche Themen wichtig und ich finde auch wichtig, dass sie quasi unverhüllt gezeigt werden. Wobei es doch einige Szenen gab, bei denen ich entweder schlucken, tief durchatmen oder auch wegschauen musste.

© 2024 Netflix, Inc.
Dabei fing es in meinen Augen tatsächlich harmlos an. Als Martha diesen Pub betritt, denkt man im ersten Moment tatsächlich: Ist ein bisschen aufgedreht, aber sonst völlig okay. Natürlich wird man ein bisschen stutzig, wenn sie erzählt, sie sei Anwältin und habe schon gewisse Promis verteidigt, letztlich aber ihren Tee nicht zahlen kann. Auch die weiteren Male, als sie in den Pub kommt, denkt man sich auch noch nichts, denn ich hatte schon den Eindruck, da sind zwei einsame Menschen, die sich auf einer platonischen Ebene gefunden haben. Dieser Eindruck verschwindet aber schnell wieder, wenn Gadd als Donny aus dem Off alles im Zeitraffer erzählt und von Martha ein Bild zeichnet, welches gar nicht mehr so harmlos erscheint, auch wenn Martha im bewegten Bild noch gar nicht den Eindruck einer Stalkerin macht und auch noch eine Wiederholungstäterin ist. Man bekommt zeitweise sogar noch Mitgefühl mit ihr, zumindest ging es mir so und auch bei Donny bekommt man das Bild vermittelt, er weiß, dass etwas nicht mehr stimmt, kann dies aber noch immer für sich rechtfertigen. Man muss dazu auch sagen, Martha ist ziemlich geschickt darin, ihm Dinge zu schreiben, von denen Donny und auch wir Zuschauer*innen wissen, dass die Gefahr schon lauert, man kann sie spüren, aber weder sehen noch greifen, aber für Außenstehende wirken Marthas Texte gar nicht bedrohlich. Netflix hat die Serie ab 18 Jahren freigegeben und das ist auch vollkommen angemessen, denn auch wenn in den ersten Episoden keine körperliche Gewalt zu erkennen ist, sind es eben die Texte, die nicht nur Stalking sind, sondern die mich auch massiv an Cyber-Mobbing erinnert haben, weswegen FSK 18 völlig gerechtfertigt ist.
Martha ist aber auch eine Figur in dieser Geschichte, die so wunderbar von Jessica Gunning gespielt wird, dass es mich teilweise selbst schockiert hat, welche Emotionen sie in mir hervorbringen kann und konnte. Denn selbst, als immer offensichtlicher wurde, wie besessen sie von Donny gewesen ist, habe ich noch immer in manchen Szenen ein gewisses Mitgefühl empfunden, weil Gunning die verschiedenen Emotionen enorm schnell abspulen, aber auch so überzeugend rüberbringen konnte, dass ich mir manchmal nicht ganz sicher war, ob sie tatsächlich so gefährlich ist, wie man zuvor gelesen hat. Natürlich war sie das, aber wenn man Martha in ihrer verletzlichen und schüchternen Phase sieht und erlebt, geht man da schon mal schnell in die 'Falle' und zeitweise war das auch Donnys Problem. Vielleicht auch deshalb, weil sie ihm genau das gesagt hat, was er hören wollte, aber auch musste und quasi hat sie ihn letztlich auch noch wie ein Buch gelesen – nur nicht auf die gesunde Art.

© 2022 Netflix, Inc.; Ed Miller/Netflix
Interessant war daher auch, wie Donny Therapeutin Teri (Nava Mau) kennengelernt hat. Auf einer Dating-Seite für Transmenschen. Da auch Nava Mau für einen Emmy nominiert ist, fand ich es hier nochmal extra spannend, da mich interessiert hat, was mit dieser Figur passiert und vor allem auch, wie Donny auf sie aufmerksam geworden ist. Teri macht sofort einen sympathischen Eindruck, der sich im Laufe der Zeit auch nicht ändert, selbst als die Beziehung in die Brüche ging, denn man versteht Teris Beweggründe, warum sie die Beziehung zu Donny nicht mehr aufrecht erhalten will, aber auch nicht mehr kann und ich denke, ihr fast schon Monolog, den sie in dieser Szene hat, rechtfertigt diese Emmy-Nominierung durchaus, da es darum geht, zu sich selbst zu stehen und sich nicht mehr vor anderen bzw. der Gesellschaft zu verstecken. Diese Szene hat aber auch schon die Abhängigkeit von Donny zu Martha gezeigt und das war doch erschreckend zu sehen. Allerdings wehrt er sich auch gegen sie und hier kann man auch mal wieder sagen: Die Polizei ist nicht immer dein Helfer, selbst wenn man nachvollziehen kann oder es zumindest versucht, warum sie wie handeln, hat es doch für mich auch gezeigt, dass Donny nicht nur abhängig von Martha ist, sondern dass das Opfer durch die Polizei zum Täter gemacht wird und es unterstrich auch wahnsinnig gut, wie intelligent Stalker*innen letztlich sind und auch so vorgehen.
Neben Martha und ihren Dingen, ist es die vierte Episode, die einem unglaublich zusetzt und die auch nochmal einen extra Warnhinweis für Betroffene hat. Diese Episode erklärt Donnys ganzes Verhalten in der Serie und führt mit Darrien O'Connor nochmal eine neue Figur an, dessen Darsteller Tom Goodman-Hill ebenfalls eine Emmy-Nominierung völlig zurecht bekommen hat. Es war auch die Episode, bei der ich doch ein oder zweimal wegschauen musste. Nicht einmal, weil ich sie so detailliert fand (das war sie), aber der Gedanke, dass das Richard Gadd im echten Leben widerfahren ist, geisterte mir doch extrem im Hinterkopf rum und das Erschreckende hier war auch Donnys Agieren selbst, wo ich zwischen Mitleid und Kopfschütteln über seine eigene Dummheit hin und her geschwankt bin.
"Rentierbaby" hat aber auch das Talent gehabt, witzig zu sein. Es ist natürlich aufgrund der Thematik kein Schenkelklopfer, sondern eher ein Lachen, weil man die Wut und Fassungslosigkeit der Figur feiert und denkt: endlich sagt es mal jemand laut. Es gab aber auch eine sehr berührende Szene zwischen Donny und seinen Eltern, die so überraschend und unerwartet daher kam, dass man sprachlos und mit offenem Mund vor dem Bildschirm sitzt und dankbar für die Reaktionen seiner Eltern ist. Mit dem Ende der letzten Szene der Serie hatte ich doch Schwierigkeiten, weil ich sie nicht richtig deuten konnte und mich ziemlich nachdenklich zurückgelassen hat, weil sie offen gelassen wurde. Es hat mich persönlich an das Ende der HBO-Serie "The Staircase" mit Colin Firth und Toni Collette erinnert, bei dem ich mir heute noch nicht sicher bin, was ich davon halten soll. Deswegen sollte sich jeder auch bei der Netflix-Serie ein eigenes Bild machen.
Fazit
"Rentierbaby" ist wirklich keine leichte Kost und nach dem Schauen bleibe ich noch immer etwas verstört und nachdenklich zurück, weil es so viele Eindrücke gab, die man kaum alle mit seinen eigenen Gedanken zu Papier bringen kann, auch weil ich nicht zu viel spoilern wollte. Aber dieses Format hat wie gesagt zurecht die Emmy-Nominierungen verdient und Richard Gadd hat absolute Größe bewiesen, etwas so Persönliches (wenn zum Teil auch abgewandelt und angepasst) auf die Leinwand zu bringen, vor dem ich Hochachtung habe.
Die Serie "Rentierbaby" ansehen:
Daniela S. - myFanbase
Kommentare
Meistgelesen
Aktuelle Kommentare

02.04.2025 20:00 von Lena
News: "Grey's Anatomy" sichert sich Trevor Jackson für Staffel 21
Extrem interessantes Casting, ich mochte ihn als Aaron... mehr
05.04.2025 02:39 von Daniela
Pulse: Pulse
Ich habe angefangen und starte die Tage mit der zweiten... mehr