Die mythologische Figur des Luzifer
In der christlichen Tradition steht der Name Luzifer auf gleicher Ebene wie die Bezeichnung Satan für den Teufel, den Gegenspieler Gottes. Es gibt viele Erzählungen um Luzifer und Satan. Die wichtigsten sollen in dieser Kolumne genannt und entschlüsselt werden. Doch zunächst zum Ursprung der Namen.
Ein Satan bezeichnet im Judentum, welche die Ursprungsreligion von Christentum und Islam ist, einen Engel, der den Auftrag von Gott hatte, die Menschen zu testen, indem er sie verführt. Es ist also mehr ein Titel als ein Name. Satan ist der Ankläger vor dem Göttlichen Gericht, er vertritt die Anklage gegen die Menschen, die sich gegen Gott stellten in einer Situation, in der Gott sie testete. Im christlichen Glauben ist Satan gleichgesetzt mit dem Teufel, der auch den Namen Luzifer trägt. Im Koran heißt dieser Gegenspieler Gottes Iblis.
Ursprünglich geht Luzifer auf den hebräischen Namen des Morgensterns zurück: Helel. Die fälschliche Übersetzung stammt aus der Vulgata, der lateinischen Version der Bibel. Dort heißt es in Jesaja 14,12: 12 Quomodo cecidisti de cælo, Lucifer, qui mane oriebaris? corruisti in terram, qui vulnerabas gentes? (Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! (Luther, 1984)
Diese Fehlübersetzung des hebräischen Textes geht auf die christlichen Kirchenväter der ersten Jahrhunderte nach Christus zurück. In der griechischen Fassung des Jesaja Buches, die von jüdischen Gelehrten übersetzt wurde, wird Helel mit Phosphoros übersetzt. Das bedeutet so viel wie "Lichtbringer" oder "Morgenröte" und bezeichnet somit den Morgenstern (Venus).
Für die Kirchenväter war Luzifer ein Name Jesu. Dies geht auf andere Stellen der Bibel zurück, in denen auch "Morgenstern" mit "Luzifer" übersetzt wurde. Zum Beispiel im 2. Brief des Petrus 1,19: Et habemus firmiorem propheticum sermonem: cui benefacitis attendentes quasi lucernæ lucenti in caliginoso donec dies elucescat, et lucifer oriatur in cordibus vestris: (Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. (Luther, 1984) Dafür spricht auch der Heilige Luzifer, ein Bischof aus dem 4. Jahrhundert.
Im Koran ist Luzifer gleichbedeutend mit Iblis. So heißt es in der Sure 3:34: Und als wir zu den Engeln sprachen: "Werft euch vor Adam nieder", da warfen sie sich nieder bis auf Iblis; er weigerte sich und war hochmütig. Und damit wurde er einer der Ungläubigen. (Der Koran ist in Suren unterteilt, man kann Sure als eine Art Kapitel sehen.)
Iblis ist zunächst der Wächter des Paradies, damals hieß er noch Azazil. Als Allah Adam schafft, befiehlt er seinen Engeln sich vor Adam niederzuwerfen, Azazil tut dies nicht und wird ein Ungläubiger. Muslime gehen darum davon aus, dass Azazil kein Engel ist, sondern ein Dschinn, diese sind Dämonen. Engel können sich nämlich nicht gegen den Willen Allahs wehren. Allah verflucht ihn daraufhin, Iblis (bedeutet: Enttäuschter) bittet um eine Frist, die ihm gewährt wird. Bis zum jüngsten Tag soll er die Gläubigen prüfen und sie zu verlocken versuchen, vom Glauben abzuweichen.
Auffällig bei Azazil ist seine enge Namensähnlichkeit mit dem jüdischen Azazel. Dieser ist ein Dämon. Hier erkennt man, dass die drei Weltreligionen einem gemeinsamen Ursprung entspringen. Denn auch Azazil ist ein Dämon. Viele Figuren treten unterschiedlich ausgelegt von den einzelnen Denkrichtungen in allen drei Religionen auf, wie eben auch Luzifer, beziehungsweise in diesem Fall Satan.
Erst im Laufe der Zeit wurde Luzifer im Christentum zu der Figur, die er heute ist. Das geht vor allem auf die Interpretation des oben schon in Auszügen erwähnten Jesaja Buches zurück. Genauer die Stelle Jes 14,12-14: Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! Du aber gedachtest in deinem Herzen: "Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten." (Luther, 1984)
Hier interpretierte man die Geschichten vom gefallenen Engel hinein, obwohl diese Stelle eigentlich nur für den Sturz des babylonischen Reiches steht, das die Israeliten (das Volk der Juden) gefangen nahm und für viele Jahre ins Exil schickte. Diese Geschichte fällt unter den Themenbereich des sogenannten Höllensturzes.
Der Höllensturz ist ein Motiv des christlichen Glaubens. Es bezeichnet drei verschiedene Vorgehensweisen, von denen zwei in diesem Zusammenhang erläutert werden, die dritte nur der Vollständigkeit halber erwähnt wird.
Zunächst das Motiv des gefallenen Engels. Der gefallene Engel ist Gott gegenüber ungehorsam gewesen und wird darum von ihm aus dem Himmel verbannt, mit ihm alle Engel, die diesem Engel folgen. Dies setzt zuerst einmal voraus, dass Engel einen freien Willen haben. Meist wird dieser gefallene Engel als Luzifer, Satan oder später Teufel betitelt. Im Lukas 10,18 heißt es: Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. (Luther, 1984)
Über die genauen Gründe für diesen Engelssturz gibt es viele Theorien. Die bekannteste ist das Streben nach Gottgleichheit. Hier ist wieder die Bibelstelle in Jesaja ausschlaggebend. Der babylonische König will sich über Gott setzen, er wird der christlichen Tradition zufolge als Engel interpretiert, der versucht sich über Gott zu stellen. Gott wirft ihn daraufhin in die Hölle: Ja, hinunter zu den Toten fuhrst du, zur tiefsten Grube! (Jes 14,15; Luther, 1984)
Ein weiterer Grund ist Stolz. In Hesekiel 28,16 steht: Durch deinen großen Handel wurdest du voll Frevels und hast dich versündigt. Da verstieß ich dich vom berge Gottes und tilgte sich, du schirmender Cherub, hinweg aus der Mitte der feurigen Steine. Weil sich dein Herz erhob, dass du so schön warst, und deine Weisheit verdorben hast in all deinem Glanz, darum habe ich dich zu Boden gestürzt und ein Schauspiel aus dir gemacht, vor den Königen.
Wie schon in der Ausführung zum Iblis erwähnt, ist auch die Weigerung, dem Menschen Respekt zu zeigen, ein Grund für den Engelssturz. Biblische Ursprünge für diese Geschichte lassen sich nicht finden, doch geht sie wahrscheinlich auf das apokryphe Buch Adam und Eva aus dem ersten Jahrhundert zurück. (Apokryphen sind Bücher, die zwar christlicher Natur, aber nicht im Kanon der Bibel aufgeführt sind.) In diesem apokryphen Werk sagt der Teufel zu Adam, dass er die Menschen hasst, da er ihretwegen aus dem Himmel verbannt wurde.
Die zuvor schon erwähnte Willensfreiheit stellt einen weiteren Grund dar. Einige Engel entfernten sich so weit von Gott, dass dieser sie aus seiner Mitte stoßen musste. Sie kamen als Menschen oder Dämonen auf die Erde, wo sie die Möglichkeit hatten, durch ein tugendhaftes Leben wieder zu Gott zurück zu finden. Diese Lehre geht auf Origenes zurück, einen Kirchenvater, der für diese These fast als Ketzer exkommuniziert wurde.
Eine letzte Theorie zu den Gründen befasst sich mit dem Sexualtrieb der Engel. Gott trug den Engeln auf, auf die Erde zu gehen und beim Erschaffen des Gartens zu helfen. Auf der Erde verliebten sie sich in Menschentöchter, verrieten ihnen himmlische Geheimnisse und zeugten mit ihnen Kinder: die Nephilim. Diese werden von Gott durch die Sintflut vernichtet. Die Väter der Nephilim verstieß Gott aus dem Himmel, nahm ihnen ihre Unsterblichkeit und verwandelte sie in Dämonen.
Die Gründe treten in den rezeptionsgeschichtlichen Aufarbeitung in Kunst, Literatur und Musik auch gemischt auf. Sehr bekannt ist hier das Gedicht von John Milton: "Paradise Lost". Darin wird der Fall der Engel beschrieben, die Verführung Adam und Evas im Paradies und die Vertreibung der beidem aus dem Paradies. Weniger bekannt, aber durchaus lesenswert ist das Trauerspiel "Lucifer" von Joop van den Vondel, einem niederländischen Schriftsteller.
Das zweite Motiv des Höllensturzes bezieht sich nicht auf die Anfangszeiten des Glaubens, sondern auf das Ende: die Apokalypse.
In der Johannesoffenbarung erscheint der Drache, der auch Teufel oder Satan heißt. Wie schon erwähnt sind diese Bezeichnungen synonym zu verwenden, darum steht die Stelle und das was darin passiert auch für Luzifer. In der Offenbarung kämpfen die Engel um den Erzengel Michael mit Luzifer: Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde aus die Erde geworfen, und seine Engel wurden mir ihm dahin geworfen. (Off 12,7-9; Luther, 1984)
Hier wird ein anderes Bild des Höllensturzes gezeichnet: Luzifer wird erst am Ende der Zeit aus dem Himmel geworfen und so zum Widersacher Gottes. Auf Erden sorgt er nun für großes Unheil, als er das Tier des Meeres und das Tier des Landes erschafft. Sie versklaven die Menschen bis Michael kommt und den Drachen vernichtet, mit ihm alles, was er geschaffen hat. Luzifer wird mit seinen beiden Tieren und dem falschen Prophet, den auch der Drache schuf, von Michael am Ende der Apokalypse für immer weggesperrt.
Das dritte und letzte Motiv, das den Höllensturz thematisiert, ist das Jüngste Gericht. Es beschreibt den Sturz der Sünder und Ungläubigen am Ende aller Zeiten durch Gott in die Hölle.
Zusammenfassend ist die Figur des Luzifer von vielen verschiedenen Geschichten, Mythen, Theorien und Glaubensauffassungen geprägt. Im Allgemeinen steht sie jedoch für etwas böses, das einen Gegenpol zum barmherzigen Gott darstellt.
Zur Figur des Lucifer in "Supernatural"
© Jenny Duckworth Photography
Der Lucifer in "Supernatural" speist sich aus vielen dieser Geschichten. So baut die komplette Handlung auf einen Streit zwischen dem Erzengel Michael und Lucifer auf. Dieser Kampf findet sich, wie ausgeführt, auch in der Offenbarung. Diesen Kampf verlor Lucifer und wurde von Michael in die Hölle gesperrt. Aus dieser versucht er zu entkommen, um die Apokalypse zu starten, das Ende der Welt, der Anfang seiner Herrschaft auf Erden. Diese Motivik erinnert sehr an die Interpretationsweise des Höllensturzes im Zusammenhang mit der Offenbarung. Lucifer wird in "Supernatural" nicht von einem Drachen verkörpert, trotzdem muss er eine irdische Gestalt annehmen: er benötigt ein Gefäß. Um gegen Lucifer auf der Erde kämpfen zu können, muss auch Michael ein menschliches Gefäß finden, das ihn aufnehmen kann.
Dass am Ende Lucifer wieder weggesperrt wird, findet sich als Motiv auch in der Offenbarung. Hier sperrt Michael Luzifer zurück in die Hölle, aus der er nicht mehr ausbrechen kann. In "Supernatural" ist dieser Ort ein Käfig in der Hölle. Im Gegensatz zur Geschichte in der Offenbarung, wird auch Michael in diesen Käfig gesperrt und kann daraus nicht mehr entkommen.
Auch das Motiv der Weigerung, den Menschen Respekt zu zollen findet sich in "Supernatural". Gabriel sagt, dass er erkannt hat, dass die Menschen mehr wert sind, als er selbst und seine Mitengel. Dies macht Lucifer so wütend, dass er Gabriel tötet.
Viele der in der Serie erwähnten und ausgebreiteten Legenden gehen daher auf einen christlichen, jüdischen oder islamischen Ursprung zurück. Nicht so die Geschichte um die 66 Siegel. Diese gibt es in keiner der Religionen, sie sind vielleicht als Weiterinterpretation der sieben Siegel zu sehen, die das Lamm (Jesus) in der Offenbarung öffnet, um die Apokalypse einzuleiten.
Jamie Lisa H. - myFanbase
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