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Review: #1.07 Der Druck steigt

Foto: Henry Ian Cusick, The 100 - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
Henry Ian Cusick, The 100
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Mit dieser Folge in der Mitte der ersten Staffel kommt es zu einem erzählerischen Meilenstein in der Story von "The 100": Die Delinquenten auf der Erde schaffen es tatsächlich, Kontakt mit der Ark aufzunehmen und so verbinden sich die beiden Storylines, die seit der Pilotfolge getrennt erzählt wurden, zumindest hinsichtlich des Informationsaustauschs. Die Bewohner der Ark erfahren, dass sie auf der Erde überleben können, Abby und Jaha erlangen endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Kinder und Clarke bekommt die dringend benötigten medizinischen Informationen, um den schwerverletzten Finn zu retten.

"Who we are and what we need to do to survive are very different things."

Mit dem Handlungsstrang auf der Erde rund um die Operation von Finn bauen die Autoren gleich in mehrfacher Hinsicht eine unglaublich spannende, fesselnde und emotionale Atmosphäre auf. Zum einen steht natürlich die ganze Folge über Finns Leben auf dem Spiel, aber da man sich eigentlich sicher sein kann, dass ein Hauptcharakter nicht nach der Hälfte der Staffel aus der Serie geschrieben wird, liegt der Fokus vielmehr auf der Dynamik zwischen Clarke und Raven und natürlich auf den beklemmenden Szenen rund um die Gefangennahme und Folter von Octavias Entführer.

Nach #1.05 Twilight's Last Gleaming mit dem bewegenden Selbstopfer von 320 Menschen auf der Ark, zeigt die Serie erneut, dass sie sich nicht vor schwierigen, ethisch-moralischen Fragen scheut und hat dabei auch keine Skrupel, die eigenen Hauptcharaktere in ein fragwürdiges Licht zu stellen. Aufgrund von Clarkes Vermutung, dass Finn durch die Messerwunde vergiftet wurde und sie dringend ein Gegengift benötigen, zeichnen die Autoren ein unglaublich interessantes und gleichzeitig schockierendes Psychogramm der Protagonisten, die angesichts des stoischen Schweigens des Gefangenen sehr schnell nur noch einen Ausweg sehen: Gewalt.

Bellamy, der bereits im Umgang mit Murphy gezeigt hat, dass sein Gerechtigkeitssinn eher alttestamentarisch ist, überschreitet auch hier wieder die Grenze, um seinen eigenen Führungsansprüchen zu genügen. Im wunderbaren Kontrast zu Bellamys Verhalten steht aber auch in diesem Fall wieder die Mimik von Bob Morley, die Bellamys Überwindung zeigt und deutlich macht, dass er kein sadistischer Diktator ist oder sein will, der Spaß an Gewalt hat. Er scheint sich selbst dafür zu verabscheuen und will Clarke sogar vor diesem moralischen Dilemma, einen Menschen zu foltern, um einen anderen zu retten, verschonen. Doch Clarke zeigt in ihrer Verzweiflung und Hilflosigkeit eine neue Seite und unterstützt Bellamys Entscheidung zur Folter – auch wenn sie noch stärker als er versucht, dem Grounder klarzumachen, dass sie sofort damit aufhören, wenn er ihnen hilft, Finn zu retten.

Während die beiden Führungspersonen der Delinquenten also mit gemischten Gefühlen vorgehen und sich der Fragwürdigkeit ihres Handels ebenso bewusst sind, wie sie es für notwendig halten, ist Raven in einer gefährlichen Mischung aus Wut und Angst um Finn weit weniger zimperlich und foltert den Grounder mitleidlos mit Stromstößen. Und gerade als man es als Zuschauer kaum noch aushält, die Szenen und das Verhalten der liebgewonnenen Charaktere mitanzusehen, greift Octavia in das Geschehen ein und es ist eben nicht die eskalierende Gewalt, sondern die persönliche Bindung zwischen ihr und dem Grounder, die ihn dazu bringt, das Gegengift zu enthüllen und Finn zu retten.

Die Folgen für die Gruppendynamik sind nicht von der Hand zu weisen: Bellamy und Clarke entwickeln eine neue Art von Respekt und ein Verständnis füreinander, da beide im Nachhinein mit den Geschehnissen hadern und Absolution dafür suchen. Clarke sieht angesichts der blinden Verzweiflung von Raven ein, dass diese Finn dringender braucht und verzichtet daraufhin ganz bewusst auf Finn – eine sehr angenehme Entzerrung des Liebesdreiecks, die zum jeweiligen Charakter der drei passt und gleichzeitig keinen Zweifel an den nach wie vor vorhandenen Gefühlen zwischen Clarke und Finn lässt. Und Octavia, die in ihrem Freiheitsdrang von Anfang an von der Gruppe wegstrebte, distanziert sich nun deutlich von ihren Leuten zugunsten ihrer Verbundenheit mit dem Grounder.

"We are on the Titanic. And there aren't enough lifeboats."

Im Gegensatz zu dieser fast schon kammerspielartigen, dichten Handlung auf der Erde, sind die Ereignisse auf der Ark weniger dramatisch, aber dafür kann diese Storyline mit zwei unglaublich starken Szenen von Henry Ian Cusick und Isaiah Washington punkten. Seit dem Beginn der Serie habe ich darauf gewartet, dass diese beiden Schauspieler, die mich in "Lost" und "Grey's Anatomy - Die jungen Ärzte" so oft überzeugt haben, auch bei "The 100" mehr aus ihren Charakteren herausholen – vor allem Cusick, dessen Marcus Kane bislang noch sehr blass und eindimensional blieb.

Doch mit der Realisierung, dass 320 Menschen sich selbst geopfert haben, obwohl es nicht nötig gewesen wäre und dass er durch sein Drängen und seine Ignoranz gegenüber der Hoffnung von Abby und Jaha eine Mitschuld an diesem unnötigen Sterben hat, gewinnt Kane deutlich an Ambivalenz und man wird neugierig darauf, welche Facetten noch in diesem Charakter stecken. Dass er in diesem Moment den spirituellen Ort der Ark aufsucht und damit nicht nur die Verbundenheit zur Erde, sondern auch zu seiner Mutter sucht, bringt ihm ebenso Sympathiepunkte ein wie seine Selbstzweifel und seine kritische Selbstreflexion gegenüber Abby und Jaha – und zum ersten Mal kann man einen Anflug der Freundschaft spüren, welche diese drei Charaktere irgendwann einmal verbunden hat.

Von Jaha hat man dagegen schon öfter Momente großer Empathie gesehen, aber irgendwie wirkte er bislang nur wie ein Übervater, der sich um alle sorgt – kein Wunder angesichts seines Amtes, doch es fehlte eine persönliche Komponente, die den Menschen hinter dem Amt zeigt. Diese Komponente bricht in dieser Folge aus ihm heraus, als ihn der Schmerz über die Gewissheit, dass sein Sohn tatsächlich tot ist, überwältigt. Den Vorwürfen und Anschuldigungen seiner Untertanen, deren Angehörige sich im Nachhinein betrachtet umsonst geopfert haben und die Jaha und den Rat wütend für ihren Verlust anklagen, hält er mit dem Satz "I lost my son!" sein eigenes persönliches Opfer entgegen. Er stellt sich auf eine Ebene mit seinem Volk – menschlich, trauernd und von Isaiah Washington so berührend gespielt - dass man als Zuschauer mit einem dicken Kloß im Hals zurück bleibt.

Mit der Einführung von Diana Sydney, der früheren Ratsvorsitzenden, bekommen wir auf der Ark eine neue Antagonistin, nachdem Kane diesen Posten eindeutig nicht mehr erfüllt. Mit einer geschickt eingefädelten Intrige schnappt sich die Sprecherin der Arbeiter Abbys vakanten Sitz im Rat und macht im Gespräch mit ihren Helfern deutlich, dass sie sich nicht mit diesem Posten zufrieden geben will, sondern nach ihrem alten Amt strebt. Das wird vor allem durch Jahas Enthüllung brisant, dass mit dem "Projekt Exodus" nicht alle Menschen auf der Ark wieder auf die Erde gebracht können, weil es nicht genug Plätze in den Raumschiffen gibt. Diese Titanic-Situation spitzt die Lage auf der Ark wieder dramatisch zu und eröffnet ein weiteres moralisches Dilemma, dessen Lösung einen gut eingespielten, zusammenarbeitenden Rat benötigt und keineswegs eine intrigante Schachspielerin wie Diana Sydney.

Fazit

Ohne das bisherige Erzähltempo deutlich zu drosseln, schaffen es die Autoren, das Profil fast aller Charaktere mit dieser Folge deutlich zu schärfen und markanter zu machen. Die Extremsituation auf der Erde ist unglaublich stark aufgebaut und überzeugt in fast allen Belangen, lediglich die zusätzliche Dramatik durch den Sturm hätte man sich vielleicht sparen können. Dafür wird nun auch die Storyline auf der Ark konsequent vorangetrieben und ich bin gespannt, wie sich das Verhältnis zwischen Erde und All nun erzähltechnisch entwickelt.

Lena Stadelmann - myFanbase

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