Bewertung

Review: #1.09 Der Anschlag

Foto: Thomas McDonell, The 100 - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
Thomas McDonell, The 100
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Es ist wirklich erstaunlich, was für ein Erzähltempo "The 100" vorlegt – es gibt keine Folge, in der die Charaktere (und auch die Zuschauer) mal durchschnaufen können und die Handlung etwas stagniert. Meistens sind diese handlungsarmen, ruhigeren Folgen nötig, um die Beziehungen zwischen den Charakteren auszuarbeiten und eigentlich dachte ich bei dem Folgentitel "Unity Day" und den Feierlichkeiten zu Beginn der Folge, dass wir es genau damit zu tun haben, dass es eine Feiertagsfolge ähnlich den Thanksgiving- oder Weihnachtsepisoden anderer Serien wird, die das Zusammensein und die Gemeinschaft beschwören. Aber falsch gedacht: bereits nach fünf Minuten wird jegliche Feierstimmung durch den Bombenanschlag auf der Ark zerstört und mal wieder überschlagen sich die Ereignisse.

"Today is your reckoning."

Angesichts des nahenden Zeitfensters für das erste Raumschiff, das einen Teil der Arker (hauptsächlich Angehörige des Militärs) mit überlebenswichtigen Materialien für die Hundert auf die Erde bringen soll, kommt es deutlich früher als von mir vermutet zum Showdown zwischen Jaha und Diana Sydney. Ich finde es etwas schade, dass man Dianas Motivation für ihren Verrat und die tieferliegenden Konflikte zwischen den sozialen Schichten der Ark nicht stärker thematisiert hat – gerade diese geschichtlichen Hintergründe, die aus der Zeit vor der Serienhandlung stammen, kommen mir etwas zu kurz, um wirklich ein erzählerisch rundes Bild der gesamten Serie zu liefern. Aber vermutlich würde das für den Großteil der Zuschauer, die sich sowieso lieber auf den Handlungsstrang auf der Erde konzentrieren, die Ark-Storyline zu zäh machen.

Abgesehen von diesem kleinen Wermutstropfen, fand ich die Umsetzung der Eskalation auf der Ark gelungen, weil nicht nur durch den Schock und die gewaltige Wirkung der Bombe, sondern auch durch die vielen Mitstreiter von Diana, welche die halbe Wache infiltriert hat, klar wird, dass es keineswegs nur um einen Machtkampf zwischen Jaha und Diana geht. Den Menschen der Ark wird immer stärker bewusst, dass es an Bord der Raumstationen sehr bald um Leben und Tod gehen wird und die anfängliche Solidarität, die sich nach Abbys und Jahas Bekanntmachung ausgebreitet hat, weicht bei vielen einem wütenden Egoismus, nachdem sie bereits durch die Existenz der Hundert herausgefunden haben, dass Jaha und der Rat ihnen nicht immer die Wahrheit erzählen. Diese Skepsis wird nun von Diana verstärkt, indem sie die Information preisgibt, dass es nicht genügend Raumschiffe gibt, um alle Menschen von der Ark auf die Erde zu bringen.

Paradox daran ist allerdings, dass sie Jaha mit der Bekanntgabe dieses Wissens schaden will, während sie selbst dabei ist, erstens mit einem nicht vollbesetzten Raumschiff die Ark zu verlassen und zweitens in Kauf zu nehmen, dass durch das überstürzte Abkoppeln des Raumschiffs sämtliche Systeme der Ark ausfallen. Diese Aktion trägt selbstverständlich nicht dazu bei, der ohnehin nicht gerade beliebten Diana Sydney noch irgendwelche Sympathien zu verschaffen und daher hat mich der Cliffhanger, mit dem bei der Landung auf der Erde explodierenden Raumschiff, eher kalt gelassen. Es ist zwar schade, dass die einzige Antipathiefigur auf der Ark damit ausgelöscht wurde, aber andererseits war ihr Charakter auch zu eindimensional, als das sie in Rolle des Bösewichts überzeugt hätte. Um Abby als einzige starke Frauenfigur auf der Ark und letzter Bezugspunkt zwischen den beiden räumlich getrennten Storylines durch ihre Verbindung mit Clarke, wäre es allerdings sehr schade, ganz zu schweigen von den psychischen Konsequenzen für Clarke, die noch keinen Frieden mit ihrer Mutter schließen konnte.

Der absolute Pluspunkt der Ark-Handlung war für mich allerdings Marcus Kane, dessen nüchterner und distanzierter Charakter wieder wunderbar aufgebrochen wurde. Das ist das Besondere an "The 100", dass die Autoren es inmitten einer actionreichen Handlung trotzdem schaffen, diese kleinen Charaktermomente einzubauen: Kurz vor der Explosion bittet Vera ihren Sohn, den Baum mit zur Erde zu nehmen oder zumindest den Abschiedsgruß zu sprechen, doch Kane gibt sich zu geschäftig für diese spirituellen Spielchen und lässt seine Mutter einfach stehen. Und dann kommt inmitten des Bombenchaos dieser berührende Moment, als Kane seine tödlich verwundete Mutter auf dem Boden liegen sieht und ohne zu überlegen den Abschiedsgruß für sie spricht, als Abby ihm signalisiert, dass Vera keine Chance hat. So unnahbar Kane sich auch immer gibt (oder geben will), so häufen sich doch die Momente, in denen er seine menschliche, verletzliche Seite zeigt und Henry Ian Cusick verkörpert dies einfach sensationell.

"You started a war that you don't know how to end."

Auch auf der Erde gab es einen Charakter, der mich besonders überzeugt hat. Finn war in den bisherigen Folgen etwas zu schwammig für mich, seine Funktion in der Gruppe war nicht wirklich definiert und nur als Sidekick für Clarke blieb er einfach zu blass. Durch die Ankunft von Raven hat sich diese Unbestimmtheit seines Charakters noch verstärkt und das alles hat dazu geführt, dass ich mit Finn bisher nur sehr wenig anfangen konnte. Doch langsam scheint er wirklich ein Profil zu bekommen: Bereits in der letzten Folge hat er Lincoln nicht von dessen Flucht abgehalten, sondern ihn gehen lassen und nun ist er derjenige, der einen Schritt auf die Grounder zumachen will, um die gegenseitigen Angriffe zu beenden und Frieden zu schließen.

Dieses Verhalten kommt keineswegs aus dem Nichts, schließlich war er es auch, der Murphy und Charlotte gemeinsam mit Clarke gerettet hat, aber die treibende Kraft dahinter schien immer Clarke zu sein, nicht er selbst. Mit seinem Entsetzen über die mitgebrachten Waffen am Ende der letzten Folge und vor allem über Clarkes Absicht, diese auch einzusetzen, hat er seine Position als Pazifist bereits gefestigt, während Clarkes Prinzipien, was Gewalt gegenüber ihre Feinden angeht, seit der Folter von Lincoln ins Schwanken geraten sind. Daher ist es nur sinnvoll, dass Finn nun innerhalb der Gruppe den gewaltfreien Part einnimmt und es gefällt mir auch, wie selbstverständlich und offen er auf Lincoln zugeht, nachdem dieser ihn erst einige Tage zuvor fast umgebracht hätte.

Mit seiner Aktion und seinem Verhalten hat Finn in dieser Folge bei mir massiv Sympathiepunkte gesammelt, auch wenn sein Versuch, Frieden zu schließen, leider nach hinten losging. Doch das darf man nicht ihm, sondern Clarke ankreiden, die der Abmachung mit den Groundern nicht traut und Bellamy heimlich als Unterstützung anfordert. So sehr es mir auch gefällt, dass Clarke und Bellamy nun zusammenarbeiten – es ist einfach unverantwortlich von Clarke, dass sie hinter dem Rücken von Finn dessen Abmachung sabotiert und damit das Leben aller Beteiligten aufs Spiel setzt. Es ist zwar verständlich, dass sie nach der ganzen Raven-Sache Schwierigkeiten hat, Finn zu vertrauen, aber in diesen Momenten zeigt sich nach wie vor, dass Clarke ebenso wenig wie Bellamy die nötige Kompetenz und Übersicht hat, um die Gruppe zu führen – auch wenn sie gemeinsam mit ihm zweifellos viele Qualitäten dafür mitbringt.

Wie sie das Gespräch mit Anya geführt hat, hat mir nämlich sehr gut gefallen: ruhig, freundlich und bestimmt, in Anerkennung der eigenen Verfehlungen, aber nicht zu demütig gegenüber der Anführerin der Grounder. Diese zeigt sich jedoch so archaisch, wie sich ihre Gefolgsleute mit Ausnahme von Lincoln von der Pilotfolge an aufführen und macht keine Anstalten, einen Schritt auf Clarke und die Hundert zuzugehen. Die Frage, die sich dabei stellt, ist natürlich: Wieso hat sich Anya überhaupt auf dieses Treffen eingelassen? War es das Ziel der Grounder, Clarke in eine Falle zu locken und zu töten? Oder hätte Anya ihre harte Linie im Gespräch mit Clarke irgendwann verlassen, wenn Jasper nicht geschossen hätte? Letztlich scheint Finn auf jeden Fall Recht zu behalten: Wenn die Grounder bis jetzt nicht auf einen Krieg aus waren, dann sind sie es nach dem Hinterhalt von Bellamy, Raven und Jasper und der Schießerei auf jeden Fall.

Fazit

Der hoffnungsvolle Beginn mit den Feierlichkeiten zum Tag der Einheit erweist sich als trügerisch und die Folge endet so fatal wie nur möglich: Das Raumschiff, das die Ark verlassen hat, zerschellt auf der Erde, die Ark selbst scheint einen kompletten Systemausfall erlitten zu haben und die Hundert haben sich in einen Krieg mit den Groundern manövriert. Eine wieder einmal bis an den Rand mit Handlung und Action vollgepackte Folge, aber trotzdem verliert die Serie ihre Charakterentwicklung nicht aus dem Blickfeld – ganz im Gegenteil, denn vor allem Finn kann sich in dieser Episode unglaublich profilieren.

Lena Stadelmann - myFanbase

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