Bewertung

Review: #4.01 Das Teppichmesser

Foto: Giancarlo Esposito, Breaking Bad - Copyright: 2011 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Giancarlo Esposito, Breaking Bad
© 2011 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

Die Macher von "Breaking Bad" hatten schon immer ein Gespür dafür, einfache, aber für die jeweilige Folge geniale Episodentitel herauszusuchen, über deren Botschaft man lange im Vorfeld grübelt, bis letztendlich eine Szene kommt, in der die Antwort glasklar wird. So dürfte man wohl lange über den Titel der Episode #3.03 I.F.T. nachgedacht haben, bis uns Skyler mit einem "I Fucked Ted" die Offenbarung gebracht hatte. Und auch im Staffelauftakt der vierten Staffel begegnet uns mit "Box Cutter", also "Teppichmesser", ein schlichter und zunächst unscheinbarer Titel, der im Nachhinein dann irgendwie zum Schmunzeln einlädt. Auch hier wird man sich im Vorfeld wohl groß überlegt haben, welche Intentionen hinter dem Titel stecken. Nun, am Ende bekommen Walter und Jesse die Antwort im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße geworfen.

Und somit herzlich Willkommen zur vierten Runde von "Breaking Bad", das sich reichlich viel Zeit genommen hat, wieder zurück in die TV-Landschaft zu finden. Und nach diesem Auftakt wird man sich wohl nur zwei Fragen gestellt haben: Wie hatte man es bitte ein Jahr ohne diese Serie ausgehalten, und wer kam auf die herrliche Idee, Walter am Ende der Episode in so geniale Klamotten zu packen?

In der Höhle des Löwen

Während für uns Zuschauer ein Jahr zwischen #3.13 Nägel mit Köpfen und #4.01 Box Cutter verging, macht der Staffelauftakt genau dort weiter, wo das Staffelfinale aufhörte: Jesse steht mit den Nerven am Ende in Gales Wohnung, nachdem er ihm eine Kugel in den Kopf geschossen hatte. Nun gut, ganz richtig ist das nicht. Denn zuvor lieferte uns "Breaking Bad" eine kleine Rückblende, die uns eine Unterhaltung zwischen Gale und Gus zeigt, in der Gale über die Qualität von Walters Methprodukt schwärmt; denn anders als sein 96-prozentig reines Meth, ist es Walters zu 99 Prozent. Letztendlich überredet er Gus dazu, doch mit Walter zusammenzuarbeiten. Ironisch, wenn man bedenkt, dass Gale damit sein eigenes Todesurteil unterzeichnet hat.

Zurück in der Gegenwart ist Gale tot. Walter sieht sein Leben nun in Sicherheit, denn ohne Gale, so glaubt er, ist Gus auf ihn angewiesen. "Breaking Bad" verbreitet einen Hauch von Hoffnung, doch nicht eine Sekunde lang glaubt man als Zuschauer wirklich, dass Walter und Jesse nun sicher seien, denn die Serie hat uns schon des Öfteren bewiesen, wie naiv das wäre. Dagegen erleben wir einen Walter, der eben genau das ist. Es war fast schon witzig, wie Walter sich in Sicherheit fühlt, man als Zuschauer jedoch Todesangst um den Protagonisten der Serie hat. Diese Angst sollte sich auch bald bestätigen, denn Victor macht mit Walters Gefühl der Sicherheit das, was Walter später mit ihm machen würde – er löst sie auf: "We ain’t missing no cook."

Victor fängt an, sich selbst an die Herstellung von Meth zu machen und Walter muss entsetzt mit ansehen, wie es ihm sogar gelingt. Bereits diese gesamten Momente, die im Drogenlabor gespielt haben, waren an Spannung praktisch kaum zu überbieten. Daher müsste man fast ein neues Wort, eine gesteigerte Form von Spannung, finden, um perfekt die Geschehnisse beschreiben zu können, die danach passieren. Denn mit Gus’ Erscheinen im Drogenlabor beginnen die packendsten und genialsten Minuten der Folge.

Das ist vor allem der Inszenierung zu verdanken, denn die gesamte Szene hat kaum wirkliche Schnitte, sodass man als Zuschauer das Gefühl hat, als säße man direkt neben Walter und Jesse. Jeder Schritt, den Gus macht, wird kompromisslos festgehalten. Und pro Schritt steigt für den Zuschauer die Spannung – und für Walter die Anspannung. Denn langsam wird ihm klar, wie ernst seine Situation ist. Während Gus die gesamte Zeit über kein einziges Wort verliert, startet Walter aus seiner Verzweiflung heraus einen Monolog. Er gibt Gus die Schuld an Gales Tod, schließlich hätte er damit rechnen müssen, dass er "extreme measures" ergreifen würde. Auch versucht er ihm erneut bewusst zu machen, dass er auf ihn angewiesen ist. Denn Victor kenne zwar das Rezept zur Herstellung von Meth, aber nicht die dahinter steckende Chemie. In Kontrast zu Walters angespanntem und verzweifeltem Monolog steht Gus’ Verhalten, der wortlos, gemütlich und unbeeindruckt währenddessen einen der Schutzanzüge anzieht und sich ein Teppichmesser schnappt. Walters Gesicht nach zu urteilen war auch ihm klar: Sein Leben hängt am seidenen Faden, den Gus zu jedem Zeitpunkt nun mit dem Teppichmesser durchtrennen könnte.

Doch letztendlich schockt uns "Breaking Bad" wieder mit seiner Unvorhersehbarkeit: Eiskalt und ohne eine Mine zu verziehen, schlitzt Gus Victor die Kehle durch. Und wieder schafft es die Inszenierung uns Zuschauer fühlen zu lassen, als wären wir hautnah dabei. Denn die Macher denken gar nicht daran, die Szene zu entschärfen, sondern fokussieren die Kamera die ganze Zeit auf Gus, wie er Victor ausbluten lässt, als sei er ein Tier. Nur hin und wieder wechselt das Bild auf die Gesichter von Jesse und Walter, die sichtlich Probleme haben, dieses grausame Schauspiel mit anzusehen. Interessant war im Übrigen auch Mikes schockierter Blick, der vielleicht jetzt erst begriffen hat, wie skrupellos Gus handeln kann. Auch danach erlöst "Breaking Bad" die Zuschauer nicht, sondern lässt das Geschehene nachwirken. Und so hält die Kamera fest, wie Gus sich seelenruhig die Hände wäscht und den blutverschmierten Schutzanzug wieder auszieht, während Victors Blutlache sich immer weiter auf dem Boden ausbreitet. Erst am Ende, kurz bevor Gus das Labor wieder verlässt, bricht er sein Schweigen: "Get back to work." Ein Wort: Genial.

Gerade in dieser Szene wurde wieder deutlich, was die Stärke der Serie ist: "Breaking Bad" lässt sich Zeit, seine Geschichten zu erzählen. Was andere Serien in fünf Minuten erzählen, erzählt "Breaking Bad" in fünfzehn Minuten, was sicherlich nicht jedermanns Geschmack sein dürfte. Aber die Fans der Serie werden wohl genau diese langsame Erzählweise zu schätzen gelernt haben, die oftmals spannender ausfällt, als manch Actionszene eines Films. Auch in dieser Folge wurden wir öfter Zeugen dieser detailtreuen und besonderen Art: Statt uns gleich Gales Leiche zu zeigen, bekommen wir erst einmal einige Nahaufnahmen des Tatorts gezeigt, während man im Hintergrund die Stimme eines verzweifelten Mannes hört, der panisch die Polizei über das Geschehene informiert.

"The one that says if I can't kill you, you'll sure as shit wish you were dead."

Gegen Ende der Folge sitzen Jesse und Walter in einem Diner und besprechen die aktuelle Lage. Dass Walter Jesse mittlerweile vollends als Partner sieht, wurde schön in der Drogenlaborszene deutlich: "You kill me, you have nothing. You kill Jesse, you don’t have me." Außerdem erkundigt sich Walter kurz nach Jesses Wohlergehen, der im Diner erstaunlich gelassen wirkte, obwohl man wohl damit rechnen kann, dass Gales Tod ihn wohl noch eine Weile beschäftigen wird. Denn während Walter mittlerweile durchaus in der Lage ist, seine Skrupel zu beseitigen (man denke nur an die "Run"-Szene aus #3.12 Half Measures), ist Jesse noch nicht an so einem Punkt angelangt.

In dem Diner fasst Walter auch noch einmal ihre jetzige Situation zusammen, die für den weiteren Verlauf der Staffel eine enorme Spannung verspricht. Beide sind Gus ausgeliefert, denn, wie Walter richtig sagte: "At his first opportunity, Gus will kill us." Gus hat den seidenen Faden zwar noch nicht durchtrennt, doch die Klinge des Teppichmessers befindet sich nach wie vor in unmittelbarer Reichweite. Im Laufe der Staffel muss Walter also irgendwie versuchen, das Teppichmesser an sich zu reißen, bevor es zu spät ist. Wie unglaublich interessant es zu sehen sein wird, wie Walter einem Antagonisten wie Gus das Handwerk legen will, braucht hier wohl gar nicht näher erläutert werden. Die Leben von Walter und Jesse standen noch nie so sehr auf der Kippe wie zu Beginn dieser Staffel und im Vergleich dazu war die damalige Gefangenschaft in Tucos Haus (in #2.02 In der Falle) wohl noch ein gemütliches Beisammensein.

Auf der Suche

Während Walter und Jesse im Drogenlabor um ihr Leben zitterten, wunderte sich Skyler über Walters Verbleib. Schnell scheint ihr klargeworden zu sein, dass Walter in Problemen steckt und versucht herauszufinden, wo er sich rumtreibt. Letztendlich darf man aber darüber grübeln, was genau Skylers Intentionen waren. Sicherlich machte es anfangs den Eindruck, als würde sie sich tatsächlich Sorgen um Walter machen, während die letzte Szene jedoch diesen Eindruck relativierte. Zwar fragt Skyler Walter bei ihrem Aufeinandertreffen nach seinem Wohlbefinden, jedoch nicht, wo er überhaupt gesteckt hat. Ist es ihr letztendlich einfach egal gewesen, weil im Prinzip nur zählt, dass Walter wieder da ist, damit das Geschäft weiterlaufen und sie Marie und Hank weiterhin finanziell unterstützen kann? Wie sich die Beziehung der beiden und ihre Einstellung zum jeweils anderen noch entwickeln wird, wird ebenfalls ein beachtenswerter Faktor dieser Staffel sein, zumal man das Ganze noch nicht wirklich vorhersehen kann. Es wäre einfach zu untypische für "Breaking Bad", würden Walter und Skyler wieder zueinander finden, obwohl man es ersterem wohl einfach gönnen würde. Jedenfalls gefällt es mir, dass Skyler offenbar mehr in den Vordergrund rückt – besonders, da ihr Charakter mittlerweile deutlich sympathischer und erträglicher ist als noch zu Beginn der Serie.

In einer kurzen Szene widmet man sich auch noch Marie und Hank. Letzterer ist nach wie vor ans Bett gefesselt und auf die Hilfe seiner Frau angewiesen. Es hat nur diese kurze Szene gebraucht, um noch einmal perfekt die Situation im Hause Schraders darzustellen: Marie versucht ihrem Mann mit unaufhaltsamen Optimismus Hoffnung zu geben, während Hank unter den langsamen Fortschritten seiner Therapie leidet und sich zudem entwürdigt fühlt, weil er seine Frau um jede Kleinigkeit bitten muss. Wie schon erwähnt: Manchmal erzählt "Breaking Bad" Storys, für die andere Serien fünf Minuten benötigen, in fünfzehn Minuten. Umgekehrt schafft es "Breaking Bad" aber auch, die Gefühlswelt seiner Charaktere in fünf Minuten dem Zuschauer besser zu übermitteln als es andere Serien nach deutlich längerer Zeit überhaupt in der Lage wären.

Fazit

Fast ein ganzes Jahr war "Breaking Bad" weg und nach knapp 45 Minuten fühlt es sich so an, als wäre sie es nie gewesen. Sofort weiß man, weshalb man die Serie so liebgewonnen hat, denn #4.01 knüpft qualitativ genau dort an, wo die grandiose dritte Staffel aufgehört hat und bringt genau die Stärken mit sich, welche die Show zu einer Ausnahmeserie machen. "Breaking Bad" ist also zurück – nicht zu 96%, nicht zu 99%, sondern zu 100%!

Manuel H. - myFanbase

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