Bewertung

Review: #1.05 Wahrheiten

Foto: Andreas Pietschmann & Louis Hofmann, Dark - Copyright: Stefan Erhard/Netflix
Andreas Pietschmann & Louis Hofmann, Dark
© Stefan Erhard/Netflix

Manchmal fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Rückblickend erscheinen die Enthüllungen dieser Episode vollkommen klar, gekonnt hat man Hinweise gestreut, die den Zuschauer auf die richtige Fährte hätten bringen können, doch die Fingerzeige wurden stets geschickt verpackt, wodurch die offengelegten Wahrheiten alles andere als vorhersehbar sind. Mit vielen kleinen Zeichen arbeitet man bereits in den ersten Minuten dieser Folge darauf hin, dass der Zuschauer selbst erkennt, welche jungen und alten Ichs zusammen gehören, damit man am Ende dann zufrieden feststellen kann, dass man die losen Fäden richtig verbunden hat. Diese Jagd nach Antworten ist äußerst fesselnd und wird nebenbei von einem tieferen Einblick in das Liebesdreieck rund um Katharina, Ulrich und Hannah begleitet.

33 Jahre

Bisher bin ich davon ausgegangen, dass es sich bei dem Fremden und Mikkel um ein und dieselbe Person handelt, doch wie uns diese Episode gezeigt hat, ist Mikkel Nielsen niemand geringeres als Michael Kahnwald. Eine Enthüllung, bei der man sich sofort an den Kopf fasst und denkt Natürlich! Warum bin ich nicht schon viel früher darauf gekommen?. Es gab viele kleine Andeutungen, die man in der ersten Staffelhälfte untergebracht hat, um den Zuschauer ganz sanft zu dieser Erkenntnis zu bringen. Nun macht es nicht nur Sinn, dass Michael wusste, an welchem Tag Mikkel verschwindet, es erklärt sich auch, woher Ines Kahnwald 1986 plötzlich einen Sohn bekam, warum Michael eine Karte der Windener Höhlen besaß und warum die Namen Mikkel und Michael so eng aneinander angelehnt sind. Wie man uns die Wahrheit über Mikkel und Michael präsentiert hat, kann auf ganzer Linie überzeugen. Denn obwohl man zum Beginn der Folge mit dem Blick auf Ines, Mikkel und die 33 vergangenen Jahre schon fast sicher ist, Michaels Geheimnis erkannt zu haben, so bleibt ein Funke von Zweifel, da man nicht weiß, ob man vielleicht nicht doch einen Hinweis falsch gedeutet hat. Es ist schlussendlich umso befriedigender, dass sich diese Theorie in den letzten Minuten bewahrheitet.

Dennoch lässt die Enthüllung einen Kritikpunkt übrig, über den ich nicht so leicht hinwegsehen kann. Scheinbar hielt Michael ab einem bestimmten Zeitpunkt alles was er brauchte in den Händen, um in seine Zeit zurückkehren zu können. Doch warum tat er dies nicht? Und warum brachte er sich lieber um, statt sein Jüngeres Ich davon abzuhalten, ebenfalls aus seiner Familie gerissen und in die Vergangenheit gebracht zu werden? Dies sind Fragen, die sich nicht beantworten lassen. Scheinbar war Michael mit seinem Leben nicht so glücklich, dass er es bis ins hohe Alter genießen wollte, sonst hätte er sich nicht erhängt, anstatt den Weg, den Mikkel gehen muss, um eine glückliche (?) Familie zu gründen, mit anzusehen. Aber wenn er eben nicht glücklich war, warum hat er Mikkel dann nicht aufgehalten?

Mit der Zuordnung von Mikkels erwachsenem Ich wird auch deutlich, mit wem wir es bei dem Fremden zu tun haben (könnten). Auch hier gab es einige indirekte Hinweise, man ließ uns allerdings etwas mehr im Dunkeln tappen, als es bei Michael und Mikkel der Fall war. Ich wage nun die Vermutung, dass Jonas und der Fremde ein und dieselbe Person ist. Man könnte dadurch erklären, weshalb der Fremde Jonas bei der Ergründung des Geheimnisses der Höhlen hilft und auch, wie er in den Besitz von Michaels Abschiedsbrief gekommen ist. Zudem scheint es weiterhin so, dass der Fremde und Noah die gegnerischen Pole dieser Geschichte darstellen. Indem man uns Noah nun mit Bartosz zeigt, liegt außerdem die Vermutung nahe, dass uns hier zwei weitere Versionen der gleichen Figur gezeigt werden. Fragwürdig finde ich allerdings, weshalb wir Noah nun bereits 1986 und 2019 gesehen haben und das im gleichen Alter. Reist er ständig vor und zurück? Was ist sein Ziel? Aus welchem Jahr stammt er?

Neben der bedrohlichen Musik, die Noah gekonnt einzuhüllen weiß, konnte mich auch die mysteriöse Aura um Charlotte Recherche vollends in ihren Bann ziehen. Sie scheint zu ahnen, dass sich die Geschichte von vor 33 Jahren wiederholt, doch ihr fehlt das entscheidende Puzzleteil, um das Verschwinden der Jungen miteinander in Verbindung bringen zu können. Dass sie hier den Finger auf etwas Übernatürliches legen muss, hängt wie ein dichter Nebel in der Luft, nach dem Charlotte nicht greifen kann. Diese Erzählweise und der Eindruck von Hilflosigkeit, der dabei entsteht, machen dem Titel der Serie wieder einmal alle Ehre.

Nachdem ich mich zuletzt schwer damit tat, dass die Handlung rund um die Nielsens auf der Strecke blieb, macht man dies nun gut und das sogar auf zwei Zeitebenen. Mal malt nicht nur ein äußerst manipulatives Bild von Hannah, sondern zeigt auch, wie weit die Missgunst über die Beziehung von Katharina und Ulrich bei ihr zurückgeht. Damit erklärt man einerseits, weshalb sie sich so kurz nach dem Tod ihres Mannes – oder hatte sie sogar schon davor etwas mit Ulrich? – auf eine Affäre eingelassen hat, andererseits wirft es kein allzu schönes Licht auf Hannahs Ehe mit Michael, denn scheinbar war er von je her zweite Wahl.

Randnotizen

  • Das Phantombild, das aufgrund von Elisabeths Beschreibung angefertigt werden konnte, hat eine verblüffend treffende Ähnlichkeit mit Noah. Auch das wissende Lächeln, das er stets zu tragen scheint, konnte gut eingefangen werden.
  • Hannahs Beschuldigung, dass Ulrich Katharina vergewaltigt hat, treffen bei Egon Tiedemann genau ins Schwarze, denn er sucht ja bereits unter jedem Stein nach etwas, was er Ulrich anhängen kann.
  • Wie ernst war es zwischen Jonas und Martha, bevor er in die Therapie verschwand? Dass sie sich nun so leicht von Bartosz ab und hin zu Jonas wendet, tut mir für Bartosz leid, ihm scheint viel an Martha zu liegen.
  • Noch immer frage ich mich, was es mit Charlottes Taschenuhr auf sich hat.
  • Peter scheint bei Charlottes Verdacht, dass er etwas mit dem Verschwinden der Jungen zu tun hat, ernsthaft empört zu sein. Wenn nicht dies sein Geheimnis ist, was verbirgt er dann?
  • Der Fremde strömt in jeder Szene Bedrücktheit aus, so als wäre er der tragische Held der Geschichte.

Fazit

Auch wenn man das Ende der Folge in den ersten Minuten bereits ankündigt, wird man die gesamte Zeit über von großer Neugierde begleitet, ob man die eingeworfenen Hinweise nun richtig zusammengefügt hat. Dadurch reist die Spannung nie ab und gleichzeitig sorgen die kleinen Nebenhandlungen dafür, dass man emotional involviert bleibt.

Marie Florschütz - myFanbase

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