Review: #4.06 Die wir zurück gelassen haben
Letztens erst las ich ein Interview mit Jeff Pinkner, einer der Showrunner von "Fringe", das er bereits vor dem Start der vierten Staffel gegeben hatte. Dort sprach er davon, dass die vierte Staffel zwar natürlich versuchen werde, eine interessante folgeübergreifende Handlung aufzubauen, er und sein Team jedoch auch vermehrt wieder auf unabhängige Fall-zentrierte Folgen setzen würden, damit die vierte Staffel sowohl für die hartgesottenen Fans, als auch für eventuelle Neueinsteiger sehenswert sei. Spürbar ist dies definitiv, denn momentan dominiert wirklich eher der Eindruck, als würde sich die Staffel nicht vom Fleck bewegen. Doch irgendwie suche ich hinter Pinkners Aussage die Logik. Schließlich ist es eher unwahrscheinlich, dass jetzt in der vierten Staffel noch neue Zuschauer hinzusteigen, zumal allein die ganze Geschichte rund um Peter die Verwirrung der Neueinsteiger exorbital nach oben schießen lassen würde. Wäre es nicht effektiver gewesen, wenn man dieser vierten Staffel einen bombastischen Haupthandlungsstrang gegeben hätte, den man in fast jeder Folge irgendwie konsequent fortgesetzt hätte? So würden die Stammzuschauer auch weiterhin der Serie treu bleiben und das daraus resultierende positive Echo würde vielleicht auch noch die ein oder anderen neugierigen Nicht-Fringies dazu animieren, sich die bisherigen Folgen zuzulegen, anzuschauen und dann irgendwann später hinzuzusteigen.
Aber nein, stattdessen sind die Stammzuschauer momentan die Leidtragenden, die nicht nur nicht mehr all die schönen Figurenkonstellationen genießen dürfen, die sie all die Jahre über so lieb gewonnen haben, sondern auch noch eine Staffel serviert bekommen, welche sich tatsächlich viel mehr auf Fälle konzentriert, statt auf das große Ganze. Das wiederum hat aber einen Vorteil, der die vierte Staffel bisher doch noch erträglich macht, da man sich wirklich Mühe hinsichtlich der Fälle zu machen scheint. Wirkten einige Fall-zentrierte Episoden früher oftmals ein wenig lieb- oder einfallslos, so machen diese in dieser Staffel bisher einen fantastischen Eindruck. Und nachdem eben bereits #4.02 One Night in October und #4.03 Alone in the World ein wenig Glanz in diese Staffel brachten, toppte "Fringe" jene mit #4.06 And Those We’ve Left Behind noch einmal, auch wenn während der Folge eine Entwicklung vonstatten ging, die einen wünschen lässt, selbst die Zeit zurückdrehen zu können.
"Walter calls this the 'Walter-Bishop-Faraday-Harness'. He wanted me to tell you that."
Zeit spielte in dieser Folge eine große Rolle, weshalb ich persönlich auch schon sehr angetan war, da ich Themen wie Zeitreisen oder Zeitanomalien in SciFi-Formaten immer unheimlich interessant finde. Und wenn der "Fringe"-Zuschauer an Zeitreisen denkt, kommt ihm zweifelsohne direkt eine Episode in den Sinn, nämlich #2.18 Die weiße Tulpe, die ich ja bereits in meiner Review zu #4.03 Alone in the World mal wieder bis ins Unendliche gelobt hatte und – ja, ich erwähne es nochmals – für mich und viele andere nach wie vor zu den besten Episoden der ganzen Serie gehört. Auch die Macher scheinen sich der Beliebtheit dieser Folge bewusst zu sein und haben mit #4.06 wohl versucht, diesen Erfolg zu kopieren. Denn tatsächlich weist diese Episode erstaunlich viele Parallelen zu #2.18 auf. Nicht nur das Thema, nämlich Zeitreisen, wird wieder aufgegriffen, sondern auch andere Details. Abgesehen davon, dass das Team während der Ermittlungen immer wieder diversen Zeitanomalien ausgesetzt ist (in #2.18 waren es Zeitschleifen) und auch ein Faradayscher in beiden Folgen Verwendung fand, weisen auch das Motiv und die Schicksalsgeschichte von Raymond Green einige Parallele zu denen von Alistair Peck auf.
Beide Geschichten handelten schließlich von Liebe und von dem Verlangen danach, wieder dem Menschen nahe zu sein, den man Jahre lang geliebt hat. Bei Alistair Peck wurde dieses Verlangen durch den Tod seiner Freundin ausgelöst, bei Raymond Green hingegen durch die Alzheimererkrankung seiner Frau Kate. Und während Alistair Peck durch Zeitreisen eben versuchte, seine Frau wieder zurückzuerlangen, möchte Raymond immer wieder zu einem Zeitpunkt zurückreisen, an dem Kates Krankheit noch nicht ausgebrochen war, um für immerhin 45 Minuten immer und immer wieder sorglose Momente mit seiner Frau zu genießen. Und obwohl sich beide Geschichten ähnelten, entfaltete die Handlung in #4.06 eine ganz andere intensive Wirkung auf den Zuschauer. Denn das Hin- und Herwechseln zwischen den harmonischen und schönen Eheszenen zwischen Raymond und Kate in der Vergangenheit zu den wirklich herzzerreißenden Momenten in der Gegenwart, in denen sich Raymond liebevoll um seine kranke Ehefrau kümmert, war grandios in Szene gesetzt und sorgte wirklich für sehr emotionale Minuten. Diese Intensität steigerte sich dann sogar noch mit der Zeit und gegen Ende hin waren die letzten Szenen zwischen Raymond und Kate, sowie letzten Endes der Schluss der Geschichte selbst, nämlich Kates Aufopferung, einfach nur unfassbar bewegend, auch wenn der Ausgang vorhersehbar war. Nichtsdestotrotz ein Lob an die Autoren, dass man uns Zuschauern wieder einmal eine so bewegende Geschichte abliefern konnte, die stellenweise wirklich unter die Haut ging. Nicht ganz unschuldig dabei waren die Darsteller der Eheleute – Stephen Root und Romy Rosemont –, die auch im wirklichen Leben miteinander verheiratet sind. Das hat man den beiden auch durchaus angemerkt, da sie ihre Rollen wirklich sehr authentisch verkörpert haben und man ihnen jede Sekunde abkaufte – wobei auch ein sehr schlechtes Zeichen gewesen wäre, wenn nicht.
Bevor sich die Ermittlungen jedoch auf das Ehepaar Green konzentrierten, stand zunächst Peters Rückkehr im Verdacht, etwas mit den Zeitanomalien zu tun zu haben. Und hätte mich die Geschichte rund um Raymond und Kate nicht so sehr überzeugt, wäre ich beinahe enttäuscht darüber gewesen, dass man aus dieser Episode mehr eine Stand-Alone-Folge machte, statt den Storyarc um Peters Rückkehr ein wenig interessanter und spannender zu gestalten, indem man zeigt, dass Peters Rückkehr offenbar dramatische Auswirkungen auf unsere Welt zu haben scheint. Generell war ich eigentlich davon ausgegangen, dass Peter der alleinige Auslöser der Zeitanomalien war, schließlich wurden wir bereits in #4.04 Subject 9 und am Ende von #4.05 Novation Zeuge von solchen Anomalien und da ist es schon ein wenig überraschend, dass doch "nur" ein Fall dahinter stand. Ganz richtig ist das natürlich nicht, denn am Ende stellte sich heraus, dass Raymonds Zeitreisen nur dadurch möglich wurden, da Peters Rückkehr offenbar wirklich etwas bewirkt haben muss – was für Peter selbst der endgültige Beweis zu sein scheint, dass er nicht in diese Realität gehört.
"I was important to you, wasn't I?"
Die Handlung um Peter wurde in dieser Folge – abgesehen vom besorgniserregenden Ende, zu dem wir später kommen werden – doch recht überzeugend weitererzählt. Wurde er in #4.05 noch als Art merkwürdiges Fremdobjekt betrachtet, mit dem niemand so wirklich sprechen möchte, so gab es in dieser Folge einige mehr Interaktionen zwischen Peter und den anderen Charakteren. Besonders die Szenen mit Olivia hatten einen interessanten Stellenwert inne, zumal Peter eingesehen zu haben scheint, dass es wirklich nicht die Version seiner Olivia ist, die ihm gegenübersteht. Auch Olivias teilweise sensibles Verhalten gegenüber Peter konnte überzeugen, besonders als Olivia ihn darauf anspricht, dass die andere Version von ihr ihm wohl wichtig gewesen sein muss. Momentan gefällt es mir gut, wie subtil man Peters Gefühlswelt darstellt. In der letzten Folge war es fast schon zu zurückhaltend dargestellt, denn wirkliche Emotionen konnte man bei Peter noch nicht wirklich ausmachen. In dieser Folge verzichtete man zwar auch auf die ganz großen Gefühlsausbrüche und manche werden sich über die doch recht gelassene Art von Peter wundern. Aber die einzelnen Momente, die gezeigt haben, wie sehr sich Peter doch wieder nach "seiner" Realität sehnt – etwa Peters so schön mit anzusehender und sorgenfreier Traum zu Beginn der Folge – reichten voll und ganz aus, um uns Zuschauern klarzumachen, wie schwer es für Peter sein muss, in einer Welt zu leben, in der sich keiner an ihn erinnert, er sich allerdings an jeden. Und somit stellte Peters Situation genau das Gegenteil zu Kates Schicksal da: Jeder erinnert sich an sie, während sie sich an niemanden erinnert.
Ein wenig in den Hintergrund rückte die Beziehung zwischen Peter und Walter, denn während die letzte Episode in dieser Hinsicht noch wirklich sehr mitreißende Momente lieferte, waren jene in dieser Folge in weiter Ferne. Schade, da man sicherlich noch einiges rausholen könnte und einige interessante Entwicklungen mit großer Wahrscheinlichkeit noch drin wären. Das fällt aber nicht negativ ins Gewicht, da man uns dafür Walter von seiner herrlichsten Seite zeigte und er sich nicht besser verhielt, wie ein bockiges Kleinkind. Bei gestressten Müttern werden die Szenen mit Walter Erinnerungen an die schlimmsten Launen ihrer Kinder hervorgerufen, alle anderen werden bei den meisten Szenen jedoch wirklich etwas zum Schmunzeln gehabt haben. Besonders schön sind diese Momente natürlich deshalb, weil man endlich wieder ein wenig mehr Spaß mit Walter haben kann und man weit von solch schwer im Magen liegenden Szenen mit ihm entfernt ist, wie sie die ersten Folgen dieser Staffel zu bieten hatten.
Spaß machte es im Übrigen auch, Peter so sehr in den Ermittlungen integriert zu sehen. Erstens fühlte man sich dadurch ein wenig an die guten alten Zeiten zurückerinnert, in denen Peter noch festes Mitglied des Teams war, zweitens hatte das Ganze einige herrliche Momente zu bieten, wie beispielsweise Peters entnervtes Verhalten nach der zigsten Zeitanomalie, die er am eigenen Leib zu spüren bekam. Zudem waren die Szenen zwischen ihm und Lincoln eine gelungene Angelegenheit, von denen es gerne mehr hätte geben dürfen, da Lincoln, wie Peter schon feststellte, wirklich der Einzige sein dürfte, der Peter wirklich als Mensch sieht und nicht als irgendein unerklärliches Phänomen oder, laut Broyles, als Fringe-Event. Herrlich: Da untersucht Peter jahrelang unerklärliche und merkwürdige Ereignisse und nun wird er selbst als ein solches dargestellt. Bitterste Ironie vom Feinsten, nicht?
"Clearly I'm in the wrong place. All the people that I know and love are somewhere else. I just got to figure out how to get home."
Kommen wir zum unerfreulichen Part dieser Episode, der die Story um Peter betrifft. Größtenteils war diese in dieser Folge ja gut umgesetzt, doch am Ende kommt es leider zu einer Entwicklung, die die Sorgenfalten tiefer werden lassen. Denn Peter wird klar, dass er in einer falschen Realität festsitzt und nimmt es sich zum Ziel, wieder dorthin zurückzukehren, wo er herkommt. Dieses Vorhaben kann logischerweise nur zwei Ausgänge haben: Entweder Peter gelingt es, in seine Realität zurückzukehren oder er bleibt auf ewig in dieser Realität gefangen. Und irgendwo würden beide Varianten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Würde Peter in seine Realität zurückkehren, wäre all das, was bisher in der vierten Staffel vonstatten, absolut irrelevant gewesen und man hätte uns wohl einen der größten Lückenfüller der Seriengeschichte aufgetischt. Gut wäre dann allerdings, dass wir wieder das gewohnte "Fringe" hätten, mit der schönen Dynamik zwischen Walter und Peter und einer hoffentlich harmonischen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Peter und Olivia. Denn genau das würde uns verwehrt bleiben, fände Peter keinen Weg zurück in die alte Realität, was also gleichzeitig die Schwachstelle dieser Lösungsmöglichkeit wäre.
Folglich befindet sich die Serie für uns Zuschauer momentan in einer echten Bredouille. Keine der möglichen Ausgänge der Handlung um Peter scheint wirklich befriedigend ausfallen zu können und momentan ist die ganze Geschichte kurz davor, als einziger Reinfall zu enden. Ich weiß, vor einigen Wochen hatte ich noch gesagt, dass ich genau solche Kommentare lassen und erst abschließend über diese Story urteilen werde, wenn man endlich ihren Sinn erkennt. Aber mittlerweile muss man sich doch die große Frage stellen, ob das Ganze eigentlich einen wirklichen Sinn hat. Zudem etabliert sich immer mehr das Gefühl, dass man mit dieser Handlung die gesamte Serie in ein Loch hinunterziehen wird, in dem bereits meine Hoffnungen begraben liegen, dass sich das Ganze noch in eine vernünftige Richtung entwickeln wird. Einzig, wenn man diese Geschichte noch irgendwie bedeutungsvoll mit der nach wie vor unklaren Handlung um die beiden Universen verknüpfen würde, sehe ich die Möglichkeit, dass die Serie noch einmal die Kurve kriegt. Dann muss das aber wirklich schnell passieren, denn wie Peter in dieser Episode sagte: "This is gonna start getting annoying."
Fazit
Die vierte Staffel kränkelt nach wie vor an dem Storyarc um Peter und dem Nichtvoranschreiten der Handlung um die zwei parallelen Welten. Dafür präsentierte man uns mit #4.06 And Those We’ve Left Behind bereits zum dritten Mal in dieser Season einen überaus starken Fall der Woche, der auf emotionaler Ebene sogar der bisher überzeugendste und mitreißendste Fall der Staffel war, weshalb diese Episode in Zukunft wohl in einem Atemzug mit Folgen wie #2.18 Die weiße Tulpe, #3.03 Milo oder #3.09 Marionette erwähnt wird. Daher bleibt #4.06 das bisherige Glanzstück dieses verwirrenden Mosaiks, das sich vierte Staffel nennt und bei dem man nach wie vor verzweifelt nach einem Muster sucht.
Manuel H. - myFanbase
Die Serie "Fringe - Grenzfälle des FBI" ansehen:
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Diskussion zu dieser Episode
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: And Those We've Left BehindErstausstrahlung (US): 11.11.2011
Erstausstrahlung (DE): 09.07.2012
Regie: Brad Anderson
Drehbuch: Glen Whitman, Robert Chiappetta
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