Review: #1.01 Der Verdacht
Wow, nachdem die bisherige Herbstseason sehr enttäuschend angelaufen ist und besonders in meinem Drama-Repertoire noch eine große Lücke klafft, kommt mit "Homeland" endlich ein Pilot daher, der auf ganzer Linie zu überzeugen weiß. Kann die Serie diese Qualität der ersten Folge aufrecht erhalten, dann sehe ich sogar das Potential, zur besten momentan laufenden Show des US-Fernsehens (erst nach dem Staffelfinale von "Breaking Bad" natürlich) zu werden. Nicht nur hat "Homeland" eine unheimlich vielversprechende Prämisse, einen hochkarätigen Cast und eine spannende Geschichte zu erzählen, es besitzt auch die nötige Tiefe und moralische Vieldeutigkeit, um zu einer wirklich fesselnden Serie zu werden.
Fangen wir mit dem Offensichtlichen an, der Ausgangslage der Serie, dass ein aus der irakischen Gefangenschaft zurückgekehrter US-Soldat von einer einzelnen Person, einer psychisch instabilen CIA-Agentin, verdächtigt wird, zum Feind übergelaufen zu sein und nun einen Anschlag in den USA plant. Das ist wahrlich keine leichte Kost, wird aber bis dato von der Serie auch mit dem nötigen Fingerspitzengefühl behandelt, damit die Show nicht in simple Action-Gefilde abdriftet. Dazu kommt, dass die beiden Hauptrollen von dem wie immer grandiosen Damian Lewis und Claire Danes, die die beste Leistung ihrer Karriere seit "Willkommen im Leben" abliefert, gespielt werden. Und als dritten ausschlaggebenden Faktor bringe ich die Tatsache ins Rennen, dass die Serie offensichtlich etwas zu sagen hat, über die menschliche Psyche der Protagonisten unter diesen außergewöhnlichen Umständen, über die USA nach dem 11. September und die seither eingeschränkten Bürgerrechte im Zeichen des Terrors und über moralische Zwiespälte, denen die Personen ausgesetzt sind, sowohl in Bezug auf das Militär als auch in privaten Situationen.
Eine der Triebkräfte für den weiteren Verlauf der Serie wird sicher die Frage sein, inwieweit Nicholas Brody schuldig ist, ob Carrie Mathisons Verdächtigungen zutreffen und ob von ihm wirklich eine Gefahr ausgeht. Der Pilot hat diesbezüglich einen heftigen Überraschungsmoment in den letzten Minuten parat, der diese Frage zunächst einmal zu beantworten scheint. Aber diese Antwort ist sicher keine von der eindeutigen und endgültigen Sorte. Im Gegenteil, sie hebt das Ratespiel rund um Brody auf eine höhere Ebene, denn es bieten sich damit unzählige Möglichkeiten, wo dieser Mann nach den Jahren der Hölle auf Erden nun steht. Der Zuschauer ist in seinem Wissen Carrie um ein paar Schritte voraus, denn ihm wird ein kleiner Einblick in Brodys Erinnerungen gewährt, aber nie soweit, dass alles klar ist. Diese Balance über mindestens eine Staffel aufrecht zu erhalten, ist nun die Aufgabe der Serie. Sicher stellt man sich die Frage, wie es mit der Show weitergeht, wenn sich dieses Rätsel einmal vollkommen aufklärt, aber das ist ein Problem, das sich erst weiter in der Zukunft offenbart und uns jetzt nicht daran hindern soll, die momentane Qualität von "Homeland" zu genießen.
Trotz der inhaltlich sehr interessanten Ausgangslage zeichnet sich "Homeland" aber vor allem durch seine tiefgründigen Charaktere aus. Carrie ist alles andere als eine vorbildliche Beamtin, sie hat der CIA schon einigen Ärger beschert und ist auf persönlicher Ebene ein totales Wrack. Sie ist manipulativ, störrisch, aufbrausend und kompliziert im Umgang mit ihren Mitmenschen, und leidet nicht zu vergessen unter einer ernsthaften psychischen Störung. Hinter all dem steckt aber auch eine ehrliche Leidenschaft für ihren Job und eine tiefe Überzeugtheit von der Richtigkeit ihrer Handlungen. Sie ist wahrlich kein Charakter, den man sofort ins Herz schließt, aber sie ist ein Charakter, den man unheimlich gerne erforschen und näher kennen lernen will, also der perfekte Mittelpunkt einer solchen Serie.
"Homeland" spielt in einer Welt, die tief von der Angst vor dem Terror geprägt ist. Das Amerika nach dem 11. September ist ein anderes geworden und die Selbstverständlichkeit der Überwachungsmöglichkeiten, die sich Carrie hier offenbaren, ist ein Zeichen dafür. Ebenso wie Carries absolute Besessenheit, den nächsten großen Anschlag zu verhindern. Aber auch die Präsenz von Folter und psychischer Gewalt sprechen in "Homeland" eine deutliche Sprache und scheinen gerade für amerikanische Verhältnisse überraschend differenziert eingesetzt zu werden. Aber die Serie bietet nicht nur aufgrund der offensichtlichen nationalen Bedrohung moralische Tiefe, auch die Auswirkungen von Brodys Rückkehr auf seine Familie, seine Frau Jessica (Morena Baccarin), die mittlerweile in einer Beziehung mit einem anderen Mann lebt, und seine beiden Kinder im Teenageralter, ist sehr komplex.
Eine der aufwühlendsten und für mich emotional beindruckendsten Szenen war die scheue, seltsame Annäherung der beiden Eheleute in deren Schlafzimmer am Abend ihres Wiedersehens. Die Stimmung in dieser Szene wechselt ständig (und hat dank Carries Überwachung noch eine zusätzliche, extrem verstörende voyeuristische Ebene) und die vielen verschiedenen Gefühlsebenen, die Damian Lewis und Morena Baccarin hier meisterhaft durch subtiles Schauspiel offenbaren, gehen einem wahnsinnig unter die Haut. Diese erste Episode von "Homeland" hat aber nicht nur diese, sondern noch einige Momente mehr von ähnlicher Intensität zu bieten und lässt mit dieser emotionalen Tiefe und Mehrdeutigkeit nie das Gefühl aufkommen, man wolle es dem Zuschauer mit oberflächlichen Kategorien wie Gut oder Böse leicht machen. Nein, die Protagonisten sind durch die Bank weg vielschichtig, moralisch nicht einzuordnen und voller Fehler. Carrie ist keine Heldin, Brody ist nicht der Böse, Jessica ist nicht die Unschuldige. Sie alle besitzen diese Facetten, und noch viele mehr. Nach dem Ende dieser ersten Folge kann man es kaum erwarten, mehr davon kennenzulernen, mehr über die Hintergründe all dieser Figuren zu erfahren und ganz besonders, endlich zu wissen wie es weitergeht.
Damit ist dieser Pilot einer der besten, den ich über das gesamte Spektrum unzähliger Dramaserien bisher gesehen habe. Ich finde auch beim bemühten Suchen keine Schwächen, ganz im Gegenteil, wie man hier die so ungewöhnliche Figur der Carrie Matheson einführt, ist meisterhaft. Nach all den männlichen Protagonisten in den großen Dramaserien, ist Carrie die Verkörperung eines völlig neuen Serienarchetyps und sowohl in der Ausarbeitung dieses Charakters von Seiten der Autoren, als auch in der Darstellung Claire Danes finden sich hier bereits so viele faszinierende und vor allem sehr spezifische Ansätze, die große Dinge andeuten. Besonders die stillen Routinen, die uns mehr über Carrie sagen als all die Dialoge, haben es mir dabei angetan. Ihr ruheloses Treiben, nach ihrem Streit mit Saul Berenson, und die Art und Weise, wie sie dabei eine zumindest momentan wichtig erscheinende Idee in Bezug auf Brody hat, bringen einen ganz besonderen Charakter zum Leben, der seinesgleichen in der TV-Landschaft sucht. Allein hierfür müsste man diesen Piloten über den Durchschnitt loben, aber auch in allen anderen Aspekten wird hier selbstbewusst überzeugende Arbeit abgeliefert. So dass dies einer der wenigen ersten Episoden einer Serie ist, der ich ohne Zweifel die volle Punktzahl geben möchte.
Cindy Scholz - myFanbase
Die Serie "Homeland" ansehen:
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: PilotErstausstrahlung (US): 02.10.2011
Erstausstrahlung (DE): 03.02.2013
Regie: Michael Cuesta
Drehbuch: Howard Gordon, Alex Gansa & Gideon Raff
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