Review: #1.02 Die Garage
Ein gelungener Pilot ist die eine Sache, und sicher ein sehr wichtiger Schritt, um Zuschauer an eine neue Serie heranzuführen, aber mindestens genauso wichtig ist es, mit der zweiten Episode diese Zuschauer, deren Interesse man geweckt hat, nun dauerhaft an sich zu binden. Dafür muss man oft einen gewagten Spagat schaffen, einerseits so viel wie möglich der Grundprämisse noch einmal zu wiederholen und damit zu festigen (oder eben auch potentielle Neuankömmlinge ins Geschehen einführen, auch wenn dieser Aspekt bei einer Kabelserie wie "Homeland" meist eine geringere Rolle spielt), aber auch natürlich ganz viel Neues auf den Tisch zu bringen, damit nicht gleich in der zweiten Episode die Langeweile aufkommt.
#1.02 Die Garage (im Original etwas treffender mit "Grace" betitelt") schafft dies ganz ausgezeichnet. Ich bin besonders beeindruckt, wie gut man weiterhin die beiden Protagonisten etablieren kann, die große Handlung vorantreibt (ohne sich dabei aber wirklich in die Karten blicken zu lassen) und wie man zudem noch mit den Geschichten rund um Carries andere Agententätigkeiten und Brodys Neueingliederung in sein altes Leben das Potential aufzeigt, was die Serie bietet, kurzfristigere Handlungselemente abzuarbeiten. So vermeidet man, dass der Geschichte zu schnell die erzählerischen Möglichkeiten ausgehen.
Carries Charakterisierung widmet sich in dieser Folge nun vor allem ihrem Können als Agentin, beziehungsweise als Betreuerin einer Spionin, die tief in die Welt des potentiellen Terrorismus eingebunden ist. Ihre psychische Erkrankung, die im Piloten doch einen recht wichtigen Schwerpunkt eingenommen hat, wird erst im letzten Drittel der Episode wieder thematisiert, so dass man sie als Zuschauer schon wieder etwas aus dem Auge verloren hat. Viel wichtiger war, Carrie im Einsatz zu sehen und zu erkennen, dass sie eine sehr gute Betreuerin für Lynne Reed ist, wobei Carrie selbst zwischen ihrem Beschützerinstinkt und ihren Verpflichtungen den Vorgesetzten gegenüber, gefangen ist. Bemerkenswert ist dabei wie Carrie Lynne eine Sicherheit vorspielt, die sie nicht garantieren kann, hätte sie Lynne dies aber erfahren lassen, wäre diese noch in viel größerer Gefahr als bisher.
Der Subplot rund um Lynne, die von Carrie angeworben wurde, um einen reichen saudischen Prinz auszuspionieren, mag auf handlungstechnischer Ebene ein Mittel zum Zweck sein, um die große Handlung etwas zu verzögern, erfüllt ihre Aufgabe aber sehr gut, indem sie uns mit Lynne mitfiebern lässt und es als grobe Ungerechtigkeit zu empfinden, wie abfällig beispielsweise David Estes über sie urteilt, wo sie es doch ist, die sich selbst in größte Gefahr begibt. Zumal es schon ein starkes Stück vom US-amerikanischen Geheimdienst ist, junge Frauen dazu anzustiften sich zu prostituieren, und diese dann genau dafür als minderwertig einzustufen. Darin liegt auch mein größter Kritikpunkt an dieser Folge und der Serie bisher. Dafür dass die meisten wichtigsten Charaktere bisher sehr vielschichtig aufgebaut werden, wirkt David Estes doch noch zu karikaturenhaft gemein. Gerade im Vergleich zu Carries direktem Mentor Saul Berenson (der aber natürlich auch vom immer genialen Mandy Patinkin gespielt wird und schon deshalb weit im Vorteil ist), bleibt Estes doch bis dato leider noch im Stadium des Chefs ohne Verständnis stecken.
Auch die allererste Szene rund um Lynne Reed, bei der wir sie im Interview für weitere Damen in Prinz Farid Bin Abbuds Harem sehen, war für meine Begriffe zu stark auf die ach so freizügige Sexualität gemünzt, mit der ein Sender wie Showtime eben hausieren gehen kann. Nach dem viel subtilerem und vor allem realistischerem Umgang mit dem Thema Sex im Piloten war dies doch eine kleine Enttäuschung.
Wobei man allerdings in der Beziehung der Brodys weiterhin auf diesen schmerzhaften Realismus setzt, glücklicherweise. Und auch Lynnes Rolle konnte nach dem etwas albernen Auftakt schnell an Tiefe gewinnen. Kommen wir aber zurück zu Brody, und dessen Versuche, sich in seiner neuen alten Welt zu orientieren. Die Darstellung seiner Anpassungsschwierigkeiten, seine Alpträume, seine Schutzsuche in dunklen Räumen, in engen Ecken in der totalen Isolation, die eine besondere Bedeutung erhält, da diese Isolation von Carrie durch die Observation durchbrochen wird, ist faszinierend. Es ist ein völlig stimmiges Bild für einen Mann, der so viel durchgemacht hat wie er, der egal was im Irak wirklich passiert ist, kein psychisch gesunder Mensch sein kann. Es bietet aber auch darüber hinaus so viel Raum für Spekulationen. Dazu kommt die Tatsache, dass alles was Carrie beobachtet, so viel bedeuten kann. Sie hat rein oberflächlich so viele Fakten über Brodys tägliches Verhalten zur Verfügung, aber sie weiß dennoch nicht wirklich viel über seine inneren Befindlichkeiten, seine Einstellung zu Amerika und ob er eben die Seiten gewechselt hat. Gerade in Anbetracht der realen Überschreitungen in die Privatsphären ihrer Bürger der Geheimdienste, die ja auch Carrie hier begeht (und die auf sehr wackligen rechtlichen Füßen stehen), die aber auch im echten Leben immer mehr Überhand nimmt, zeigt die Serie hier auf großartig subtile Art und Weise die Schwächen einer solchen Herangehensweise auf. Am Ende lernen wir als Zuschauer über Brody, dass er offensichtlich irgendwann während seiner Gefangenschaft zum Islam konvertiert ist, beziehungsweise Trost in der Religion gefunden hat. Die Inszenierung der Entdeckung dieser Zuflucht ist eine sehr positive, und für Brody stellt das Gebet sowohl in Gefangenschaft als auch hier wieder in der Heimat einen Trost dar, der ihm wieder Kraft gibt (weshalb auch der Titel "Grace" wesentlich besser den Kern der Folge trifft, als die profane "Garage" in der deutschen Übersetzung). Carrie ahnt nichts davon, aber selbst wenn sie den Blick in die Garage hätte werfen können, gäbe ihr dieses Wissen keine wirkliche Erkenntnis. Zwar sind die Ermittlungsbehörden aufgrund des so genannten Racial Profilings bei einem konvertierten Moslem sicher schneller bereit, zum Prädikat Terrorist zu greifen, in Wahrheit ist dies aber ein fataler Trugschluss. Und "Homeland" lässt uns als Zuschauer mit all diesen komplizierten Gedanken über solch komplexe Sachverhalte unserer gesellschaftlichen Gegenwart zurück, eine beachtliche Leistung für eine derart junge Serie.
Darüber hinaus sind auch die Versuche der Familie Brody, irgendwie Normalität zu simulieren, wo dies doch angesichts der Umstände nahezu unmöglich ist, beeindruckend. Man konzentriert sich hier etwas mehr auf das Verhältnis zwischen Brody und seinem Sohn Chris, das eigentlich noch am wenigsten vorbelastet ist. Aber es ist offensichtlich, dass das jüngste Mitglied der Familie damit vollkommen überfordert ist. Aber auch Dana und Jessica wissen nicht wirklich, wie sie sich verhalten sollen. Dabei ist es schon fast störend, dass mit Mike ein äußerer Faktor in diese Dynamik eingebracht wurde. Schließlich gäbe es auch ohne Mike als potentielle Gefahr für die Ehe von Brody und Jessica viel zu beobachten. Aber natürlich stellt Mike nicht nur den potentiellen Rivalen, sondern auch die menschliche Verbindung zur Armee für Brody dar, und die Serie möchte ganz klar, dass Brody diesen Weg wieder einschlägt. Und so tritt er am Ende vor die Presse, und versetzt damit Carrie in Aufregung, die glaubt den ersten Schritt des Terroristen zu beobachten.
So klar ist dies natürlich nicht, worauf alle dargelegten Fakten hindeuten, und es bleibt abzuwarten, welch eine Rolle Brody nun in der Öffentlichkeit spielen wird. Carrie selbst sehen wir am Ende der Episode auch in einem privaten Umfeld. Wir lernen ihre Familie, ihre Schwester und deren Töchter kennen und erfahren, dass diese ihr illegaler Weise die Medikamente besorgt. Außerdem leidet auch ihr Vater an derselben Störung wie Carrie, befindet sich aber im Gegensatz zu ihr in professioneller Behandlung. Und über Virgil, der in Carries Wohnung einige Schichten der Überwachung der Brodys übernimmt, kommt sogar eine gehörige Portion Humor in dieser ansonsten so schwermütigen Episode zustande. Eine Entscheidung, die ich nur begrüßen kann, denn meist sind es die Serien, die sich selbst zu ernst nehmen, die ganz schnell vor den Baum gefahren werden.
Alles in allem ist #1.02 Die Garage also eine wirklich gelungene zweite Folge geworden, mit der ich mehr als zufrieden bin. Es gibt ein paar kleine Kritikpunkte, aber im Großen und Ganzen bleibt "Homeland" nach dem gelungenen Piloten auf einem vielversprechenden Weg. Weiter so!
Cindy Scholz - myFanbase
Die Serie "Homeland" ansehen:
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: GraceErstausstrahlung (US): 09.10.2011
Erstausstrahlung (DE): 03.02.2013
Regie: Michael Cuesta
Drehbuch: Alex Gansa & Alexander Cary
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