Bewertung

Review: #1.04 Allein im Regen

Ich muss sagen, ich bin tief beeindruckt. Obwohl in dieser vierten Episode eines der für mich besten Elemente der bisherigen Staffel aus der Serie genommen wurde, die Überwachung der Familie Brody als Erzählmittel, hat man doch ganz neue Wege eröffnet und mich zum ersten Mal wirklich aufgeregt und voller Spannung auf die nächste Episode zurückgelassen. Und das, wo die politische Grundhaltung, die mir bisher so gut gefallen hat, hier völlig außen vor gelassen wurde. Denn mit #1.04 Allein im Regen konzentriert man sich ganz auf die zwischenmenschlichen Belange, baut aber über diese gleichzeitig eine spannende Handlung für die große Terrorismusgeschichte auf.

All dies funktioniert für mich dadurch so gut, dass die verschiedenen Elemente mit vollem Selbstvertrauen in die eigenen erzählerischen Fähigkeiten vorgetragen werden. Schauen wir einmal auf den Terror-Plot, der uns mit einer Mischung aus allwissender Erzählperspektive und dem Rätseln über die Motive präsentiert wird. Ich persönlich bin kein Freund der Methode, bei der man als Zuschauer den Ermittler und den Täter parallel sieht und es eigentlich nur darum geht, wann und wie diese beiden Handlungsstränge miteinander verbunden werden. (Mein größtes Problem ist dabei oft der zur Schau gestellte Sadismus der Täter, meist im Falle von Serienmördern, die entweder junge Frauen oder Kinder quälen. Diese Methode empfinde ich in den meisten Fällen als voyeuristisch, manipulativ und scheinheilig, aber das nur am Rande. Zum Glück handelt es sich ja hier nicht um einen Mordfall.) Hier hat man aber eine gelungene Mischung gewählt, denn einerseits wissen wir von Raqim Faisel und Aileen Morgan, dass sie mit den Terrorismuskomplott etwas zu tun haben, dieses Wissen beruht aber andererseits allein darauf, wie man die beiden uns präsentiert hat und wie und an welcher Stelle sie in die Handlung eingebaut sind. Bis Aileen den warnenden Anruf erhält und damit Raqim seine Verfolger täuschen kann, haben wir keinerlei Beweis dafür, dass dieser Verdacht berechtigt ist. Man ist also als Zuschauer die ganze Zeit gezwungen, die Bilder zu hinterfragen und nach Hinweisen zu suchen, so dass die Spannung immer aufrecht erhalten wird. Zumal wir eigentlich nur wissen, dass sie etwas mit der Sache zu tun haben, aber nicht, was genau und wie die Zusammenhänge sind. So wird der Plot für uns als Zuschauer aufgelockert und klarer, wir sind den ermittelnden Behörden einen Schritt voraus, aber nicht so weit, dass wir nicht mehr zu rätseln brauchen. So erschafft man ein hohes Maß an Spannung, lichtet aber auch gleichzeitig den Schleier über der Handlung etwas und schafft ein wenig mehr Klarheit. Eine Erzählmethode, die hier ausgezeichnet funktioniert.

Die Spannungserzeugung ist aber eigentlich nur ein kleiner Teil dieser Episode, den breitesten Raum nehmen klar die Charakterisierungen ein. Besonders die schwierige Ehe zwischen Jessica und Brody, aber auch Carries Verhältnis zu ihren Mitarbeitern stehen dabei im Fokus. Dabei wirft man hier vor allem einen Blick darauf, wie Carrie von außen wahrgenommen wird, ob durch ihren Vorgesetzten David Estes, oder ihren Mitarbeiter auf gleicher hierarchichen Ebene, Danny Galvez. Mir gefällt hierbei besonders, dass Estes endlich einmal mehr Facetten erhält, wir aber dennoch über seine Motive Carrie gegenüber im Unklaren gehalten werden. Ich muss sagen, seine Begründung Galvez gegenüber, warum er wissen möchte, was hinter Carries teilweise verdächtigem Verhalten steckt, macht Sinn. Und auch wenn man als Zuschauer automatisch mit Carrie sympathisiert, hat Estes' Verdacht mir mehr Respekt ihm gegenüber abgerungen. Er ist nicht umsonst Chef der CIA und hat diesen Posten sicher auch aufgrund einer guten Auffassungsgabe erreicht, da wäre es unglaubhaft, wenn er sich von Carrie einfach so an der Nase herumführen ließe. Man weiß aber nicht wirklich, ob das Misstrauen Carrie gegenüber, oder doch eher sein Friedensangebot seinem wahren Gemütszustand entspricht, vielleicht trifft ja auch beides auf ihn zu. Genauso wie man von Carrie weder in ihrem Gespräch mit Estes, noch in der denkwürdigen Szene am Ende der Folge (auf die ich gleich in aller Ausführlichkeit eingehen werde), weiß, inwieweit sie eine Fassade aufbaut, oder ihre wirklichen Gefühle und Gedanken äußert.

Kommen wir also zu diesem Ende, dass sicher nicht nur mich vollkommen von den Socken gehauen hat und wie elektrisiert zurückließ. Denn wenn hier vollig unerwartet Carrie und Brody aufeinandertreffen, dann sprüht die Chemie einen geradezu an und etwas Magisches entsteht. Dass Claire Danes und Damian Lewis in "Homeland" eine herausragende Leistung abliefern, haben sie beide schon unter Beweis gestellt, aber gemeinsam katapultieren sie sich noch einmal in eine ganz andere Liga. Es klingt auf dem Papier kitschig, wenn sich die Protagonisten zum ersten Mal treffen, vom Regen überrascht werden und man sagt, die Spannung ist greifbar. Aber es ist genau das, was hier passiert. Wie aus dem Bilderbuch für Film-(bzw. TV-)kunst kommt mit diesem magischen Moment die ganze Geschichte erst so richtig ins Rollen. Den besonderen "Homeland"-Kick erhält die Sache aber dadurch, dass trotz aller greifbarer Magie, die zwischen den Protagonisten entsteht, die Zwiespältigkeit nicht verloren geht. Spielt Carrie Brody das verletzlich-gebrochene Verhalten nur vor oder empfindet sie dies wirklich so? Wahrscheinlich läuft es eher darauf hinaus, dass sie ihre eigenen Dämonen, die ihrer Krankheit und die ihrer Arbeit, nutzt, um an ihn heranzukommen. Dass sie dabei unerwartet auf eine verwandte Seele stößt, ist faszinierend. Ebenso wie die Tatsache, dass ihre Fixierung auf Brody den Terrorverdächtigen (oder auch das Objekt ihrer Beobachtungen, von dem sie sich nicht so einfach lösen kann) mit einem Mensch aus Fleisch und Blut kollidiert.

Einen zusätzlichen Reiz erhält diese Begegnung zwischen Carrie und Brody noch dadurch, dass kurz zuvor Brody einige Schritte auf seine Ehefrau Jessica zugegangen ist. Wie aus meinen bisherigen Reviews sicher hervorgegangen ist, bin ich kein Fan der Komplikationen innerhalb dieser Beziehung durch die Affäre von Jessica und Mike Faber. Und anfangs legt auch diese Episode besonders großen Wert darauf, diese Spannungen in den Vordergrund zu spielen. Als es dann aber zum großen Knall zwischen den Brodys kommt, wird einem plötzlich deutlich vor Augen geführt, dass die wahren Probleme der beiden eben so viel größer sind als dieser Vertrauensbruch. Und mich beschleicht das Gefühl, dass beide sich darüber auch tief im Innern bewusst sind. Ebenso wie ich überzeugt davon bin, dass Brody darüber Bescheid weiß. Aber solange sich beide mit ihren Sorgen auf dieses Problem konzentrieren, müssen sie sich nicht der wirklichen Entfremdung und natürlich auch Brodys psychologischen Problemen widmen. Diese vorgetäuschten Probleme, die die eigentlichen tieferen Störungen überdecken, funktionieren dabei wieder einmal wunderbar als Parallele zur Erzählstruktur der Serie, die die Wiedereingliederung des Soldaten mit der Frage kombiniert, ob eben dieser Soldat in Wahrheit ein Terrorist ist.

Eine atemberaubende Schlussszene, ein mutiger erzählerischer Schritt, der die Serie in neue Gefilde treibt, großartige Einblicke in wichtige Charaktere und eine stimmige Inszenierung machen diese Episode zu einem frühen Highlight innerhalb von "Homeland". Lediglich die Einführung des Handlungsstranges rund um Brodys mögliche politische Karriere ist in meinen Augen gerade etwas fehl am Platz. Liegt das nur an meiner politischen Naivität, die mich fragen lässt, ob Brody nicht vielleicht etwas mehr Qualifikation für den Job eines überregionalen Volksvertreters benötigt, als ein gutes Bild in den Medien abzugeben? Aber warten wir ab, was sich aus dieser Geschichte entwickelt.

Cindy Scholz - myFanbase

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