Review: #3.07 Der Fluch alter Männer
Bereits seit Beginn der dritten Staffel ist zu merken, dass Saul immer stärker in das Zentrum des "Homeland"-Geschehens rückt. Mit jeder Folge nimmt er einen größeren Stellenwert ein, einen Stellenwert, den er in der Form in Staffel 1 und 2 nicht inne hatte. Und spätestens mit #3.07 Gerontion wird einem bewusst, dass diese Staffel offenbar Sauls Staffel ist. Sein Leben, privat wie beruflich, rückt in den Fokus. Carrie ist, zumindest in dieser Episode, eher eine Nebenfigur; Brody schon seit einigen Folgen abwesend und maximal eine Randbemerkung wert. Offensichtlich versuchen die Autoren also eine Story zu erzählen, die zum Großteil ohne das Carrie/Brody-Drama aus den ersten beiden Staffeln auskommt. Ob man diese Entwicklung mag, ist wahrscheinlich Geschmackssache. Immerhin erhält man dadurch aber einen Einblick in Charaktere wie Saul und Quinn, die einem bislang verwehrt blieben.
"It's the curse of old men to realize that in the end we control nothing."
Saul ist… wie soll man sagen… hart, tough, skrupellos? Was auch immer die treffendste Beschreibung ist, man lernt ihn in dieser Staffel von einer ganz neuen Seite kennen. Schon seine recht 'schlagkräftige' Begrüßung Javadis in #3.06 Still Positive machte klar, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Und auch in dieser Folge lässt er daran keinen Zweifel. Er setzt Javadi die Pistole auf die Brust. Er gibt ihm genau zwei Möglichkeiten. Möglichkeit A: Er geht wieder in den Iran. Möglichkeit B: Er geht wieder in den Iran. Das einzige, was sich Javadi (mehr oder weniger) aussuchen kann, sind die Umstände seiner Rückkehr. Entweder er arbeitet dort ab sofort als Doppelagent für die USA oder aber Saul würde Javadis 'Verfehlungen' gegenüber der iranischen Regierung den dortigen Behörden stecken, was wiederum Javadis Hinrichtung zur Folge haben dürfte. Wofür sich Javadi angesichts dieser Auswahl entscheidet, ist nicht überraschend. Was jedoch überrascht, ist, wie überzeugend und eigentlich für ihn untypisch Saul die Rolle des CIA-Direktors verkörpert. Er weiß genau, was er will und setzt alles – wirklich alles – daran, das auch zu erreichen. Er opferte dafür zunächst Carrie, jetzt Quinn und stellt wegen seines Berufs (wieder einmal) seine Beziehung zu Mira hintenan (die im Übrigen, wer hätte das gedacht, längst eine Ablenkung von Saul oder vielleicht sogar einen Ersatz für ihn gefunden hat). Doch in der aktuellen Episode scheint sich all das endlich bezahlt zu machen. Mission (vorerst) accomplished. Saul hat Javadi an der Angel. Wie hat Javadi es selbst so treffend in #3.06 formuliert? Saul "just landed the biggest asset of his career". Man gönnt ihm den Erfolg. Einen kleinen Moment des Triumphs verspürt man als Zuschauer denn auch, als Saul den 'Move' aller 'Moves' wagt und Senator Lockhart den symbolischen Stinkefinger zeigt: Er schließt ihn in einem Konferenzraum ein, nachdem dieser sich auf seine unnachahmlich 'sympathische' Art und Weise wieder einmal als Antagonist aufspielt. Fraglich ist natürlich, ob Saul damit einfach so durchkommt oder ob diese Aktion nicht in den nächsten Episoden noch Konsequenzen nach sich ziehen wird - spätestens dann, wenn Saul, wie es momentan den Anschein hat, seinen Posten an Lockhart abtreten muss.
Ob Sauls charakterliche Wandlung von Vorteil für die Figur ist, kann man sicherlich mit Skepsis betrachten. Fakt ist, so sehr im Mittelpunkt des Geschehens wie in der bisherigen Staffel stand er in früheren Jahren noch nie. Saul war aber auch noch nie so kompromisslos. Er wäre früher nie bereit gewesen, über Leichen zu gehen. Aber harte Zeiten erfordern offensichtlich harte Maßnahmen… Am Ende der Folge scheint sich all dies gelohnt zu haben. Saul hat den Eindruck, dass nach all den Hindernissen und Entbehrungen, nun doch alles nach Plan laufen würde. Sogar seine Beziehung zu Mira wirkt aus seiner Sicht, als ob sie zu kitten wäre. Wie sehr sie ihm jedoch bereits aus den Fingern geglitten ist, ahnt er nicht. Am Ende der Episode scheint er auf den ersten Blick die Oberhand gewonnen zu haben. Auf den zweiten ist zu erkennen, dass er womöglich doch nicht alles unter Kontrolle hat. Möglich also, dass sein Privatleben sinnbildlich für sein zukünftiges berufliches steht.
"Wrong crime, right guy, I guess."
Nach Carrie trifft es nun also Quinn, der daran glauben muss und sich stoisch seinem Schicksal fügt. Eine Überwachungskamera hat ihn am Haus von Javadis Ex-Frau gefilmt. Und zwar nur ihn. Nicht Carrie. Nicht Javadi. Nur Quinn. Etwas weithergeholt. Dadurch wird er für die ermittelnde Polizei aber zum Hauptverdächtigen. Um die Javadi-Mission nicht zu gefährden, nimmt Quinn die Morde auf seine vollkommen unschuldige Kappe. Glück für ihn, dass er als CIA-Agent Immunität genießt und die Angelegenheit damit unter den Teppich gekehrt werden kann. Quinn hat für diese beiden Morde also keine Konsequenzen zu befürchten. Zumindest nicht von staatlicher Seite. Für sich persönlich zieht er diese jedoch sehr wohl.
Quinn: "You know what else I realized? Just how through I am with… this, the CIA. I just do not believe anymore."
Carrie: "Believe what?"
Quinn: "That anything justifies the damage we do."
Lässt man seine Entwicklung seit Beginn der Staffel einmal Revue passieren, wird klar, dass dieser Paradigmenwechsel nicht von ungefähr kommt. Er wirkt absolut glaubwürdig und nachvollziehbar. Quinn glaubt nicht mehr an das, was er tut, an die Richtigkeit seiner Arbeit für die CIA und will deshalb alles hinschmeißen. Zu Beginn der Episode liefert "Homeland" mit der Duschszene das richtige Bild dafür: An Quinns Händen klebt Blut. Dass der ermittelnde Polizist ihm an den Kopf wirft, die CIA würde mit ihrer Arbeit eh nichts anderes tun, als ständig alles nur noch schlimmer zu machen, ist dabei das Tüpfelchen auf dem i. Die moralisch hoch fragwürdigen Dinge, mit denen Quinn schon seit Ende der zweiten Staffel immer wieder konfrontiert wird, machen ihm nun offenbar in zunehmendem Maße zu schaffen. Ausgerechnet ihm, einem Black Ops Officer. Dass von allen nun ausgerechnet er als moralische Instanz auftritt, ist schon fast ironisch. War das nicht früher eher Sauls Rolle? Die Autoren schaffen es dadurch einen kritischen Blick auf die Vorgehensweise der USA im 'Kampf gegen den Terror' zu werfen. Denn offenbar heiligt der Zweck nicht immer jedes Mittel.
In Quinns ganz persönlichem Fall meldete sich sein Gewissen in den letzten Staffeln in verschiedensten Situationen: Erstmals, als er Brody ausschalten sollte. Dann ganz enorm nach dem versehentlichen Mord an dem kleinen Jungen in #3.01 Tin Man Is Down. Und letztlich äußerte es sich auch in seinem Unverständnis darüber, wie Carrie als Sündenbock für den Anschlag auf die CIA den Kopf hinhalten musste. Nach dem Blutbad aus #3.06 Still Positive ist das Maß für ihn anscheinend voll.
Wenn da nicht Carrie wäre… Sie bittet ihn, ihr bei der Suche nach demjenigen zu helfen, der die Bombe in Langley gelegt hat. Seine Reaktion? "Sure Carrie, whatever you need."
Whatever you need? So einfach ist das? Was ist das zwischen den beiden? Sind sie einfach nur gute Kollegen? Oder worauf genau wollen die Autoren hinaus? Wieso ist auf einmal all das vergessen, was er ihr nur eine Minute zuvor noch sagte? Carrie ruft und Quinn springt? Die Dynamik zwischen den beiden wirft schon seit einiger Zeit Fragen auf. Hoffentlich wird die restliche Staffel an dieser Stelle noch etwas Licht ins Dunkel bringen.
"He manipulates people, that's what he does. (…) You can't let him get to you."
Wenigstens an anderer Stelle ist das schon jetzt der Fall. Oder auch nicht. Man weiß es nicht so genau: Javadi unterhält sich mit Carrie und sorgt für jede Menge Unsicherheit. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Javadi: "Almost there. Almost there and you still haven't asked."
Carrie: "What?"
Javadi: "Who moved the bomb."
Carrie: "You told Saul it was one of Abu Nazir's guys."
Javadi: "Yes, I did."
Carrie: "Which I already knew."
Javadi: "And who handed him the keys? Don't tell me you never wondered. I bet you wonder all the time. Brody escaped the blast. Did he know it was coming?"
Carrie: "Maybe I already know the answer to that?"
Javadi: "Maybe you don't."
Carrie gibt Fara am Anfang der Folge den Rat, sich von Javadi nicht in irgendwelche Spielchen verwickeln zu lassen. Doch im Verlauf von #3.07 Gerontion ist sie es, die auf seine Masche reinfällt. Sollte es denn eine Masche sein. Richtig einschätzen kann man Javadi nämlich nicht. Kann Carrie ihm wirklich vertrauen oder sät er ganz bewusst Stück für Stück Zweifel in ihr? Was führt er im Schilde? Äußerst geschickt stellt er sich auf jeden Fall an.
Er bezieht sich in seinem Gespräch mit ihr auf eine Unterhaltung, die er kurz zuvor mit Saul geführt hat. Eine Unterhaltung, bei der Saul ihn fragte, ob Brody für den Bombenanschlag auf die CIA verantwortlich wäre. Javadi gibt Saul zu verstehen, dass er dachte, alle wären sich sicher, dass Brody dahinter steckt. Wieso sollte man ihn sonst um die ganze Welt jagen? Eine gute Frage. Wie sehr ziehen Saul und Carrie eigentlich an einem Strang, wenn es darum geht, Brodys Unschuld zu beweisen? Steht Saul auf Carries Seite? Weiß er überhaupt, dass Carrie Brody zur Flucht verholfen hat? Und wenn ja, wie kann er das als CIA-Direktor, der er nun mal ist, durchgehen lassen? Eigentlich müssten beide doch in Sachen Brody vollkommen gegenteilige Ziele verfolgen? Wie passt das mit ihrer Zusammenarbeit, mit ihrer 'Freundschaft' zusammen? Oder treibt die ganze Geschichte einen Keil zwischen Carrie und Saul? Einen Keil, den Javadi nur zu gern noch weiter zwischen treibt: "What Saul did to you to get me here? Even I have never done anything so cruel."
Carrie erfährt letztlich von Javadi, dass sich der Bombenbauer noch immer in den USA befindet. Carries neue Aufgabe ist also, diesen bislang Unbekannten ausfindig zu machen, um auf diese Weise Brodys Namen reinzuwaschen (so rein wie es eben möglich ist). Der Grundstein für den weiteren Verlauf der Staffel ist also gelegt.
Fazit
#3.07 Gerontion wirkt ein bisschen wie Ende und Anfang: Die erste Hälfte der zweiten Staffel findet, wenn nicht in allen, aber in vielen Teilen ihren mal mehr, mal weniger befriedigenden Abschluss: Saul, Carries und Quinns 'geheime Mission' hat ihr vorläufiges Ziel erreicht. Javadi wird als Maulwurf zurück in den Iran gebracht und soll dort ab sofort für die CIA spionieren. Das wiederum dürfte jede Menge spannende Entwicklungen für die zweite Staffelhälfte versprechen. Zumal nun auch Brody wieder langsam ins Spiel gebracht wird. Wohin die Reise letztlich geht? Die nächsten Folgen werden es zeigen…
Franziska G. - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: GerontionErstausstrahlung (US): 10.11.2013
Erstausstrahlung (DE): 27.04.2014
Regie: Carl Franklin
Drehbuch: Chip Johannessen
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