Bewertung

Review: #1.08 Der Lord der Gezeiten

Foto: Wil Johnson, House of the Dragon - Copyright: Ollie Upton / HBO
Wil Johnson, House of the Dragon
© Ollie Upton / HBO

Die ersten Worte der Episode bereiten den Zuschauer auf einen weiteren Zeitsprung von mindestens sechs Jahren vor und kurz musste ich an die früheren Zeitsprünge zurückdenken. Sie kamen meist unerwartet und gingen mit ein wenig Bedauern einher, doch dieses Mal war es zu meiner großen Freude anders und ich habe nach einem anfänglichen Zweifel nicht ein einziges Mal das Gefühl gehabt, in der Zwischenzeit etwas Wichtiges verpasst zu haben. Ja, es ist wieder viel passiert, doch man verinnerlicht die Ereignisse der übersprungenen Jahre sehr schnell, was besonders daran liegt, dass man die Figuren mittlerweile gut kennt und dass man ihr Handeln gut nachvollziehen kann.

"That is no true Velaryon."

Die Episode stellt die Thronfolge des Treibholzstuhles in den Vordergrund und fühlt sich somit wie ein unheilbringender Vorbote für den immer näher rückenden Kampf um den eisernen Thron an. Die Fronten werden schnell deutlich abgesteckt und wieder einmal unterstreicht man die Positionen der einzelnen Figuren so gut, dass man niemanden so einfach in eine Schublade stecken kann, da jeder triftige Gründe für sein Handeln hat. Ich verstehe Rhaenys, die trotz eigener Ansichten zu ihrem Mann hält, ich verstehe Vaemond, der das Vermächtnis seiner Familie in den Vordergrund stellt, ich verstehe Rhaenyra, die die Fassade aufrechterhalten muss, um ihre Söhne in Sicherheit zu wiegen. Es macht wie immer einen wunderbaren Nervenkitzel aus, dass man ein Fünkchen Verständnis für jede Figur aufbringen kann.

Man segelt in einen Sturm, dessen Ende man sich nicht ausmalen kann und auch wenn der Anspruch von Vaemond berechtig ist, stehe ich doch irgendwie auf der Seite von Rhaenyra. Doch die Situation erscheint ausweglos, bis sich im Thronsaal plötzlich die Türen öffnen und Viserys erscheint. Es ist ein emotionsgeladener Anblick, bei dem Erleichterung, Ehrfurcht und viel Mitleid mitschwingen. Wie schlecht es ihm geht, haben die zuvor gezeigten Bilder der Episode bereits angerissen und es ist grauenvoll nun mit ansehen zu müssen, wie er sich hinkend und keuchend zum Thron schleppt. Paddy Considine hat in dieser Episode wahrlich glänzen können und seine Figur aufopferungsvoll gespielt. Die Szene im Thronsaal war ein wahres Highlight dieser Episode, angefangen mit dem Bangen darüber, wie Alicent und ihr Vater über Vaemonds Gesuch entscheiden werden, hin über die zweideutige Aussage Vaemonds, das Erscheinen Viserys' und schließlich den Unwillen Vaemonds darüber, die Entscheidung des Königs hinzunehmen. Als Vaemond Rhaenyras Söhne als Bastarde beschimpft und die Prinzessin selbst als Hure, hatte ich das Gefühl, dass die Zeit für einen kurzen Moment stillstand. Man konnte und wollte nicht glauben, dass er die Wahrheit, die doch niemand hören möchte, einfach ausgesprochen – oder viel mehr in die Welt geschrien – hat – die Rage hat Will übrigens wunderbar gespielt. Ich war noch ganz entsetzt über Vaemonds Worte, als sein Kopf plötzlich von Daemon zerteilt wurde. Was für ein grauenvoller Anblick, der aber gleichzeitig so viel Erleichterung mit sich bringt und sich gerechtfertigt anfühlt! Den Autoren ist die Dramaturgie in dieser Szene bestens gelungen und der Schock über das Gesehene verlässt einen für den Rest der Folge nicht.

"Finale tribute. To the house of my nephews. Jace, Luke and Joffrey. Each of them handsome, wise und strong."

Die Anspannung verlässt einen in dieser Episode nie und wird durch die brodelnde Uneinigkeit in der Familie die gesamte Zeit über am Leben erhalten. Daemon hat mit seiner Tat ein deutliches Statement gesetzt, durch das man Angst hat, dass die Grünen sich provoziert fühlen und zu einem Gegenschlag ausholen werden. Beim gemeinsamen Familienessen ziehen sich daher die Eingeweide zusammen. Dass die Rivalität, die zuerst nur Rhaenyra und Alicent betraf, mittlerweile auf die nächste Generation übergangenen ist, hat bereits #1.07 Driftmark gezeigt. In den vergangenen sechs Jahren ist die Abneigung gegen Rhaenyras Kinder bei den Söhnen von Alicent scheinbar zu Hass geworden, denn Aegon und Aemond bedenken ihre Neffen mit äußerst eindeutigen Blicken. Jacaerys und Lucerys hingegen wirken von ihren Onkeln eingeschüchtert. Erst mit dem Erscheinen von Viserys und seinen ehrlichen und traurigen Worten glätten sich die Wogen allmählich. Man wagt zu hoffen, dass sich die Grünen und die Schwarzen irgendwie vertragen können und schaut man auf Alicent und Rhaenyra, scheinen sie für einen kurzem Moment sogar dazu bereit. Egal auf welchen Schauspieler man in dieser Runde blickt, sie alle bringen die Emotionen ordentlich in Wallung und es hat großen Spaß gemacht, dieses Abendmahl voller Befangenheit zu verfolgen.

Die Harmonie, die für einen kurzen Moment in der Luft liegt, betrifft jedoch nur die ältere Generation, auf die Söhne Alicents macht sie keinen Eindruck. Den ganzen Abend über – oder eigentlich die gesamte Episode über – baut sich in Aemond etwas auf, das einem bei seinem Anblick die Eingeweide zusammenziehen lässt. Ewan Mitchell wurde hier wirklich unglaublich gut gecastet, der junge Mann hat eine außergewöhnliche Aura und eine enorme Präsenz, wodurch er automatisch die Blicke auf sich zieht. Mit seinen wohlgewählten Worten bringt er dann das zerbrechliche Gerüst dieses friedvollen Abends zum Einsturz. Aemond gefällt mir sehr gut in Kombination mit Daemon, da er sehr stark an den Daemon erinnert, den wir im Staffelauftakt kennengelernt haben. Daemon wirkt mittlerweile etwas geerdeter und in Verbindung mit Rhaenyra scheint er angekommen zu sein. Ich bin sehr gespannt auf weitere Szenen mit Daemon und Aemond, da sie eine Chemie haben, die mich an das Feuer zwischen Milly Alcock und Matt Smith erinnert.

Man kann in dieser Geschichte niemanden wirklich als Bösewicht festlegen, dennoch sehe ich immer wieder Alicent in dieser Position. Das tut mir ein wenig leid, da sie ein gutes Herz hat und sich immer aufopferungsvoll um ihren Mann gekümmert und ihre Pflichten erfüllt hat. Es sind die Worte Rhaenyras, die uns noch einmal daran erinnern und ich hatte kurz einen Kloß im Hals, als Alicent versicherte, dass Rhaenyra eine gute Königin sein würde. Dieses Gefühl, dass die beiden Frauen sich vielleicht doch irgendwie einigen können, verblasst in den letzten Zügen der Episode. Ich bin mir sehr sicher, dass Viserys seine Worte voller Unbedacht wählt und sie eigentlich an Rhaenyra richtete. Man kann Alicent jedoch keine Vorwürfe machen, sie so aufgefasst zu haben, wie sie nun einmal klangen und dass sie der Überzeugung sein wird, Viserys will seinen Sohn Aegon auf dem Thron sitzen sehen.

Kurz Eindrücke

  • Otto guckt beinahe erschrocken, als Viserys im Thronsaal erscheint. Es war ein Genuss, zu sehen, wie er sich aus dem eisernen Thron erheben muss, auf dem er sich viel zu wohlzufühlen scheint.
  • Die Maskenbildner haben den Verfall von Viserys meisterhaft umgesetzt.
  • Wie lange saß Viserys wohl nicht an seinem Modell von Valyria? Es war ganz verhangen von Spinnweben.
  • Die brüderliche Verbundenheit von Daemon und Viserys war ein schöner Anblick. Zwar haben sich die beiden nie sehr nahegestanden, doch zwischen ihnen herrschte immer viel Liebe füreinander.
  • Während ich finde, dass Ewan Mitchell sich ganz wunderbar als Aemond eignet, finde ich die Kombination aus ihm und Tom Glynn-Carney ziemlich unglücklich. Mitchell sieht um einiges älter aus als Glynn-Carney und hat eine große Statur, weshalb Aemond viel erwachsener wirkt als Aegon, obwohl Aegon doch einige Jahre älter ist.
  • Zuletzt habe ich Emma D'Arcy kritisiert, da sie für mich mit Matt Smith nicht so gut funktioniert hat, wie es Rhaenyras jüngere Version tat. Ich stehe dazu, dass die Magie zwischen den beiden nicht mehr da ist, doch irgendwie gefallen mir die beiden trotzdem gut zusammen. Sie strahlen Harmonie aus.
  • Mir gefällt dieses kleine Lächeln, das Matt Smith manchmal aufsetzt.
  • Warum Mysaria zum Hauptcast zählt, erschließt sich mir nicht ganz. Mal sehen, ob sie in den letzten beiden Episoden noch etwas zu tun bekommt.
  • Nächste Woche steht die vorletzte Episode an. "Game of Thrones" wusste daraus immer viel zu machen, daher kann man nur gespannt sein, wie "House of the Dragon" sich schlagen wird.
  • Zu Beginn der Serie habe ich Viserys größtenteils belächelt. Mittlerweile ist mir diese wohlmeinende Figur sehr ans Herz gewachsen.
  • Ist Corlys wirklich tot?
  • Helaena, Baela und Rhaena bleiben sehr blass. Das ist äußerst schade und sollte sich ändern.
  • In #1.06 The Princess and the Queen prophezeite Helaena, dass Aemond ein Auge schließen müsste, um einen Drachen zu bekommen. Mal sehen, welche ihrer kleinen dahingemurmelten Worte sich noch erfüllen werden.
  • In #1.05 We Light the Way war es genau dieser Tee, der Alicent gegen Rhaenyra aufbrachte und nun bestellt sie ihn für die Fehltritte Aegons.
  • Die Namenswahl von Rhaenyras Kindern ist interessant. Empfindet Alicent als Affront, dass er einen weiteren Aegon gibt?
  • Beim letzten großen Zeitsprung wurden wir damit überrascht, dass Rhaenyra bereits zwei Kinder hat und gerade ihren dritten Sohn bekam. Nun hat sie zwei weitere Kinder bekommen und ist erneut schwanger. Was für eine schöne Symmetrie.
  • In "Feuer und Blut" hat Alicent drei Söhne und ich fragte mich bereits zuletzt, ob man den dritten aus der Geschichte geschrieben hatte. Das scheint sich nun bestätigt zu haben.
  • In der letzten Szene ist Viserys wieder mit den Gedanken bei Aemma. Nach all den Jahren schmerzt ihn dieser Verlust noch immer.

Fazit

Es war eine fantastische Episode mit einem Paddy Considine, der phänomenal spielte. Mit Bangen schaut man nun der nächsten Episode entgegen, die nach den letzten Entwicklungen und als vorletzte der Staffel sicherlich heftig werden wird.

Marie Müller - myFanbase

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