Bewertung

Review: #3.01 Harte Zeiten

Foto: Neal McDonough, Justified - Copyright: Prashant Gupta/FX
Neal McDonough, Justified
© Prashant Gupta/FX

Die letzte Staffel hat hohe Maßstäbe gesetzt und zwar auf allen Ebenen. Der rote Faden war famos und ebenso die schauspielerische Leistung, die selten zu wünschen übrig ließ. Viele hatten ihre Zweifel daran, dass "Justified" seinen hohen Standard halten kann. Ich will ja nichts beschreien, aber… Es sieht gut aus.

Neu gemischte Karten

Eine Serie wie "Justified" zu rezensieren, ist nicht immer leicht. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass man versucht ist, die Schauspieler ständig über den grünen Klee zu loben und damit Gefahr läuft, außer Acht zu lassen, was wirklich wichtig und besonders an der Serie ist. Aus genau diesem Grund habe ich bislang oft vermieden, über Timothy Olyphant zu sprechen. Wenn nämlich Rachel in #1.04 Long in the Tooth anmerkt, dass es für jemanden wie Raylan Givens nicht schwer ist, mit dem ein oder anderen Fehltritt durchzukommen, dann gilt das in ebendiesem Maße auch für den Schauspieler, der den Deputy Marshal verkörpert.

Olyphant hat durch sein Aussehen einen Bonus, dem ich bislang offenbar zu viel Bedeutung beigemessen habe. Hat er bereits in der zweiten Staffel des Öfteren bewiesen, wie gut er sein kann, so zieht er nun in #3.01 The Gunfighter alle Register. Raylan ist außer Gefecht gesetzt. Er laboriert noch immer mit seiner Schussverletzung, kann nicht schießen, ist generell körperlich nicht auf der Höhe und damit auch nicht voll einsetzbar. Selbst wenn Art der Meinung ist, dass sein Marshal Glück gehabt hat, er hat auch kein Problem damit, Raylan auf den Kopf zuzusagen, dass er im Moment zu nichts zu gebrauchen ist. Und das wiederum macht die Sache so brillant. Denn Raylan konnte sich bislang im Ernstfall immer auf seine Waffe verlassen und darauf, dass seine Widersacher darüber im Bilde sind, mit wem sie es zu tun haben. Raylan war also nie gezwungen, auf ein so offensives Charisma zurückgreifen zu müssen wie etwa Boyd. Raylan hat immer recht direkt und ohne zu zögern reagiert. Als Charakter war er zwar niemals eindimensional, aber nie so komplex wie sein Umfeld. Man könnte fast sagen, dass Raylan ständig versucht hat, so einfach aber so effektiv wie möglich auf die verdrehten Menschen um ihn herum zu reagieren.

Das hat sich nun verändert. Raylan muss anders vorgehen, seine Strategie ändern. Vor allem ist er durch seine bevorstehende Vaterschaft gezwungen, bewusst Entscheidungen zu treffen. Und genau in dieser Situation, in der er ohnehin schon genug im Kopf hat, kommen solche Leute wie Boyd, wie Wynn Duffy, wie Fletcher Nix und zerren den Marshal in Situationen, denen er im Grunde nicht gewachsen scheint. Und Olyphant schafft es von einer Szene auf die andere, Raylan zu zeigen, wie er aufgerieben wird und mit viel Galgenhumor versucht, wieder zu dem zurückzufinden, was ihn ausmacht. Das hat mich überrascht im positivsten Sinne. Dass der Schauspieler hinter Raylan Givens damit umgehen kann, dass die Karten neu gemischt wurden und der tragende Charakter der Serie jetzt mit dem Blatt leben muss, das man ihm ausgeteilt hat.

Eröffnungszug

Über die schauspielerischen Leistung anderer Leute will ich gar nicht ausführlich sprechen, dann werde ich nämlich nicht mehr fertig. Natalie Zea und Nick Searcy spielen bereits die Anfangsszene so stark, dass es einem die Sprache verschlägt, und bei Walton Goggins brauche ich erst gar nicht anfangen, nach Worten zu suchen, weil er jede Szene mit Boyd Crowder zum schlichten Hochgenuss macht. Man muss allerdings sagen, dass sowohl Olyphant und Goggins sich offensichtlich in Hochform befinden, wenn sie gemeinsam auftreten. So ist das Gespräch zwischen Boyd und Raylan gleich zu Beginn der Folge wieder einmal einer dieser Momente, in denen man die Jury der Globes und der Emmys anrufen möchte, um ihnen Bescheid zu sagen, dass da eine Szene ist, die sie sich auf keinen Fall entgehen lassen dürfen…

Man kommt im Grunde aus der Begeisterung nicht mehr heraus. Boyd ist scheinbar vollkommen ruhig, als er Raylan um eine Entschuldigung bittet und reagiert erst, als der Marshal selbst wütend darüber wird, was Boyd von ihm verlangt. Dass dieser den Bundesbeamten dann aus dem Nichts heraus attackiert und die beiden gemeinsam durch das Glasfenster in Arts Büro stürzen, der kurz zuvor noch vollkommen unbeeindruckt von der offensichtlichen Rauferei im Nebenzimmer telefoniert, scheint dem ganzen die Krone aufzusetzen. Weit gefehlt. Denn wie durchtrieben, wie genial und absolut bereichernd für die Geschichte Boyd wirklich ist, zeigt sich erst am Ende der Folge, als klar wird, dass alles ein abgekartetes Spiel war. Raylan war wieder einmal nur Mittel zum Zweck für seinen Jugendfreund und das eigentliche Ziel heißt Dickie Bennet. Man darf also gespannt sein. Erstens, wie Boyd sich nun für den Anschlag auf Ava rächen will und zweitens, wie Raylan reagiert, wenn er bemerkt, dass er wieder einmal zur Schachfigur degradiert wurde.

Die Damen der Runde

Und wo ich gerade bei Schachfiguren bin – die Damen am Feld scheinen sich langsam ihrer Stärken bewusst zu werden. Ava tritt ruhig, aber selbstbestimmt auf und verliert ihre Nonchalance auch dann nicht, wenn sie dem windigen Handlanger ihres Lebensgefährten eine gusseiserne Pfanne um die Ohren haut. Im Grunde hätten die Männer im Dunstkreis der Crowders wissen müssen, dass Ava sich zu wehren weiß, nachdem sie bereits Bowman erschossen hat, aber anscheinend kauft man ihr nach wie vor nicht ganz ab, dass sich hinter dem hübschen Gesicht der Blondine auch eine unglaublich starke Persönlichkeit steckt. Langsam wird allerdings klar, dass Ava und Boyd ein brandgefährliches Pärchen abgeben und gemeinsam für einige starke Aktionen sorgen könnten.

Ähnlich verhält es sich mit Winona und Raylan. Die Beziehung der beiden stärkt sehr subtil aber doch merklich die Persönlichkeit der beiden. Winona weiß genau, wie viel Einfluss sie auf ihren Ex-Mann hat und dass er ihr im Grunde mit Haut und Haar verfallen ist. Und offenbar sind die beiden sich dieser Beziehung so sehr bewusst, dass Winona es nicht notwendig hat, irgendeine Fassade aufrecht zu erhalten. Während sie in der Öffentlichkeit immer stilsicher und elegant auftritt, so zeigt sie in den Szenen mit Raylan alleine, dass sie im Grunde noch immer ein Mädchen aus Kentucky ist. Das ein oder andere Bier in der Schwangerschaft wird wohl nicht schaden und eine Topfpflanze und eine Tischdecke sind fürs Erste genug, um ein heruntergekommenes Motelzimmer wohnlich zu machen. Dass es gerade die Tischdecke – und damit auch irgendwie Winonas Einfluss auf Raylans Leben – ist, die den beiden das Leben rettet, spricht für sich.

Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass sowohl Winona als auch Ava ihre Rolle am Feld eingenommen haben und auszufüllen wissen. Beiden Frauen ist klar, worauf sie sich einlassen und beide scheinen damit glücklich. Und während es vordergründig immer noch in erster Linie um Boyd und Raylan geht, so dürften doch die Damen in Zukunft entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Partie haben.

Das Ass im Ärmel

Wenn man bei der Spielmetaphorik bleiben will, so kann man sagen, dass die ganze letzte Staffel über die Bennetts das Ass im Ärmel der Serie waren. Nachdem die Familie aber so gut wie restlos ausgelöscht wurde, blieb die Frage offen, welchen Bösewicht man ins Rennen schicken würde und ob man jemanden finden würde, der gut genug ist, um in Mags Bennets Fußstapfen zu treten. Und es scheint fast so, als hätte man tatsächlich jemanden gefunden, der diese Rolle tragen kann. Robert Quarles ist aalglatt, skrupellos und bereits am Anfang seines Handlungsbogens einflussreich genug, um Staub aufzuwirbeln.

Ich will nicht den Fehler begehen und den Tag vor dem Abend loben, aber wenn es mit Quarles so weitergeht, wie es angefangen hat, dann hat "Justified" wohl wirklich das scheinbar Unmögliche geschafft und einen Widersacher für Raylan aufs Feld gebracht, der ohne Probleme die Lücke füllen kann, die Mags' Selbstmord verursacht hat. Hut ab! Und wenn der Hut als Stichwort schon fällt – über den brillant geschriebenen Fletcher Nix muss ich hier wohl gar nichts sagen. Der Mann mit Hut war selbstredend genial, das muss man gar nicht näher erklären.

Fazit

Ich könnte vermutlich noch drei Seiten darüber schreiben, wie stark der Staffelauftakt war. Ich könnte darüber sprechen, dass Gutterson endlich die Aufmerksamkeit zu bekommen scheint, die er verdient hat. Ich könnte noch ein wenig auf Raylans unbeschreiblich grandiosen Gesichtsausdruck eingehen, als er sein Wort bricht und sich mit Wynn Duffy unterhält. Ich könnte von starken Kameraeinstellungen sprechen und der Frage nachgehen, warum Raylan bei der Sex-Szene nackt war und Winona nicht. Aber ich habe jetzt schon das Gefühl, dass jedes Wort im Grunde nur das beschreiben würde, was ohnehin jeder Zuschauer selbst gesehen hat – "Justified" ist zurück. Mit viel Humor, unglaublich starken Handlungssträngen, scharf gezeichneten Charakteren auf beiden Seiten des Gesetzes und einer Ausstrahlung, die jeden Fan der Serie jubeln lässt. Wenn es in dieser Tonart weitergeht, dann steht uns eine starke Staffel bevor. Und ich werde mir ein neues Bewertungssystem einfallen lassen müssen, weil die Neun auf Dauer langweilig werden dürfte…

Eva Kügerl – myFanbase

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