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Review: #4.13 Die Geister, die ich rief

Foto: Timothy Olyphant, Justified - Copyright: 2011 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.
Timothy Olyphant, Justified
© 2011 Sony Pictures Television Inc. All Rights Reserved.

"Justified" hat sich schon immer als eine Serie verstanden, der es vor allem darum geht, moralische Grauzonen auszuloten. Und so trägt sie einen Titel, der die Relativität von Moral, von Gerechtigkeit, von Richtig und Falsch in einem Wort perfekt beschreibt. Ganz zu Beginn der Serie sagt Raylan einmal über seinen tödlichen Schuss auf Tommy Bucks: "It was justified." Doch wissen wir und Raylan tief drin wahrscheinlich auch, dass diese Rechtfertigung eigentlich nur eine Entschuldigung, ja ein Euphemismus dafür ist, was Raylan wirklich getan hat: Er hat Bucks damals eiskalt ermordet. Gerechtfertigt war dieser Schuss nur in der verqueren moralischen Welt des Raylan Givens, der seine Taten unter dem Schutz seines Marshal-Abzeichens weißwaschen kann. Wie sehr die Rechtfertigung einer Tat im Auge des Betrachters liegt, zeigt dieses Finale der vierten Staffel, #4.13 Ghosts, auf ganz meisterhafte Weise. Und dabei kommt es wieder zu einer Gegenüberstellung der zwei besten Charaktere dieser Serie, nämlich Raylan und Boyd, dem Gesetzeshüter und dem Gesetzesbrecher, die letztlich nur ein schmaler, sehr schmaler Grat trennt.

Mit dem abgeschlossenen Drew-Thompson-Fall tritt Raylan seine längst überfällige Suspendierung an, gerät jedoch gleich in den nächsten Schusswechsel. Denn wie man schon am Ende der letzten Folge befürchten musste, wird Winona tatsächlich von Augustines Männern als Geisel genommen, um Raylan dazu zu zwingen, Thompsons Aufenthaltsort preiszugeben. Wer jedoch gedacht hätte, dass die Finalepisode nun zu einer Art Geiseldrama wird, hat völlig falsch gedacht. Die Situation ist dank Raylans Nerven aus Stahl und Winonas tatkräftiger Hilfe innerhalb weniger Minuten gelöst. Eine goldrichtige Entscheidung der Drehbuchautoren, die Raylan damit vor eine zentrale Frage stellen: Wie kann er seine Familie schützen, d.h. Augustine umbringen, ohne seinen Job zu riskieren? Es ist für Raylan kein moralisches Dilemma, sondern ein rein pragmatisches, für seine ethischen Vorstellungen absolut eindeutiges, denn für Raylan ist eine Grenze überschritten worden, wie er im Gespräch mit Boyd klarmacht: "The game's the game, but you don't go after a man's family." Die Frage ist nicht, ob er Augustine töten soll. Sondern wie.

Wie immer sind es genau diese Szenen zwischen Raylan und Boyd, die herausstechen, zum einen dank der zwei großartig harmonierenden Mimen Timothy Olyphant und Walton Goggins, zum anderen dank der hervorragenden Dialoge, die so wunderbar doppelbödig sind. Das beginnt schon bei der ersten Konfrontation in der Bar, als Raylan und Boyd sich gegenseitig immer wieder den Ball zuspielen, sich letztlich darauf einigen, dass Boyd Raylan zu Augustine führen wird, weil sie "Kumpels" sind ("You're gonna take me because you're my buddy."), obwohl eigentlich völlig klar ist, dass Raylan über Boyds kriminelle Machenschaften bescheid weiß und Boyd über Raylans genauso illegales Vorhaben. Das Gespräch kulminiert in dem fabelhaften Dialog im Auto, bei dem Raylan in seiner selbstgerechten Art Boyds Liebe zu Ava als eine weitere Illusion anprangert, die ihm Seelenfrieden verschafft – und damit sicherlich nicht ganz Unrecht hat –, von Boyd jedoch den perfekten Konter bekommt. "I think you'll love anything that let you put your head on your pillow at night believing you ain't the bad guy," sagt Raylan, woraufhin Boyd ganz richtig entgegnet: "What do you tell yourself at night when you lay your head down that allows you to wake up in the morning pretending that you're not the bad guy?" Boyd weiß ganz genau, wie es um Raylans Sinn von Gerechtigkeit steht: Für Raylan sind Taten gerechtfertigt, wenn er sie für gerechtfertigt hält. Und damit ist er genauso gesetzlos wie Boyd.

Der einzige Unterschied ist, dass Raylan im Schutz seines Marshal-Daseins handeln kann und dies letztlich auch tut. Raylans Schachzug, die Rivalität zwischen Sammy Tonin und Augustine auszunutzen, die nach Theo Tonins Flucht darum kämpfen, sein Mafiaimperium zu leiten, ist ein äußerst cleverer und kommt wirklich unerwartet. Während des gesamten Gesprächs zwischen Raylan und Augustine ist man angespannt, tappt völlig im Dunkeln darüber, wie diese Situation ausgehen wird. Doch Raylans Unterredung mit Augustine ist letztlich nur eine Formsache, damit Raylan sich einreden kann, er hätte richtig gehandelt. "If Nicky had chosen to turn himself in, I'd had taken him in. But... he decided to go another way," meint er zu Sammy, bevor dessen Männer Augustine exekutieren. Raylan geht weg, ohne sich umzudrehen, keinerlei Regung in seinem Gesicht. Es ist das Gesicht eines Mannes, der seine Integrität verkauft hat, um die Sicherheit seiner Familie zu gewährleisten.

Genauso wie Raylan für Winona alles tut, unternimmt auch Boyd für Ava alles in seiner Macht stehende, kann letztlich aber nicht mehr das verhindern, was seit Staffelbeginn wie ein Damoklesschwert über ihnen gehangen hat. Ava wird für den Mord an Delroy festgenommen, angeschwärzt von niemand anderem als Cassie St. Cyr, die sich damit dafür rächt, dass Boyd ihren Bruder in den Tod getrieben hat. Natürlich hat hier auch Clover-Hill-Mann Paxton seine Hände im Spiel, dessen Hinterhältigkeit Boyd nicht einberechnet hat, entweder aus Unvorsichtigkeit, aus Mangel an Optionen oder aus Überheblichkeit. Doch nun steht Boyd vor einem Scherbenhaufen, in einem leeren Haus voller unerfüllter Träume, alleine (apropos: Wo ist eigentlich Johnny abgeblieben?). Duffys unverhoffter Besuch ist da der einzige Lichtblick, den Boyd hat, um Ava aus dem Gefängnis zu holen und Rache an Paxton zu nehmen. Als neuer Verantwortlicher der Dixie Mafia für das Heroingeschäft in Kentucky wird er – Zitat Duffy – wohl "ein sehr reicher Mann" werden.

Am Ende schließt sich der Kreis, als Raylan in Arlos Haus steht und das Loch, in dem Thompsons Tasche gefunden wurde, zumauert. Es ist eine Metapher dafür, dass Raylan vielleicht doch mit seinen alten Geistern abschließen kann, vor allem mit dem Geist seines verstorbenen Vaters. Als er im Hintergarten sitzt, die Grabstätten seiner Vorfahren ansieht und im Hintergrund Brad Paisleys "You Will Never Leave Harlan Alive" ertönt, wird dem Zuschauer klar: "Justified" hat mit dieser vierten Staffel trotz anfänglicher Schwierigkeiten wieder eine fantastische, fast perfekt durchkonzipierte Season abgeliefert, für die sich das Risiko, auf einen "Big Bad" zu verzichten, absolut gelohnt hat. Die Charakterarbeit, die diese Staffel geleistet hat, ist enorm und gleichzeitig ist es beeindruckend, wie differenziert und oft unterschweillig die Serie komplexe Themen wie Moralität, Gewissenskonflikte und die weitreichenden Konsequenzen einzelner Entscheidungen behandelt. Harlan County ist und bleibt ein Ort des Chaos, an den wir mit Vorfreude auch für ein fünftes Jahr zurückkehren, denn wie sagt Duffy so treffend? "All the strife, all the bloodshed, all the turmoil. Kings fall, princes rise up, and here we still are. The survivors."

Maria Gruber - myFanbase

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