Bewertung

Review: #3.20 Der Mann hinterm Vorhang

So, mal bitte einen kräftigen Applaus für eine der besten "LOST"-Episoden so far. Wann, wenn nicht jetzt? - So lautet das Motto, denn in letzter Zeit hatte die einstmals so formidabel gestartete Serie sich doch arg in eine Seifenoper avant la lettre gewandelt. Schluss mit dem Schmu, jetzt wird wieder gepflegtes Drama gereicht. Was für ein Ben-Rückblick! Dem charismatischen Leader, dessen eiskaltes Agieren dem Zuschauer des Öfteren einen Schauer über den Rücken zu jagen vermag, wird eine stimmige Vorgeschichte verpasst. Und die ist ebenso informativ wie stark inszeniert.

Wir lernen die Insel durch die Augen des kleinen Ben (dessen Rolle übrigens vorzüglich besetzt ist) auf eine neue Weise kennen - zuerst entmystifiziert, als lebendigen Ort, aber gleichzeitig bedrohlich, als Schauplatz von Aggression, Hass und Kampf, verdammt zu Schrecken und Untergang. Von einer neuen Qualität sind auch die Szenen des Massenmords an den Dharma-Leuten. Das ist dann wieder eine höchst reale Form der Vernichtung, die ohne Monster und andere geheimnisvoll todbringende Schöpfungen auskommt - umso grauenvoller, surrealer und unfassbarer im ersten Moment.

Auch die Gegenwart hat es in sich. Johns und Bens Begegnung mit Jacob - unheimlich und fantastisch (meinetwegen im doppelten Wortsinn) zugleich. Gerade im Kontrast zur geradezu berechenbar-rationalen Erklärbarkeit des anderen großen Schreckens in dieser Episode, schockiert das offensichtlich Unerklärliche hier. Ich verbiete es an dieser Stelle den Drehbuchautoren, sich bei diesem Thema mit technischen Tricksereien aus der Affäre zu ziehen oder gar einen Tarnumhang aus der Mottenkiste beliebter Requisiten hervorzuholen.

Am Ende liegt Locke tödlich (?) verwundet im Massengrab. Mir schießen ein Dutzend Möglichkeiten für spektakuläre Lösungen durch den Kopf und ich bin höchst gespannt, was passieren wird. Was noch erwähnt werden muss: Der offensichtlich nicht alternde Richard (dessen Aussehen allerdings auch das Ergebnis einer schlampigen Make-Up-Abteilung sein könnte), der einst so etwas wie ein Anführer der Inselbewohner war und jetzt diese Rolle vollständig an Ben abgegeben hat. "LOST" arbeitet irgendwie nach dem Vorbild eines Datenkomprimierungsprogramms: Man verschiebt, schließt Lücken, reißt neue auf, um die Ellipsen dann irgendwann mit neuen Geschichten zu füllen. Die Gefahr: Irgendwann könnte das System kollabieren. Es bleibt zu hoffen, dass alle beteiligten Kreativen bei der Entwicklung von Story und Charakteren weiter als bis zur nächsten Pointe denken. "LOST" verdient es, grandios zu sein.

Melanie Holtmann - myFanbase

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