Bewertung

Review: #6.12 Alle lieben Hugo

Wenn wir aus den letzten fünf Jahren "Lost" eines gelernt haben, dann dies:

Finger weg von Dynamit.

Mit einem furiosen Triple-Schocker läutet #6.12 Alle lieben Hugo das finale Drittel der letzten Staffel ein und greift dabei tief in die Trickkiste altbekannter "Lost"-Stilmittel: Wir haben Explosionen, Gruppenspaltungen und -zusammenführungen, mysteriöses Flüstern im Dschungel – und natürlich den obligatorischen fiesen Cliffhanger. Was will man mehr?

"Do you believe that two people can be connected, like soulmates?"

Nachdem wir in #6.11 Bis ans Ende ihrer Tage von der Macht der Liebe im "Lost"-Flashkonstrukt erfahren haben, geht es direkt weiter mit einem weiteren wunderbaren Pärchen, das am Ende von Staffel 2 jäh auseinander gerissen wurde. Zwar besitzt Hurleys und Libbys Beziehung nicht das epische Ausmaß, das Desmond und Penny so besonders macht, aber das hindert nicht daran, dass Hurley und Libby gemeinsam einen ganz eigenen Zauber entwickeln.

Genau wie der uns bekannte Hurley ist Alterna-Hurley der wahrscheinlich liebenswürdigste und gutmütigste Mensch auf Erden, und hat einen Haufen Geld. Doch anstatt vom Unglück verfolgt zu werden, hat Hurley mit seinen Millionen ein großes Unternehmen aufgebaut, wird von allen geliebt und hat scheinbar alles, was er sich wünschen könnte. Nur eines fehlt ihm: eine Frau an seiner Seite. Hier kommt Libby aka Cynthia Watros ins Spiel, die Libby mit so unglaublich viel Feingefühl und Warmherzigkeit darstellt, dass man völlig verstehen kann, dass Hurley gleich hin und weg ist von dieser ihm unbekannten Frau, ihrer vermeintlichen Verrücktheit zum Trotz. Was sich hier in der Storyline zwischen Hurley und Libby thematisch abzeichnet, wird letztlich zum primären Thema dieser Episode: Es geht um Vertrauen. Hurley vertraut Libby, er vertraut auf den Rat dieses geheimnisvollen Fremden namens Desmond, und er vertraut letztlich seinem Gefühl, das ihm sagt, dass er Libby nicht aufgeben soll.

So geht Hurley ins Santa Rosa Mental Hospital – in dem sein Alter-Ego viele Jahre seines Lebens verbracht hat – und erfährt von Libby, dass sie plötzliche Erinnerungen an ihn hatte, nachdem sie sein Gesicht in der Werbung sah. Ähnlich wie bei Daniel mit Charlotte löste ein visuelles Erlebnis einen Flash bei Libby aus. Doch Hurley braucht erst einen Kuss, um sich an Libby und an sein anderes Leben zu erinnern. So bekommen Hurley und Libby doch noch ihr Picknick am Strand und zumindest in der parallelen Realität ein verdientes Happy-End.

"Dead people are more reliable that alive people."

Auf der Insel ist Libby allerdings seit Jahren tot und Hurley wartet immernoch vergebens darauf, mit ihrem Geist in Kontakt zu treten. Dafür kehrt ein anderer Bekannter zurück: Michael, Libbys Mörder. Auch dies ist natürlich wieder ein genialer Schachzug der Macher, hier ausgerechnet Michael als Hurleys übernatürlichen Wegweiser einzusetzen, während Alterna-Hurley in einer Welt, in der Michael nicht den Abzug drückte, sein Glück mit Libby genießen kann. Michael warnt Hurley davor, das Flugzeug in die Luft zu sprengen, da sonst viele Menschen sterben werden, was uns nun zwei Möglichkeiten eröffnet, wie wir diesen Rat zu interpretieren haben: a) Wenn Michael die Explosion des Flugzeugs verhindern will, könnte er folglich für Smokelocke arbeiten, oder b) Michael hat aus den ersten fünf Staffeln seine Lehre gezogen und weiß somit, dass Dynamit dazu neigt, zu explodieren.

Und das tut es letztlich auch. Mit einem großen BAMM sprengt sich Ilana versehentlich weg und als Zuschauer steckt man irgendwo zwischen entsetzter Ungläubigkeit und einem schockierten Lachen. Nein, "Lost" spaßt nicht. Hier werden Hauptcharaktere auch einfach mal in die Luft gejagt. Und Luken. Und Flöße. Und U-Boote. Und Arzt.

RIP Ilana. Wir haben dich kaum kennen lernen dürfen, doch du warst eine interessante Person und hattest mindestens eine richtig gute Szene (ah, und hier auch noch). Wir hoffen, dich in vielen Flashbacks, -forwards und -sideways wieder sehen zu können.

Nachdem dieser erste Schock überwunden ist, entscheidet sich Hurley dazu, die anderen in die Irre zu führen, um die Black Rock zu sprengen und damit den Dynamitvorrat ein für alle Mal aufzubrauchen. Wir sehen hier deutlich, wie Hurley sich über die Jahre hinweg von einem Mitläufer zu einem Anführer entwickelt hat und nun bereit dazu ist, Entscheidungen selbst in die Hand zu nehmen, selbst wenn er dazu ein bisschen flunkern muss. Nach dem großen Krawumm spaltet sich das Lager und Richard zieht mit Ben und Miles los, um das Ajira-Flugzeug zu zerstören, während Jack, Frank und Sun sich Hurley anschließen. An dieser Stelle wird wieder einmal die gelungene Charakterzeichnung deutlich, dank der man die Entscheidung jedes Einzelnen nachvollziehen kann: Richard und Ben bleiben weiterhin die treuen Apostel Jacobs, der eine wegen Isabella, der andere wegen seiner Schuldgefühle, aber beide als Akt der Wiedergutmachung. Für Miles ist es ausreichend, Smokelocke mal in Aktion gesehen zu haben, um Richard zu folgen. Sun sieht eine Chance, Jin zu finden und will von der Insel weg, ebenso wie Frank. Jack schließlich folgt Hurley aus Vertrauen, womit wir wieder auf die Oberthematik der Episode zurückkommen. Ähnlich wie Hurley ist auch Jack gereift und hat es endlich eingesehen, dass er nicht alles richten kann und manchmal loslassen muss. Hat Jack seinen Retter-Komplex damit endgültig besiegt?

"Well, there's nothing special about me, brother. This island has it in for all of us."

Für den nötigen Mythologie-Anteil sorgen in dieser Episode die Ereignisse in Smokelockes Camp. Zunächst einmal erfahren wir ein wichtiges Detail: Damit Smokelocke die Insel verlassen kann, müssen sie alle zusammen in dem Flugzeug sitzen. Heißt das, alle sechs Kandidaten? Oder alle im Flugzeug zurückgekehrten Losties?

Grusel-Sayid kehrt also mit Desmond zurück, der seit seinem letzten Flash-Erlebnis immernoch zen-artige Ruhe besitzt und damit selbst Smokelocke aus dem Konzept bringt. Sehr seltsam ist schon mal der Moment, als Desmond mit totaler Selbstverständlichkeit antwortet, dass er John Locke vor sich hätte, worauf Smokelocke irgendwie... komisch guckt. Hat Desmond nicht durchblickt, dass Locke Smokelocke ist oder – Achtung höchstabgedrehte Theorie – ist Locke etwa... Locke?! Und dann ist da wieder der myseriöse Junge aus #6.04 Der Stellvertreter, diesmal mit auffallend dunklerem Haar, der Smokelocke gehörig auf die Nerven geht. Wer ist dieser Junge? Wieso konnte Sawyer ihn nicht sehen, Desmond nun aber schon? Die erstaunliche äußere Ähnlichkeit lässt vermuten, dass es sich hierbei eventuell um eine Manifestierung von Jacob handeln könnte, doch auch das ist nur reine Spekulation.

Womit wir also zum zweiten Schockmoment der Episode kommen. Obwohl man von Anfang an ein mulmiges Gefühl hat, als Smokelocke und Desmond am Brunnen stehen, ist der Dialog so packend, dass man letztlich doch schockiert ist, als Smokelocke Desmond mit einem eiskalten Lächeln in den Brunnen stößt. RIP Desmond? Nein, wir müssen uns kollektiv weigern, Des als tot zu akzeptieren. Smokelocke behauptete schließlich, dass der Brunnen einer von mehreren Orten sei, wo sich Kompassnadeln drehen würden – was bedeutet, dass der Brunnen über einer Stelle mit starker elektromagnetischer Strahlung gebaut wurde. Heißt das also (hoffentlich!), dass Desmond nicht tot ist, sondern einfach ein weiteres Flash-Erlebnis haben wird, wenn er auf diese elektromagnetische Quelle trifft?

"What is the point in being afraid?"

Als ob Ilanas explosiver Tod und Desmonds Fall in den Brunnen nicht schon ausreichend für eine Herzattacke wären, legen die Macher noch einen oben drauf und schocken uns mit einem erstklassigen Cliffhanger: Desmond, der sich nun anscheinend komplett der anderen Realität bewusst ist (man beachte, wie er ohne zu Zögern auf Bens Frage nach dem Namen seines Kindes antwortet), drückt aufs Gas und fährt John Locke um. HEILIGER BIMBAM. Wieso hat Desmond das getan? Aus Rache, da Smokelocke ihn auf der Insel in den Brunnen geschubst hat? Oder sieht Desmond in dieser Aktion die einzige Möglichkeit, um Locke zu einem Flashsideway zu bewegen? Schließlich ist dieser schon mit seiner großen Liebe, Helen, zusammen. Oder hat unser Lieblingsschotte vergessen, dass man in Amerika rechts fährt?

Mit diesem bombastischen Ende macht #6.12 Alle lieben Hugo letztlich vor allem eines klar: Jetzt kommt der Endspurt. Mit nur noch vier regulären Folgen vor dem zweistündigen Finale geht es in riesigen Schritten auf das Serienende zu. Dennoch zeigt die Episode wieder eindrucksvoll, dass "Lost" selbst nach fünf Staffeln immernoch sehr gut weiß, wie spannende TV-Unterhaltung auszusehen hat und wie man die Zuschauer überrascht. So rechtfertigt eigentlich nur der Vergleich mit der überragenden Vorgängerepisode den Punkteabzug.

Maria Gruber - myFanbase

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