Bewertung

Review: #6.11 Bis ans Ende ihrer Tage

Als im Februar 2007 die Episode #3.08 Erinnerungsfetzen erstmals ausgestrahlt wurde, wussten die "Lost"-Fans nicht so genau, was sie damit anfangen sollten. Jetzt, drei Jahre später, haben wir zumindest eine Ahnung davon bekommen, was mit Desmond damals passierte, als er in der Luke den Schlüssel umdrehte und alles in gleißendes Licht getaucht wurde: Desmond hatte ein Flash-Erlebnis.

Und so kann man nur mal wieder die völlig geniale, bis ins letzte Detail ausgearbeitete Konzipierung bewundern, die "Lost" so einzigartig macht. Was vor Jahren bereits angedeutet wurde, hat sich nun als zentrales Element der Geschichte entpuppt und integriert sich nahtlos in alle bisher eingeführten Storyelemente. #6.11 Bis ans Ende ihrer Tage ist hier wie das letzte große Puzzlestück, das man verzweifelt gesucht hat und nun endlich in das Gesamtwerk einbauen kann. Endlich wird eine klare, unleugbare Verbindung zwischen den beiden Realitäten geschaffen und gleichzeitig zaubert die Episode dieses überwältigende "Lost"-Gefühl zurück, das schon #4.05 Die Konstante so besonders machte.

"You really do have the life, son. No family, no commitments, ah to be free of attachments."

In der alternativen Zeitlinie begegnet uns ein Desmond, dessen Lebensbiographie völlig anders verlaufen ist als die des uns bekannten Desmond. Alterna-Des ist ein sehr erfolgreicher Mann, hat keinerlei private Beziehungen und genießt die Anerkennung Widmores. Mal wieder ist die Gegenüberstellung der beiden Leben im Hier und im Dort sehr interessant: Alterna-Des hat scheinbar alles, was er sich wünschen kann, doch eines hat er nicht – Penny. Es zeichnet sich hier ganz klar ein Muster ab, denn die anderen Alterna-Figuren befinden sich in ähnlichen Situationen: Jack ist ein erfolgreicher Arzt und hat einen Sohn, doch er ist alleinstehend. Locke lebt mit Helen zusammen, doch er sitzt immernoch gelähmt im Rollstuhl. Ben hat eine gute Beziehung zu seinem Vater, doch Alex ist nicht seine Tochter. Sayid ist nicht länger auf der Suche nach Nadia, doch sie ist mit seinem Bruder verheiratet. Die Flashsideways scheinen somit auf eine ganz klare Botschaft abzuzielen: Man kann nicht alles haben. Um etwas zu bekommen, muss man etwas opfern – denn alles hat seinen Preis.

Es ist schlichtweg großartig, wie man für diese Folge sämtliche Darsteller zurückholen konnte, deren Charaktere für Desmonds Geschichte zentral sind. Vor allem Dominic Monaghans Gastauftritt ist einfach klasse, aber auch Fionnula Flanagan als Eloise Hawking, Fisher Stevens als George Minkowski und natürlich Jeremy Davies als Daniel Faraday/Widmore wieder zu sehen, lässt das Fanherz höher schlagen. Desmond hat eine ganze Reihe interessanter Begegnungen, die vor allem deshalb so reizvoll sind, da wir wissen, in welcher Verbindung der Insel-Desmond mit diesen Personen steht. So ist das kurze Zusammentreffen zwischen Claire und Desmond einfach fantastisch, wenn man weiß, dass dieser ihr auf der Insel einmal das Leben rettete, und auch Minkowski als Desmonds Fahrer einzusetzen, ist eine fantastische Idee, da so die Brücke zu #4.05 Die Konstante geschlagen wird, die zweifellos eine wichtige Bedeutung für diese Episode hat.

Desmonds Treffen mit Widmore letztlich ist eine geniale Umkehrung, um nicht zu sagen eine spiegelverkehrte (vgl. Spiegelrealität in #6.05 Lighthouse) Version des Treffens in #3.08, als Desmond Widmores Erlaubnis einholen wollte, um Penny zu heiraten. Die alternative Realität zeigt uns ein enges Verhältnis zwischen Arbeitgeber Widmore und Arbeitnehmer Desmond, den Widmore wie einen eigenen Sohn schätzt und dem er ohne zu zögern den wertvollen MacCutcheon-Whiskey einschenkt. Dies steht in einem starken Kontrast zu erstgenanntem Treffen, bei dem Widmore den erfolglosen und finanziell am Boden liegenden Desmond gnadenlos degradierte und nur sich selbst den Whiskey einschenkte, da er Desmond für unwürdig hielt.

"This doesn't matter. None of this matters. All that matters is that we felt it."

Doch Widmores Anerkennung kann nicht darüber hinweg täuschen, dass in Desmonds Leben etwas fehlt: "spectacular, consciousness-altering love", wie Charlie es so schön sagt. Und um ihm zu zeigen, was er damit meint, lenkt der Rockstar kurzerhand den Mercedes ins Wasser. Brotha.

Unter Wasser hat Desmond für den Bruchteil einer Sekunde ein Flashsideway und sieht Charlie, auf dessen Handfläche die bedeutungsschweren Worte "Not Penny's boat" stehen. Ein packender, atemberaubender Moment in allerfeinster "Lost"-Manier. Doch erst beim MRT erfährt Desmond von dem Gefühl, das Charlie beschrieb: Er sieht Penny. Er sieht, wie sein Leben hätte verlaufen können oder wie es eben in einer anderen Zeitlinie verlaufen ist, und wird so von diesem Gefühl überwältigt, dass er diese Frau namens Penny nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

Als ob Desmonds Tag bis dahin nicht schon verrückt genug wäre, trifft er später auf Eloise Hawking/Widmore, was natürlich wiederum eine geschickte Rückkopplung an Episode #3.08 ist, in der Eloise Desmond beweisen wollte, dass das Universum immer seinen Weg findet, damit die Dinge so passieren, wie sie passieren sollen. Bemerkenswert an diesem Treffen ist zunächst einmal Eloises Reaktion, als sie Desmond sieht: Eloise wirkt nahezu entsetzt und verliert für einen kurzen Augenblick die Fassung. Absolut kryptisch ist natürlich, was danach folgt – denn Eloise wird zur Furie, als Desmond nach Penny fragt. "Someone has clearly affected the way you see things. This is a serious problem. It is, in fact, a violation", so Eloise. Ganz klar: Diese Frau weiß mehr, als sie preisgibt. Ist sich Eloise also der Flashsideways und des anderen Universums bewusst? Wofür ist Desmond laut ihr "noch nicht bereit"? Besitzt Eloise also die Erfahrungen, die sie auf der Insel als junge Frau machte, bevor die Bombe hochging?

"What if, this, all this, what if this wasn't suppose to be our life? What if we had some other life and for some reason, we changed things?"

Nach Hurley, Claire, Minkowski, Widmore, Charlie, Jack und Eloise macht Desmond schließlich Bekanntschaft mit Daniel, der sich in der alternativen Realität tatsächlich seinen Berufstraum erfüllt hat und zum Musiker geworden ist. Auch Daniel hatte ein Flash-Erlebnis, nachdem er Charlotte getroffen hatte, und schrieb plötzlich hochkomplexe quantenmechanische Gleichungen auf. Ganz richtig vermutet Daniel nun, dass er einmal eine Atombombe gezündet hat, um etwas Schreckliches zu verhindern – in einer anderen Realität.

Nun, da Desmond eine Verbindung zwischen den beiden Welten hergestellt hat, und zumindest Alterna-Charlie und Alterna-Dan bewusst ist, dass es noch eine andere Realität gibt, stellt sich natürlich die große Frage: Wie hängen diese Welten zusammen? Werden, so wie Widmore behauptet, alle sterben, wenn keine Lösung gefunden wird, um das Problem dieser Dopplung zu lösen? Und was bedeuten Konstante und Variable in all dem? "Every equation needs stability, something known. It's called a constant", sagte Daniel zu Desmond in #4.05. Ist die Konstante vielleicht der Schlüssel zur Lösung?

Dank Daniel findet Desmond am Ende seine Konstante, Penny, die im Stadion die Treppen rauf und runter läuft. Und meine Güte, haben Henry Ian Cusick und Sonya Walger eine Chemie. Der Augenblick, in dem Desmond und Penny sich in der alternativen Realität das erste Mal treffen, ist einfach wunderschön, gerade weil man als Zuschauer weiß, wie viele Hindernisse diese beiden Menschen schon überwunden haben, um zusammen zu sein. Alleine die Idee, dass sich Desmond und Penny egal in welcher Zeit und in welcher Zeitlinie immer begegnen und lieben werden, ist einfach magisch und macht aus den beiden ein traumhaftes Paar. Wenn in dieser Folge eines klar geworden ist, dann, dass die Liebe, Charlies "spectacular, consciousness-altering love" eine enorm wichtige Rolle spielt in "Lost". Charlies Vision von Claire und Daniels bedeutsames Treffen mit Charlotte sind weitere Beweise dafür, dass hier des Pudels Kern liegt – in enger Verbindung mit der Konstante.

"Well, I shook your hand and then you fainted. I must have quite an effect on you."

Nach seinem ereignisreichen Flashsideway erwacht Desmond in seinem Holzbunker und ist plötzlich wie verwandelt. War er zu Beginn noch (zu Recht) so wütend auf Widmore, dass er auf ihn eingeprügelt hat, zeigt er sich nun kooperativ und hat verstanden, dass es um etwas Wichtiges geht. Bevor es jedoch zu mehr kommt, springt plötzlich Sayid aus dem Dschungel und nimmt Desmond mit, der ihm jedoch mit Yoda-artiger Ruhe folgt.

#6.11 Bis ans Ende ihrer Tage ist in vielerlei Hinsicht die Episode, auf die man seit Beginn der Staffel gehofft hatte: Desmonds Flashsideway in die alternative Realität als Teil von Widmores Test markiert den ersten Kontakt zwischen den beiden Universen und ist das erste bewusste Flashsideway eines Charakters. Zudem kristallisiert sich nun auch Widmores Rolle in der ganzen Sache langsam heraus, dessen Plan schlicht und ergreifend darin zu bestehen scheint, die Welt zu retten. Und schließlich ist auch Desmond nach langer Zeit der Abwesenheit endlich wieder da und feiert mit dieser Episode ein gebührendes Comeback.

Kurzum: Eine beineindruckende, sensationelle Folge mit purem "Lost"-Feeling, die an den Kultklassiker #4.05 Die Konstante heranreicht. Die bislang beste Episode dieser Staffel.

Maria Gruber - myFanbase

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