Review: #6.05 Der Leuchtturm
Und wieder ist er aufgeblitzt, der unnachahmliche Genius der "Lost"-Macher. Mit #6.05 Lighthouse setzt sich die Flashsideways-Reihenfolge wie erwartet spiegelbildlich zur ersten Staffel fort und präsentiert uns nun das Leben des "anderen" Jack Shephard. Die Spiegelmetapher ist nicht nur in Bezug auf die Parallelität der ersten und sechsten Staffel von Bedeutung, sondern auch innerhalb dieser Episode. Denn mehr als einmal sieht Jack in den Spiegel und nicht immer gefällt ihm das, was er sieht. Uns allerdings gefällt, was wir sehen – denn erneut liefert die Serie ein richtig gutes Beispiel großartiger Fernsehunterhaltung.
"You know when I was your age, my father didn't want to see me fail either. He used to say to me that... he said that I didn't have what it takes."
Erinnern wir uns zurück an Jacks erste Flashback-Episode: In #1.05 Das weiße Kaninchen erfuhren wir erstmals mehr über Jacks Vergangenheit und die Probleme mit seinem Vater, über Jacks vergebliche Versuche, ihn zu beeeindrucken und die tragischen Umstände, die Jack nach Sydney brachten. Der Jack der alternativen Realität schien ganz ähnliche Schwierigkeiten mit Christian zu haben, als der noch lebte, hatte auch seine "Daddy Issues", die ihn nun daran hindern, mit seinem eigenen Sohn klar zu kommen. Jup, Alterna-Jack hat einen Sohn – David.
David lebt allerdings bei seiner Mutter (Sarah? Juliet?) und bekommt Jack nur einmal im Monat zu sehen. Dementsprechend sind Vater und Sohn entfremdet, wissen nicht viel voneinander und schaffen es kaum, sich länger als zwei Minuten zu unterhalten. Dass David ausgerechnet Lewis Carrolls Klassiker "Through the Looking Glass" liest, ist nicht nur eine tolle Referenz an die gleichnamige Episode, sondern auch an #1.05 Das weiße Kaninchen und die generellen Anlehnungen an die Story von "Alice im Wunderland" bzw. "Alice hinter den Spiegeln", in der Spiegel eine wichtige Rolle spielen. Überhaupt bekommt man immer mehr den Eindruck, dass die beiden Realitäten – die "ursprüngliche" Zeitlinie und die "parallele" Zeitlinie – in einem ähnlichen Bezug zueinander stehen, wie es die Realität und das "Wunderland" in Carrolls Geschichte tun, in der Alice durch einen Spiegel wandert und sich plötzlich in einer anderen Welt wiederfindet. Angesichts der vielen "Alice"-Referenzen in "Lost" ist dies nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Denn dass beide Realitäten zusammenhängen, wird mit dieser Folge einmal mehr klar: So wundert sich Jack, als er im Spiegel die Narbe an seinem Bauch sieht, wo ihm der Blinddarm entnommen wurde – denn er kann sich eigenartigerweise nicht daran erinnern.
Eigenartig ist auch, dass Jack nicht einmal weiß, dass David noch Klavier spielt. Ist er so von seinem Sohn entfremdet oder steckt da noch viel mehr dahinter? Klasse auf jeden Fall, dass David genau das gleiche Stück (Chopins "Fantaisie Impromptu") spielt, wie es Supergenie Daniel Faraday in #5.14 Die Variable tat. Ja, da ist er mal wieder, der Genius von Team Darlton. Nicht zu vergessen die kurze Begegnung zwischen Jack und Dogen (samt Sohn) beim Vorspiel für das Konservatorium – toll!
"Everything is an option."
Auf der Insel haben Jack und Dogen derweil eine Art freundschaftlichen Pakt unter Anführern geschlossen und begegnen sich mit erstaunlich viel Vertrauen und Ehrlichkeit. Auch gegenüber Sayid entscheidet sich Jack für die Wahrheit und erzählt ihm von der Giftpille. Inmitten all dieser ernsthaften Gespräche sorgen Hurley und Miles mit einem Drei-Gewinnt-Spiel aus Bananenblättern und Bastkreisen für den nötigen humorvollen Ausgleich und vor allem Hurley ist mal wieder absolut herrlich. Wie er mit totaler Selbstverständlichkeit mit dem toten Jacob plaudert, wie er Dogen anschwindelt ("I'm a big fan of temples… and like, history… Indiana Jones stuff.") und wie er versucht, Jack möglichst unauffällig zur Flucht zu bewegen, all das ist einfach phänomenal. Jorge Garcia kriegt es immer wieder perfekt hin, Hurley als sympathischen Tollpatsch darzustellen und die Drehbuchautoren tun ihr Übriges, um ihn nicht nur als Trottel für Situationskomik auszunutzen, sondern ihn auch als wichtiges Element in der Geschichte zu platzieren. Hurley ist schließlich nicht nur Jacobs Mittelmann, sondern auch ein Kandidat.
Ein "You have what it takes" reicht, um Jack zur Flucht zu überzeugen und so stapfen Hurley und Jack bald durch den Dschungel, wie in den guten alten Zeiten. Dabei entdecken sie die Höhle wieder, die Jack in Episode – wie könnte es anders sein – #1.05 fand, als er dem Geist von Christian hinterher jagte, was Locke damals im Gespräch mit Jack mit einem "Ah. The white rabbit. Alice in Wonderland." kommentierte. Ja, die "Alice"-Referenzen häufen sich. Und ja, es ist genial, nebenbei auch noch die Skelette von "Adam und Eva", das Flugzeugwrack oder Christians leeren Sarg zu sehen. Man sieht, die Macher haben all diese Kleinigkeiten nicht vergessen.
Schließlich erreichen Hurley und Jack ihr Ziel, einen riesigen Leuchtturm. Und es ist sehr clever, wie Team Darlton sämtlichen Fanfragen mit einer Dialogzeile vorbeugt: "Guess we weren't lookin' for it", so Hurley, bevor Jack die Tür eintritt und wir in das Innere des Leuchtturms blicken dürfen. Darin befindet sich ein alte Apparatur, ein großes Zahnrad mit Spiegeln (!) und Namen. Die Parallelen zur letzten Folge sind unübersehbar: Smokelocke führte Sawyer in die Höhle und zeigte ihm die Namen an der Decke. Nun führt Hurley in Jacobs Auftrag Jack zum Leuchtturm, wo ebenfalls viele Namen auf dem Rad stehen. Werden wir gerade Zeugen einer Art Zweiteilung in verschiedene Lager – Gut und Böse? Sawyer (und Claire) auf Smokelockes Seite, Jack (und Hurley) auf Jacobs Seite? Wer von beiden ist gut – und wer böse? Und wer ist die Person, die laut Jacob zur Insel kommen wird?
Für Jack ist der ganze Kram zu viel: Er sieht seinen Namen auf dem Rad und sein Haus im Spiegel und möchte endlich ein Wörtchen mit Jacob reden. Er hat es satt, von allen manipuliert zu werden und in einem Jack-typischen Akt der Rage zerstört er schließlich die Spiegel. Gut, dass Jacob all dies schon mit einberechnet hat – denn was für ihn zählt, ist Jack. Wie so oft in der Serie wird sämtliche Komplexität der Storylines und Mythologie auf eine entscheidene Grundfrage heruntergebrochen: Für welche Seite entscheidet sich Jack? Wird er endlich bereit sein, zu einem absoluten "Mann des Glaubens" zu werden? Will er überhaupt dazu bereit sein?
"If there's one thing that'll kill you around here it's infection."
In einer Nebenstoryline, die jedoch alles andere als nebensächlich ist, erfahren wir mehr über Claire und ihren neuen Lebensstil. Obwohl sie in manchen Momenten immernoch an die nette Claire von früher erinnert, so ist sie eindeutig auf die dunkle Seite der Macht übergegangen und rammt Justin ohne mit der Wimper zu zucken die Axt in die Brust. Boah. Claire 2.0 ist zur Killeramazone mutiert.
Es ist Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Jin, der sich schon mit Danielle rumgeschlagen musste, bei Claire landet. Er versucht, Justins Leben zu retten, indem er Claire die Wahrheit über Aaron erzählt, doch als er sieht, dass Claire nicht mehr zu helfen ist, entscheidet er sich dazu, seine Aussage zu revidieren, um Kates Leben nicht auch noch in Gefahr zu bringen. Doch wer weiß, was nun mit Jin passieren wird – denn Claires ominöser Freund ist niemand anderer als Smokelocke!
Quasi spiegelbildlich zur enorm hohen Qualität der ersten Staffel erweist sich auch #6.05 Lighthouse als eine äußerst unterhaltsame und spannende Episode, die das Flashsideway hervorragend mit den Ereignissen auf der Insel verbindet. In der Vergangenheit waren Jack-Episoden immer schwer einzuschätzen gewesen, mal exzellent (#1.20 Schade nicht, #5.06 316), mal weniger überzeugend (#3.09 Fremd im fremden Land, #4.10 Die Operation). Diese Folge gesellt sich definitiv zur ersten Gruppe und ist ein weiterer Beweis für das kreative Wunderland von "Lost".
Maria Gruber - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: LighthouseErstausstrahlung (US): 23.02.2010
Erstausstrahlung (DE): 07.10.2010
Regie: Jack Bender
Drehbuch: Carlton Cuse & Damon Lindelof
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