Vollkommene Einsamkeit - Review Staffel 1
Wir befinden uns in den 1960er Jahren auf der Madison Avenue, dem pulsierenden Zentrum der Werbefachleute von New York. Hier werden Slogans, Plakate und Werbeclips entworfen, die den Leuten suggerieren, dass ihr bisher geruhsames und schönes Leben erst einzigartig und aufregend werden wird, wenn sie das zauberhaft künstlerisch angepriesene Produkt ihr Eigen nennen können. Es ist die Zeit der Nixon vs. Kennedy-Präsidentschaftswahl, der Zigarette als Statussymbol, der Wasserwellen- und Bienenstock-Frisur bei den Damen, der ersten Fernseher in den Haushalten und des Savoir Vivre in der besseren Gesellschaft. "Mad Men" legt im Laufe dieser ersten Staffel aber in ruhiger, kleinschrittiger Charakterarbeit ein Bild frei, das Glamour und Prestige als aufpolierte Fassade entlarvt. Die 50er Jahre, auch das "Golden Age of Marriage" genannt, liegen in der Vergangenheit und die "Turbulent Decade" der 60er Jahre bringt der besseren Gesellschaft vor allem eines: Einsamkeit. So sind die Hauptcharaktere alle in ein mehr oder weniger festes Netzwerk eingebunden und doch sind sie am Ende der Staffel nichts anderes als absolut und gnadenlos allein.
I hate to break it to you, but there is no big lie, there is no system, the universe is indifferent.
Wir lernen Don als den aufsteigenden Stern am Werbehimmel über dem mittelständischen Privatunternehmen Sterling Cooper kennen. Er ist erfolgsverwöhnt, geachtet, gleichsam beliebt und gefürchtet, genießt den Respekt seiner Chefs und seiner Untergebenen ebenso wie den der Kunden und ist bekannt dafür, bei der kreativen Entwicklung von Werbestrategien wahre Wunder zu vollbringen. Er hat eine wunderschöne, junge, blonde Ehefrau im Stil der 50er Jahre an seiner Seite, die ihm zwei Kinder geschenkt hat und für nichts anderes lebt, als ihm ein wohliges Heim zu bereiten, wenn er gedenkt, gelegentlich nach Hause zu kommen. Don ist der Patriarch in der Familie, seine Frau wagt es nicht, ihm zu widersprechen, und ein offenes, respektvolles Vertrauensverhältnis fehlt völlig. Mit seinem Boss Roger Sterling scheint ihn ein aufrichtigeres Verständnis zu verbinden als mit der eigenen Ehefrau. Als Geschäftsmänner befinden sie sich auf gleicher Augenhöhe, während eine Ehefrau schmückendes Beiwerk ist, das sich nebenbei um Heim und Kinder kümmert.
Schon zu Beginn der Staffel aber wird klar, dass Don sich im Geheimen nach einer selbständigen und lebenslustigen Partnerin sehnt. Er glaubt, dies in Midge Daniels gefunden zu haben, und weil er nicht gewöhnt ist, sich zu irren, folgt er ihr sogar in ihre Welt, in der sie sich mit ihren Hippiefreunden trifft und auf Haschisch-Trips begibt. Don wirkt in diesen Szenen wie ein Außerirdischer und muss sich selber eingestehen, dass Midge nicht die Frau ist, mit der er leben könnte, daher findet er sie mit einer enorm großen Summe ab, die er soeben als Bonus für seine Arbeit erhalten hatte und verschwindet aus ihrem Leben.
Er lernt die jüdische Geschäftsfrau Rachel Menken kennen und fühlt sich zunächst von ihrem imposanten Auftritt angegriffen. Doch schon bald spürt er, dass diese Frau ihm auf gleicher Augenhöhe begegnet und er verfällt ihr mit Leib und Seele. Sie lässt ihn um sich kämpfen und gewinnt ihn in einem Moment der Schwäche, die er ihr gegenüber eingestehen kann, während dies gegenüber seiner Ehefrau undenkbar wäre. Ihr gegenüber offenbart er Geheimnisse aus seinem Leben, die niemand anderem zugängig sind. Als ihm das Wasser bis zum Hals steht, überfällt er Rachel allerdings mit einer völlig untypischen Leidenschaft und Impulsivität und bittet sie, ihr jetziges Leben zurückzulassen und mit ihm ein neues Leben zu beginnen. Dass sie dies angewidert ablehnt, ist nur allzu verständlich, ist ihr doch klar, was es für ihr gemeinsames zukünftiges Leben bedeuten würde, wenn er Frau und Kinder einfach zurückließe.
In einem anderen, zunächst unabhängigen Erzählstrang, der zu dem letztlichen Bruch mit Rachel führt, erfahren wir, dass Don niemandem aus seiner Kindheit, seiner Jugend und von seiner Familie erzählt. Nicht mal seiner Frau gewährt er Einblick in diese Erinnerungen. Doch dann wird er im Zug von einem Mann angesprochen, der ihn unter dem Namen Dick Whitman wiedererkennt. Die Lawine gerät ins Rollen, nachdem er einen Award gewinnt und aufgrund des Bildes in der Zeitung auf einmal Besuch von seinem Bruder Adam erhält, der ihn für tot gehalten hatte. Don versucht diesen Kontakt mit allen Mitteln zu unterbinden, obwohl der Bruder ihm nichts anderes als Herzlichkeit entgegenbringt und Don auch spürbar berührt von dieser Begegnung ist. Er übergibt seinem Bruder letztlich eine große Summe Geld, damit er für immer aus seinem Leben verschwindet, so sehr ist ihm die Erinnerung an früher zuwider. Der Bruder ist völlig verstört von Dons Handeln, und da seine Eltern verstorben sind, sieht er für sich keinen anderen Ausweg als den Selbstmord. Nicht aber bevor er Don eine Kiste mit Erinnerungsphotos hat zukommen lassen. Diese gerät nun unglücklicherweise Pete Campbell in die Hände, der die daraus gewonnenen Erkenntnisse nutzt, um Don zu erpressen. Don wird auf diese Weise auf eine Reise in sein Gedächtnis geschickt und durch Rückblicke erfährt man, dass er, Dick Whitman, der Sohn einer Prostituierten ist, der ihr von seinem Vater abgekauft worden war. Sein Vater war ein wenig liebevoller und betrügerischer Mann, und die Stiefmutter hat dem Ziehsohn auch keine Aufmerksamkeit geschenkt. Als er später im Krieg mit seinem Vorgesetzten Donald Draper unter Beschuss gerät, ändert sich alles. Durch einen von ihm verursachten Unfall kommt der echte Donald Draper zu Tode und mit letzter Kraft tauscht Don aka Dick Whitman seine Identifizierungsmarke mit dem Toten. Fortan lebt er als Don Draper und hat keinen Kontakt mehr zu seiner Vergangenheit.
Von Pete Campbell verraten erlebt Don ein weiteres Mal die Loyalität unter Geschäftsmännern, als sein Partner, vormals Boss, Bertram Cooper Pete in seine Schranken weist und sich damit ohne Fragen zu stellen auf Dons Seite stellt. Dons Leben, wie er es kennt, ist gerettet, aber seinen Bruder hat er verstoßen, seine Geliebte verscheucht, seine Frau niemals an sich herangelassen, und wir sehen ihn in einer Parallelmontage am Ende der Staffel mit dem Wunsch, in den Schoß der Familie fallen zu können. Die Realität aber sieht anders aus, seine Familie ist zum Thanksgiving-Fest abgereist und er sitzt einsam und verlassen auf der Treppe in seinem leeren Haus.
She wanted me to be beautiful so I could find a man. There’s nothing wrong with that. But then what? Just sit and smoke and let it go ‘til you’re in a box?
Im 60er Jahre Kultfilm "Kleine Biester" mit Tatum O’Neal geben die Teenagermädchen ihren braven und schönen Müttern die Bezeichnung "Betty" als Prototyp der Ehefrau und Mutter der fünfziger Jahre. Eine solche "Betty" ist Betty Draper. Sie erinnert an Grace Kelly, sieht immer perfekt aus, setzt ein Lächeln auf, sobald sich ihr Ehemann nähert und kümmert sich um Kinder und Heim. Einzig das innere Strahlen einer Grace Kelly fehlt ihr, was schon früh darauf schließen lässt, dass sie sich ebenso wenig ausgefüllt in ihrer Ehe fühlt wie ihr Mann. Die gesellschaftlichen Formen aber machen es ihr unmöglich, mit ihrem Mann darüber zu sprechen und ihm so etwas anderes zu bereiten als Freude. Dennoch kann sie ihr psychisches Leiden nicht verstecken, da ihre kranke Seele ihr auch körperliche Schwierigkeiten bereitet. Obwohl Don wenig Verständnis dafür aufbringen kann, dass es ihr offenbar an etwas fehlt, schickt er sie zum Psychiater, überwacht aber auch den Fortgang ihrer Therapie ohne ihr Wissen.
Betty sieht einen Lichtstreifen am Horizont, als ihr ein Modelljob angeboten wird, da sie davon träumt, sich selbst verwirklichen zu können. Leider aber ist sie nur ein Spielball der Geschäftswelt, da Don durch ihr Engagement dazu ermutigt werden sollte, die Firma zu wechseln und zu Bettys Arbeitgeber zu wechseln. Als Don ablehnt, wird Betty fallengelassen, ohne eine Erklärung dafür zu erhalten.
Erst aber als ihre Freundin durch das Nachprüfen der Telefonrechnung ihres Mannes diesen als untreu entlarvt, traut Betty sich, diesen Schritt ebenso zu gehen. Sie entdeckt, dass Don regen Austausch mit ihrem Psychiater pflegte und fühlt sich aufs Äußerste verraten. In ihrer nächsten Sitzung lässt sie zum ersten Mal all ihre Verdachte heraus. Schon lange hat sie bemerkt, dass Don bei seiner Heimkehr nach fremdem Parfum roch und ihr beim Sex Dinge gibt, die andere Frauen wollen, nicht aber sie. Da sie aber weiß, dass eine verlassene Frau von der Gesellschaft geächtet wird, ist sie gefangen in ihrer Situation und kann mit niemandem darüber sprechen. Dennoch wird sie von ihren Gefühlen übermannt, als sie den neunjährigen Sohn einer anderen Frau trifft und sich bei diesem ausweint, obwohl er gar nicht weiß, wie er sich verhalten soll.
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