Bewertung

Review: #1.02 Sündenbock

Foto: Melissa Roxburgh, Manifest - Copyright: Warner Bros. Entertainment Inc.
Melissa Roxburgh, Manifest
© Warner Bros. Entertainment Inc.

Mit der zweiten Episode bekommt man ein erstes Gefühl, wie die Staffel wohl ablaufen soll. Neben kleinen Fortschritten im Mysterium werden die zwischenmenschlichen Aspekte bei den Charaktere wohl viel Raum einnehmen. Außerdem scheinen Ben und Michaela offenbar in jeder Folge eine Aufgabe zu bewältigen zu haben.

I don’t know, what I’m hearing nor why.

Ben hört auf der Straße plötzlich Musik und lernt so Radd Campbell kennen, der auch auf seinem Flug war, fünf Jahre seines Lebens verloren hat und nun erfahren musste, dass sein Sohn Adio (der übrigens auch sein Sohn im wahren Leben ist) im Gefängnis sitzt. Die Musik, die Ben und Radd hören, sorgt schließlich dafür, dass man Adios Unschuld beweisen kann, weil nicht er, sondern der Sohn der Juweliers alles geklaut hat. Der Fall hat nicht besonders viel Raum in dieser Episode eingenommen, was ganz gut war, weil er auch nicht wirklich faszinierend war. Er hat aber deutlich gemacht, dass die Stimmen, Töne oder was auch immer noch folgen mag in den Köpfen eine Art Leitfaden für die Episode sein könnten, eine Art Fall der Woche. Wenn dem so sein sollte, dann muss man sich aber auch fragen, warum ausgerechnet Ben und Michaela da offenbar eine wichtigere Rolle spielen. Radd hätte durch die Musik doch auch zu dem Lager geführt werden können. Oder ist es wirklich immer nur Zufall, weil man zumindest in der Nähe der Objekte sein muss? Es gibt hier also noch ein paar offene Fragen und ich hoffe sehr, dass es nicht zu konstruiert wirkt, dass Ben und/oder Michaela wohl immer wieder involviert sein werden.

I'm not punishing her, Jared, but I saw her and you and I felt like puking or fainting or both.

Michaela hatte in dieser Episode vor allem mit sich zu tun und Ben nur aufgrund ihres Berufes Hilfe geben können. Sie will vielmehr wieder arbeiten, sicherlich auch um Normalität zu finden. Dabei muss sie erst mal psychologisch untersucht werden, weil die einschneidenden Ereignisse natürlich Einfluss auf die Person haben. Es ist immer beruhigend, wenn man sieht, dass es offenbar wirklich eine psychologische Kontrollinstanz gibt. Die Gespräche waren interessant und ich empfand Michaela ist ziemlich offen und ehrlich. Auch das Ergebnis wusste zu gefallen. Sie darf wieder arbeiten, soll aber regelmäßig vorbei kommen, was man als sinnvollen Kompromiss ansehen kann. Im Moment sehe ich auch noch keinen Anlass, dieses Thema viel größer zu machen. Michaela wirkt ja sehr gefasst und zurechnungsfähig.

Das liegt wohl auch daran, dass sie in dieser Episode schon über ihren Schatten gesprungen ist. Nachdem sie zunächst damit zu kämpfen hatte, ihre beste Freundin Lourdes zu sehen, die inzwischen die Ehefrau von Jared ist, hat sie sich tatsächlich dazu überwinden können, die Sicht der anderen anzunehmen und nachgeforscht, wie Lourdes mit dem vermeintlichen Verlust ihrer Freundin umgegangen ist. Und Lourdes hat da wirklich ganze Arbeit geleistet, weil sie Michaela im sozialen Netzwerk regelrecht ehrte und nie vergessen hatte. Es ist nach diesen Informationen vollkommen folgerichtig, dass Michaela ihr vergibt. Dass sie das aber schon in dieser Episode tun kann, muss man ihr hoch anrechnen. Man will also gar keine große Geschichte daraus machen sondern offenbar schnell den nächsten Schritt gehen, nämlich wie dieses Liebesdreieck nun weiter gehen wird. Denn zwischen Michaela, Lourdes und Jared ist ja jeder jedem verbunden. Jared hat man angesehen, dass das für ihn emotional auch nicht einfach ist.

I don't know if it was some kind of twin thing, but I could … I could feel him, alive

Emotional geht es auch im Hause Stone zu. Cal fühlt sich nicht so richtig wohl, weil sein Zimmer ganz anders ist, seine Spielsachen weg sind und sich einfach alles verändert hat. Die übertriebenen Notkäufe von Grace helfen da auch nicht weiter. Auch hier kann man alle Handlungen nachvollziehen. Grace hat irgendwie ein schlechtes Gewissen und versucht Cal mit Geschenken zu überhäufen. Cal hilft das aber logischerweise gar nicht. Das ist eine äußerst vertrackte Situation, die überraschend von Olive aufgeklärt wird. Sie hat die alten Sachen insgeheim behalten, weil ihr Gefühl sagte, dass ihr Zwillingsbruder noch lebt. Das ist ein spannender Aspekt. Hat das wirklich nur was mit zwillingstypischer Verbundenheit zu tun, die man oft nachsagt, oder steckt da vielleicht noch mehr dahinter? Olive ist ein interessanter Charakter. Sie ist in den letzten fünf Jahren ihren Weg gegangen und scheint es trotz der Ereignisse zu schaffen, halbwegs klaren Kopf zu bewahren und richtige Ratschläge zu geben. Dass sie lange in psychologischer Behandlung war, macht auch glaubhaft, dass sie jetzt so stark ist bzw. wirkt.

I didn't even remember how much I loved him until he came back.

Im Kontrast dazu steht Grace, die erst mal wieder damit zurecht kommen muss, dass Ben und Cal da sind und auch sehr viele Emotionen verarbeiten muss. Da ist dieser neue Mann in ihrem Leben, den wir noch nicht kennen lernen durften, von dem Cal aber unterbewusst schon weiß und dessen Zeichnung irgendwie deutlich macht, dass es keine entweder-oder-Lösung geben wird. Auch drängen die vielen Gefühle bezüglich der Kinder nach oben. Die schwere Phase mit Olive, die Vorwürfe an Ben, dass sie Cal verloren hatte, weil sie wenigstens das eine halbe Jahr noch mit ihm genießen wollte. Und dann versucht Ben ihr auch noch wieder nahe zu kommen und Grace weiß gar nicht, wo ihr Kopf und ihr Herz stehen. Nur mit der Wahrheit bekommt sie es nicht hin, offenbar auch weil sie selbst keine Entscheidung treffen will. Trotzdem ist es nur fair, Ben zu informieren, was sie in den letzten fünf Jahren erlebt hat. Dass Ben das noch nicht gefragt hat, ist fast verwunderlich, aber er fürchtet die Antwort sicherlich genau so wie Grace. So wurde in der Beziehung zwischen Ben und Grace letztlich viel geredet, aber wenig getan, was vollkommen in Ordnung ist, weil man ein bisschen entschleunigen muss. Die Dialoge stimmen und die Aktionen, Reaktionen und Gedanken der Beteiligten sind nachvollziehbar.

Fazit

Mit der zweiten Episode bekommt man ein Gefühl dafür, wie die Serie Woche für Woche ablaufen könnte. Ob das so sein wird und ob das auch funktioniert, wird man noch sehen. Pluspunkte kann die Episode mit allen zwischenmenschlichen Geschichten erzielen, weil die Dialoge stimmig sind sowie das richtige Maß zwischen Emotionalität und inhaltlichem Tempo haben und die Charaktere nachvollziehbar agieren. Das alles bringt spannende Facetten zum Vorschein, die Lust auf die weiteren Episoden machen, wie der Cliffhanger natürlich auch. Die Geschichte um Adio und seinen Vater fällt dahinter deutlich ab.

Emil Groth - myFanbase

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