Bewertung

Review: #1.09 Die Strafecke

Foto: David Tennant, Marvel's Jessica Jones - Copyright: Marvel Television and ABC Studios
David Tennant, Marvel's Jessica Jones
© Marvel Television and ABC Studios

Nach der dritten Episode in Folge, in der die Kilgrave-Storyline bis zum absoluten Extrem getrieben wurde, beginnt sich bei mir langsam eine Art Übersättigung einzustellen. Und das, obwohl ich mir nur eine Folge von "Marvel's Jessica Jones" täglich anschaue und damit das von Netflix angeregte Binge-Verfahren schon fast im Schneckentempo nutze. Aber dieser Drei-Folgen-Akt rund um die Konfrontation von Jessica und Kilgrave ist emotional wirklich sehr auslaugend und zehrt jede Mal an meinen Nerven. Das heißt nicht, dass er nicht absolut gelungen ist, aber ich persönlich brauche dringend eine Pause von dieser Intensität und auch ein wenig Abwechslung.

Bis dahin widmen wir uns aber erst einmal Episode #1.09 Die Strafecke, die mit Kilgrave in Gefangenschaft beginnt, und mit ihm wieder auf freiem Fuß endet. Damit hat man rein vom Ergebnis her nicht viel gewonnen. Eigentlich ist sogar alles nun noch viel, viel schlimmer. Hope hat den ihr angebotenen Deal der Staatsanwaltschaft abgelehnt, ohne dass Jessica einen gerichtstauglichen Beweis für Kilgraves Fähigkeiten erzeugen konnte (ich bezweifle, dass das am Ende aufgenommene Video wirklich gerichtsfest ist), Kilgrave hat mindestens seine Mutter getötet und auch das Schicksal von Detective Clemons schwebt noch in der Luft. Es gibt aber einen einzigen Hoffnungsschimmer, denn nun weiß Jessica definitiv, dass sie sich (wohl als einzige) gegen Kilgraves Macht widersetzen kann. Aber abgesehen davon, wirkt alles zum jetzigen Zeitpunkt ziemlich hoffnungslos.

Zuvor hat man die Psychospielchen zwischen Jessica und Kilgrave der letzten beiden Folgen fortgesetzt, dieses Mal unter anderen Machtbedingungen, denn Jessica hat ihn in der von Simpson bereit gestellten Zelle eingesperrt. Aber das hat ihn nicht unbedingt seiner Macht beraubt. Kilgrave ist zu clever, er weigert sich Jessica den Beweis zu geben, den sie braucht. Lieber lässt er sich von ihr verprügeln und stellt sich als das angebliche Opfer dar. Diese Szene war übrigens der erste Kampf dieser Serie, der mich so richtig fasziniert hat. Zugegeben, ich bin generell niemand, den man mit einem noch so gut gemachten Kampf hinter dem Ofen vorlocken kann, aber hier hat man mich endlich einmal auch mit einer Action-Szene gepackt.

Ebenso zum ersten Mal hat sich das Scheidungsdrama von Jeri thematisch gut mit dem Rest der Folge verknüpft. Hätte Kilgrave es geschafft, Jeri durch bloße Überredungskünste auf seine Seite zu ziehen (schlimmstenfalls durch Mitleid), hätte ich das als echten Verrat an ihrem Charakter empfunden. Sie aber mit dem zu Ködern, wonach sie schon so lange hinterher jagt, war dann doch sehr clever. Und es bildet eben eine großartige Parallele dazu, dass Jeri als Person, die fast immer ihre Mitmenschen so manipulieren kann, dass sie sich nach ihren Vorstellungen verhalten, eben doch ihre Grenzen hat. Diese Grenzen hat Kilgrave nicht, und er bietet Jeri an, seine Macht bei ihren Problemen einzusetzen. Wunderbar ist dabei auch, dass man die Möglichkeit, dass Kilgrave Wendy dazu bringen kann, alles zu tun, was Jeri verlangt, nie mit Worten erwähnt, man als Zuschauer aber klar weiß, worauf das nun hinauslaufen wird.

Ebenso faszinierend war es in dieser Folge die Perspektive von Kilgraves aka Kevins Eltern zu hören. So erfahren wir, dass seine rührselige Geschichte vom armen Versuchsopfer eben nicht so einfach ist, wie er es ausmacht. Dabei glaube ich hier noch nicht einmal, dass er bewusst lügt. Viele Aspekte der Wahrheit wurden vor ihm ferngehalten, aber er sieht wie immer alles nur aus einer Perspektive. Er sieht nicht, was er seinen Eltern angetan hat. Dabei will ich die von ihrer immensen Schuld gar nicht freisprechen, die Liste der Vergehen auf ihrer Seite ist lang, nicht zuletzt keine Versuche zu unternehmen, Kevin irgendwie beizubringen, wie er seine Fähigkeiten verantwortungsvoll einsetzen könnte. Aber Kilgrave hat selbst auch keinen einzigen Versuch in diese Richtung unternommen. Sein Worte, er wäre kurz ein Held gewesen, sind ein Hohn. Er würde niemals seine Macht auch nur einschränken lassen. Letztendlich wird es mit ihm immer auf ein solches Szenario wie hier mit seiner Mutter hinauslaufen. Ich bin nur dankbar, dass man mit David Tennant einen derart talentierten Schauspieler in die Rolle gecastet hat, der einen immer wieder kurz das Monster unter der Fassade Kilgraves vergessen lässt. Aber eben nur kurz.

Insgesamt hatte #1.09 Die Strafecke also wirklich einiges zu bieten, aber leider gab es auch ein paar Dinge zu beanstanden. Die Tatsache, dass Kilgraves Flucht am Ende durch eine zufällig kaputte Stromleitung verursacht wurde, schreit leider nach Drehbuch-Schnick-Schnack. Das wirkt, als ob man nur wusste, dass er bitte fliehen soll, man aber nicht wirklich logisch weiß, wie das gelingen kann. Auch Will blieb hier weiter eher ein ablenkender Aspekt von der Haupthandlung. Zwar deutet man mit seiner Krankengeschichte nun eine Verbindung zu einem gewissen Comic-Charakter an: Achtung Spoiler: denn seine Geschichte läuft wohl auf die des aus den "Daredevil"-Comics bekannten Bösewichts Nuke hinaus. Dessen hervorstechendste Eigenschaft ist eine auf das Gesicht tätowierte amerikanische Flagge. Nuke ist aus einem Experiment enstanden, um einen neuen Supersoldaten wie "Captain America" zu erhalten. Dabei sind die roten, blauen und weißen Pillen, die Will hier erhält, die entscheidenden Hinweise.Spoiler Ende

Aber ich würde den Guten wohl nicht vermissen, wenn er plötzlich nicht mehr auftauchen würde.

Ganz im Gegenteil zu Trish, die mir hier das Herz am tiefsten in die Hose rutschen ließ, als Kilgrave sie aufforderte, sich die Waffe in den Mund zu stecken und abzudrücken. Glücklicherweise war keine Kugel mehr im Lauf, aber die Szene war neben ihrer emotionalen Bedeutung zudem noch eine offensichtliche Metapher für den Besitz von Waffen war, die sich nun einmal viel zu oft als tödlich für die Besitzer, oder unschuldige Menschen in ihrer Nähe herausstellen. Aber Trish innerhalb der Serie zu verlieren wäre wirklich furchtbar. Sie ist neben Jessica eindeutig die einzige Figur, die unverzichtbar ist. Zu viel hängt von ihrer Freundschaft zu Jessica ab. Ohne Trish, wäre die Serie insgesamt nur halb so interessant.

Cindy Scholz - myFanbase

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