Bewertung

Review: #1.02 Code of The Streets

Foto: Mike Colter & Frankie Faison, Marvel's Luke Cage - Copyright: Marvel Television and ABC Studios
Mike Colter & Frankie Faison, Marvel's Luke Cage
© Marvel Television and ABC Studios

Wow, nachdem mich der Pilot von "Marvel's Luke Cage" ja eher mit mittelprächtigen Gefühlen zurückgelassen hatte, hat mich die zweite Episode #1.02 Code of the Streets so richtig umgehauen. Bis auf eine kleine Schwäche war dies eine nahzu perfekte Folge und nun bin ich am Überlegen, ob man nicht lieber die ersten beiden Folgen als überlangen Einstieg hätte wählen sollen. Denn das Gefühl nach dieser zweiten Episode ist doch eigentlich das, was man nach dem direkten Einstieg haben sollte. Wobei eine solche Überlegung bei einer Netflix-Serie, die ja auf das Prinzip Binge Watching ausgelegt ist, wahrscheinlich sowieso überfällig erscheint. Dazu kommt, dass diese beiden Episode, wie so oft bei den Marvel-Netflix-Serien beide vom selben Drehbuchschreiber (Serienmacher Cheo Hodari Coker) und dem selben Regisseur (Paul McGuigan, der bereits für mehrere Episoden von "Sherlock" für die Inszenierung verantwortlich war) umgesetzt wurden. Hätte man diese beiden Folgen aber zusammen gefasst, hätte man gerne einige schwächere Füllerelemente aus der ersten Episode weglassen können und so einen viel stärkeren Einstieg geschaffen.

Aber zurück zu dieser unheimlich starken Episode, die in sich nahezu perfekt war. Hier hat mich nicht einmal das Stilmittel des In Medias Res-Anfangs, also der Methode eine Episode mit einer Szene aus der vorgegriffenen Handlung zu eröffnen, gestört. Eigentlich hasse ich diese Methode, da sie in den allermeisten Fällen völlig überflüssig genutzt wird. Hier empfand ich das zweifache Ansehen von Luke Cages Konfrontation mit dem jungen Schwarzen mit der Waffe aber unheimlich berührend und kraftvoll. Am Anfang der Episode war einem gar nicht bewusst, dass man bereits in die Zukunft blickt und hat diesen Moment erst einmal so hingenommen. Am Ende, als man aber von Lukes Trauer und Wut wusste und sich die Szene dann noch weiter entwickelte, war dies einfach ein hochemotionaler Abschluss einer bis dahin schon sehr gelungenen Folge.

Im Mittelpunkt dieser Episode steht zum einen die Beziehung zwischen Luke und dessen väterlichem Freund Pop, aber auch Pop als Figur und als Symbol des temporären Friedens selbst. Frankie Faison legt dabei eine Glanzleistung in der Rolle des Pop ab, die noch dadurch bereichert wird, dass es dem Casting-Team gelungen ist, für die Flashbacks in die Jugend Pops einen beängstigend ähnlichen jungen Mann zu finden, der Pops verkörpert. Dabei wird deutlich, wie eng verbunden Pops und Cottonmouth miteinander sind, und dass beispielsweise der harmlos klingende Spitzname von Henry aka Pops wenig mit dessen gemütlicher jetziger Ausstrahlung als älterer Herr zu tun hat, sondern vielmehr vom Geräusch seiner Fäuste beim Prügeln in seiner Jugend herstammt. Aufgrund dieser bewegten und brutalen Vergangenheit hat die spätere Einstellung Pops bzw. dessen Barber Shops als kleiner Zufluchtsort für die Jugend am Rande der Kriminalität eine noch viel symbolischere Bedeutung. Pops ist die Hoffnung und das Asyl für Viele, auch für Luke.

Um so brutaler ist deshalb dessen sinnloser Tod am Ende dieser Episode. Nichtsdestotrotz ist es gelungen, diesen Verlust nach nur zwei Folgen besonders bedeutend zu gestalten, nicht nur für Luke, auch für die Zuschauer. Einerseits bin ich wirklich traurig, da ich Frankie Faison wirklich noch sehr gerne weiter in dieser Rolle gesehen hätte, andererseits ist die Tatsache, dass er nicht auf den Befehl Strokes hin getötet wurde, sondern nur durch Totes Nachlässigkeit und der Tatsache, dass der sich einfach nicht wirklich für gewisse Etikette und Gesetze der alten Schule interessiert, besonders passend. Cottonmouth scheint zwar als Gangster den Ton anzugeben, aber auch er hat seine Männer nicht unter Kontrolle und ist somit den Gesetzten der Straße ebenso hilflos ausgeliefert, wie alle anderen auch. Er versucht dies mit viel Macht und viel Geld wett zu machen, kann der Straße aber nicht wirklich entfliehen.

Die besondere Bedeutung des Gangsterlebens in Zusammenhang mit der Stellung des schwarzen Mannes innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft schwingt in diesen Momenten nicht nur indirekt mit, sondern ist das klare Thema dieser Episode. Sei es zwischen Cottonmouth und Mariah Dillard, oder zwischen Pops und Luke, die jeweils das gegensätzliche Ende eines Sprektrums repräsentieren, die für einen armen schwarzen Mann in Amerika als Lebensmodell möglich sind. Dabei wird dies aber nicht anhand der Unterdrückung durch die Mehrheitsgesellschaft, sprich durch die weiße Vorherrschaft, thematisiert, sondern man beschäftigt sich voll und ganz mit dem Blickwinkel der schwarzen Gesellschaft auf sich selbst.

Einziges leichtes Problem dabei ist momentan noch, dass dieser Blick in meinen Augen noch zu maskulin ist, wobei man aber mit Mariah Dillard und Misty Knight zwei durchaus interessante und sehr gegensätzliche Frauenfiguren im Cast hat. In Sachen Misty ist es hier auch gelungen, deren individuelle Perspektive als Tochter der Straße etwas einzubeziehen und sie hat mir hier als Figur schon wesentlich besser als noch in der vergangenen Folge gefallen. Auch wenn ich mir immer noch wünsche, man hätte sie nicht zuerst als Lukes One Night Stand vorgestellt. Manche ersten Eindrücke sind schwer zu überwinden, Misty als fähige Polizistin mit Street Credibilty wäre da ein wesentlich gelungener bleibender Eindruck gewesen.

Mariah Dillard bleibt hingegen noch etwas rätselhaft und man weiß nicht so recht, was sie, neben dem Streben nach Macht, antreibt. Sie fungiert durchaus als Gegenpol zu ihrem gewalttätigen Cousin, ist aber dennoch voll in dessen illegale Geschäfte involviert. Pop deutet über die beiden eine brutale und mächtige Großmutter namens Mama Mabel als prägende Figur an, belässt es dann aber bei diesen Andeutungen. Insgesamt hat man aber doch einiges über die Vergangenheit der Figuren, besonders der frühen Freundschaft von Pop mit Cottonmouth, und dem Vater Chiqos erfahren.

Luke ist in diesen Geschichten ein Außenseiter, aber durch seine Verbindung zu Pop und gewisse universellen Erfahrungen, die er ebenfalls in seinem Leben gemacht hat und die ihn mit diesen Männern verbindet, steht er doch mitten im Geschehen. Dabei beindruckt mich hier vor allem die Bandbreite an Gefühlen, die wir ohne viele Worte von ihm erleben und die sicher für sein weiteres Handeln als Motivator dienen werden. Mike Colter zeigt dabei wieder einmal, dass er ein wirklicher Casting-Glücksgriff war. Die theatralische Endszene dieser Folge wäre mit einem weniger charismatischen Hauptdarsteller sicher leicht ins Übertriebene abgerutscht, so hat sie aber genau das richtige Maß an Wut, Trauer und Aggression an den Zuschauer transportiert.

Einziger Schwachpunkt dieser Folge war für mich der Auftritt von Turk Barrett, der in all seinen Szenen wie ein Fremdköper wirkte, was er als Figur aus "Daredevil" natürlich auch war. Da hilft es auch nicht, dass Misty uns darauf hinweißt, dass Turk ja eigentlich in einen anderen Stadtteil gehört. Hier hatte er einfach nichts verloren und passte überhaupt nicht ins Umfeld.

Abgesehen davon war dies aber eine wirklich großartig zweite Folge, die mich endgültig für "Luke Cage" gewinnen konnte.

Randnotizen

  • Der Beginn der Episode war von einigen beeindruckenden visuellen Bildern geprägt, besonders Mistys Vorstellung der Schießerei war sehr gelungen.
  • Die Serie nutzt zweifelsohne einen schwarzen Blickwinkel auf die Welt, in der der weiße Mann der Außenseiter ist. Interessant ist hier, wie man die beiden wichtigen weißen Figuren, Shades und Detective Scarfe ausrichtet. Scarfe wird immer etwas langsam und außen vor gezeigt, subtil dargestellt hier besonders zwischen Misty und Pop. Ob Scarfe nun Pops Handlschlag aus latent rassistischen Gründen ablehnt, spielt dabei keine Rolle, der Blick zwischen Misty und Pop sagt uns alles, was beide darüber denken. Im Gegensatz dazu ist Shades derjenige, der versucht Tone von dessen Plan abzubringen und der von diesem klar angewidert ist.

Cindy Scholz - myFanbase

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