Die verstörendsten Momente 2010/2011
#2.15 Sexy (Glee)

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"Glee" polarisiert. Darüber besteht nun auch nach der zweiten Staffel kein Zweifel. Wie polarisiert man am besten? Indem man Umstände aus dem Alltag aufgreift und sie überspitzt darstellt. Entweder der Zuschauer mag das Ergebnis oder eben nicht. Doch dann gibt es diese Alltagsumstände, die man sich so zwar vorstellen kann, die überaus gut dargestellt sind und eine andere Seite, als die bereits bekannte, eines Charakters zeigen. Wenn man das gut macht, bekommt der Charakter dadurch Tiefe, eine neue Ebene, die seine Persönlichkeit detaillierter formt. Wenn man es aber mit der Geschichte des Charakters nicht ganz so gut abstimmt, die er bis dahin gegangen ist, dann passiert, was in #2.15 Sexy passiert: ein überaus verstörender Moment.

"Than maybe we should have a conversation about it. I tell you, what I know." (Blaine Anderson)

Foto: Chris Colfer, Glee live! - Copyright: myFanbase/Martin Linke
Chris Colfer, Glee live!
© myFanbase/Martin Linke

Dieser findet zwischen Kurt und Blaine in Kurts Schlafzimmer statt. Seit der ersten Folge schreibt man Kurt als einen Charakter, der im Grunde mit sich selbst im Reinen ist. Auch wenn er zunächst zu sich finden muss und sich eingesteht, dass er schwul ist, weiß er doch was er will. Er will so sein, wie er nun einmal ist. Das spricht für einen aufgeschlossenen, bodenständigen Jungen, welcher sein erkämpftes Selbstbewusstsein auch mit extravaganter Kleidung nach außen hin präsentiert.

Nachdem man nun endlich in der sechsten Episode der zweiten Staffel mit Blaine einen Charakter eingeführt hat, in den sich Kurt verlieben kann, lässt man beide folgenlang umeinander herum kreisen. Kurt wechselt die Schule und man reißt ihn aus seinen Outfits und quetscht seine große Persönlichkeit mit Drang zur Expression in eine Uniform. Zumindest hat er Blaine. Sie werden enge Freunde, es entsteht der Eindruck, dass sie einander alles sagen können. Doch dann erreichen sie einen Punkt in ihrer Beziehung, der tatsächlich schwer für Kurt ist. Er hat Blaine erst kürzlich gesagt, dass er Gefühle für ihn hat. Dem entsprechend schwer fällt es ihm mit Blaine alleine zu sein und mit ihm sexy Gesichtsausdrücke zu proben. Nachvollziehbarer Grund, dass sich Kurt vollkommen unwohl fühlt und daher alle Gesichter gleich lächerlich ausschauen. Blaine merkt das auch und Kurt gesteht daraufhin, dass er keinen Plan von Sex hat. Er sieht keine Möglichkeit, sich selbst darüber zu informieren, da seine Gedanken beim Anschauen von "diesen Filmen" im Internet, immer in völlig andere Richtungen gehen. Als Blaine ihm anbietet, dass er ihm alles erzählen kann, was er darüber weiß, verneint er das Angebot. Er erklärt, dass er keine Details hören will, dass er Romantik mag. Blaine wirft ein, dass Kurt sich eines Tages darüber informieren muss, er sagt, dass er das jetzt aber nicht will, und wirft Blaine hinaus.

Die Szene ist unglaublich gut dargestellt, daran besteht kein Zweifel. Es sind die kleinen Dinge, die sie perfekt machen. Die Finger Chris Colfers, die sich bei seiner Erklärung zur romantischen Fingerspitzenberührung ineinander verschränken. Sein Blick, der überall hin geht, aber nicht in Darren Criss' Richtung. Das Unwohlsein der gesamten Szene kommt perfekt herüber. Der Zuschauer ist, wie Blaine, zunächst belustigt, doch erkennt schnell, dass es Kurt ernst ist. Man sitzt die Szene dann nur noch peinlich berührt aus, weil man einfach nicht nachvollziehen kann, wie Kurt sein Desinteresse begründet. Er sei zu romantisch, um sich für Sex zu interessieren. Hier ist der Moment, der verstörend ist. Kurt versucht auf der einen Seite sich zu informieren, versagt dabei aber kläglich. Nun bietet sich der Moment, in dem er endlich erfahren kann, wie Sex zwischen Männern funktioniert und er lehnt ab! Natürlich ist es ihm peinlich darüber mit dem Jungen zu sprechen, auf den er steht und dem er dies vor allem erst kürzlich mehr oder weniger gestanden hat. Doch diesen Umstand vergisst man in diesem Moment vollkommen. Es ist nur Kurt da, der sich unglaublich eingefahren benimmt und nicht erkennt, dass er eine falsche Entscheidung trifft. Eine Entscheidung, die er vielleicht einmal bereuen könnte. Hier wird das Licht auf einen Charakterzug geworfen, der ihn runder machen soll, ihm Tiefe verleihen soll. Doch das passiert nicht. Man erfährt, dass Kurt sich trotz seines nach außen gerichteten starken Selbstwertgefühls, sich noch immer naiv und kindlich benimmt. Diese Szene verleiht den Eindruck, dass Kurt den Zusammenhang zwischen Sex und Romantik nicht erkennt. Er wirkt dadurch fast dumm, denn naiv und kindlich wäre mit seinem Wesen noch zu vereinbaren. Aber Dummheit nicht.

Den Umstand, dass Kurts Desinteresse an Sex ihn eines Tages verletzen könnte, erkennt Blaine. Es folgt auf die Szene eine sehr gelungene Konversation zwischen Blaine und Kurts Vater Burt, sowie später auch zwischen Kurt selbst und seinem Vater. Doch dieser Moment, der bleibt verstörend und unangenehm in Erinnerung. Kurts Charakter bekommt zwar einen kleinen Fitzel mehr Tiefe verliehen, doch als Preis dafür, büßt er den Eindruck ein, Selbstbewusst zu sein und gewinnt einen Charakterzug, der ihn dumm erscheinen lässt.

Es zeigt sich, dass ein verstörender Moment nicht nur ein Handlungsumstand sein muss, sondern auch einfach ein Eindruck, ein Charakterzug der offenbart wird, der so einschneidend ist, dass der komplette bis dahin kreierte Eindruck der Person verändert wird. Und das nicht immer zum Guten hin, hat man doch versucht 36 Folgen lang einen Kurt zu zeigen, der Selbstvertrauen findet und dann davor sprüht.

Jamie Lisa Hebisch - myFanbase

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