Die verstörendsten Momente 2010/2011
#2.03 On Your Way Down (Treme)

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Wenn man all die Qualitäten, die David Simons "Treme" besitzt, unter einem Adjektiv vereinen müsste, dann wäre es wohl dieses: authentisch. Selten war Fernsehen so real und so glaubwürdig wie es bei "Treme" der Fall ist, Simons aktuellem Projekt über das Leben nach dem desaströsen Hurricane Katrina in New Orleans. Innerhalb von nur 12 Episoden hat Simon es geschafft, in einem beeindruckenden Querschnitt durch die Bürgerschaft der zerstörten Metropole zu zeigen, was es bedeutet, seine Vergangenheit loszulassen und doch nicht von ihr loszukommen, was es bedeutet, neu anzufangen, und wie Krisenzeiten die Menschen an den Rand ihrer Kräfte treiben können. In Staffel 2 bleibt Simon seiner Linie gnadenlos treu und liefert erneut Fernsehunterhaltung der anspruchsvollen Art. Zwangsläufig kommt es bei einem derartigen Anspruch an Authenzität auch zu sehr verstörenden, ja schockierenden Momenten – in diesem Fall die Vergewaltigung von LaDonna.

"Mrs. Williams, would you allow me to examine you for sexual assault?"

Das Erschütternde an dem Moment ist paradoxerweise die Tatsache, dass man ihn nie sieht. LaDonna schließt wie jeden Abend ihre Bar ab und wird dabei von einem Mann nach dem Weg gefragt. Er steht draußen, sie steht drinnen. LaDonna ist der Mann sofort suspekt, sie ruft die Polizei an, wird jedoch an eine andere Dienststelle verwiesen, sie legt genervt auf, der Mann verschwindet. Dann verlässt sie die Bar und sperrt den Hinterausgang ab, als plötzlich der Mann von vorher wieder da ist – und sein Komplize. Während der Zuschauer gerade noch dabei war, den ersten Vorfall einzuordnen – wollte der Mann wirklich nur nach dem Weg fragen und hat LaDonna überreagiert, oder ist er wirklich gefährlich? –, stoppt das Szenario für einen Moment, als LaDonna schlagartig klar wird, dass hier ein Überfall im Gange ist. Sie versucht, in ihre Bar zu fliehen und die Türe hinter sich zuzusperren, hat gegen die zwei Männer jedoch keine Chance.

Die beiden gehen langsam auf LaDonna zu, die wie ein in die Ecke gedrängtes, verängstigtes Tier versucht, sich gegen ihre übermächtigen Angreifer zu wehren. Gerade weil LaDonna die selbstbewussteste und stärkste Frauenfigur der Serie ist, ist dieser Moment für das Publikum eine Qual. Man hat LaDonna bereits durch so viele Krisen (wie etwa die Suche nach ihrem Bruder Daymo) begleitet und immer wieder gesehen, wie sie sich aufrappelte, wie sie sich aufraffte und ihren Weg ging. Eben diese Frau nun völlig verzweifelt und in panischer Angst zu sehen, wie sie in ihrer eigenen Bar versucht, sich mit einem Besen gegen die zwei Männer zur Wehr zu setzen, hat etwas derart Schreckliches an sich, dass der Zuschauer in seinen Grundfesten erschüttert wird. LaDonna schmeißt den Angreifern ihre Wertsachen vor die Füße, schlägt mit dem Besen um sich. Dann der Szenenwechsel.

Für einige leidvolle Minuten wird der Zuschauer im Ungewissen darüber gehalten, was nun mit LaDonna passiert ist. Sie wird schließlich ins Krankenhaus eingeliefert, brutal verletzt, ihr Gesicht entstellt – und am schlimmsten, ihr Geist gebrochen. Schnell wird klar, dass LaDonna nicht nur ausgeraubt wurde. Und es tut einem in der Seele weh, diese Frau so zerstört sehen, jeglicher Würde beraubt, ein Schatten ihrer selbst. Khandi Alexander liefert in dieser Episode eine herausragende Leistung ab und beweist erneut ihre Wandlungsfähigkeit und Fähigkeit zum intensiven Schauspiel.

Letztlich handelt es sich in #2.03 On Your Way Down um eine Szene, die eigentlich nie stattfand, aber eben deshalb so schockierend ist. Der Übergriff auf LaDonna hat aufgrund seiner Intensität jedoch definitiv einen Platz unter den fünf verstörendsten, schockierendsten und schonungslosesten Momenten der Season verdient und zeigt, dass es oft wirksamer ist, Gewalt nicht zu zeigen, um Gewalt zu inszenieren.

Maria Gruber - myFanbase

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