Die enttäuschendsten Staffeln 2009/2010
Platz 10: Sons of Anarchy
Ein wenig gemein ist es schon, "Sons of Anarchy" bei den Flop-Staffeln einzuordnen, denn wirklich schlecht ist das Bikerdrama noch lange nicht. Nichtsdestotrotz ist die Serie ein Paradebeispiel für unausgewogenes Storytelling, bei dem sich geradezu großartige Szenen nicht selten mit lachhaft schlechten abwechseln und dadurch den Gesamteindruck deutlich schmälern. Manche Storylines bewegen sich nahe am Niveau einer Soap, teilweise befinden sich die schauspielerischen Leistungen im Bereich des Overacting und die Balance zwischen Humor und Ernst scheint Kurt Sutter mitsamt Team auch in der zweiten Staffel noch nicht gefunden zu haben.
"How do you want to handle it?" – "We kill them all."
© Frank Ockenfels/FX
Nachdem man im Finale der ersten Staffel am Ende gerade noch die Kurve bekam und die vorhersehbare und mit Logiklöchern gepflasterte Storyline rund um Opies Frau Donna vergessen ließ, begann die zweite Staffel mit der Ankunft von Ethan Zobelle und dessen Gefolge durchaus vielversprechend. Spätestens als dann auch noch Gemma von AJ Weston und Co. vergewaltigt wurde, deutete alles darauf hin, dass nun die Hölle los sein und die Storyline rund um die League Of American Nationalists (LOAN) wahrlich großartig sein würde. Doch was geschieht? Eine Frau wie Gemma, die selbstbewusster und stolzer kaum sein könnte, verkommt nach einer Vergewaltigung zu einem unsicheren Wrack. Das ist zwar im Grunde die einzig logische Konsequenz, jedoch ist die Art und Weise, wie man in der Folge ihr Schicksal darstellte, mehr als enttäuschend. Dabei geht es natürlich auch darum, dass sich Gemma wie gefühlte 99% aller TV-Frauenfiguren nach einem derartigen Vorfall verhält, und dass insbesondere ein Charakter wie Gemma mit einer derartigen inneren Stärke dazu fähig sein sollte, ihr Gefühlsleben entweder gut genug zu kaschieren oder allen die Wahrheit zu sagen, da es ohnehin früher oder später rauskommt. Aber nein, Gemma sagt selbstverständlich niemandem was, denn das spart man sich aus plottechnischen Gründen für später auf, wenn der Zusammenhalt des Clubs in Gefahr ist. Gleichzeitig verhält sie sich aber derart offensichtlich, dass man sich schon die Frage stellen muss, ob weder Clay noch Jax oder der Rest von SAMCRO jemals eine Fernsehserie mit einem derartigen Plot gesehen haben. Denn ein realitätsgetreuer Umgang mit einer Vergewaltigung ist das nur bedingt.
Dabei ist ihr Zusammenbruch in der berühmten "Auto-Szene" geradezu kennzeichnend für teilweise zu gut gemeinte schauspielerische Leistungen: Gemma reagiert vollkommen über und trotzdem scheint vor allem Clay kaum Verdacht zu schöpfen. Dazu kommt das Overacting von Katey Sagal, das ihre ansonsten tadellose Performance die gesamte Staffel über leider Gottes doch deutlich schmälert. Zudem ist die Storyline auch dafür "gut", eine andere Schwäche der zweiten Staffel deutlich zu offenbaren. Bis jetzt ist es Kurt Sutter und seinem Team nicht gelungen, über einen längeren Zeitraum die Balance zwischen Tragik und Humor zu schaffen. Insbesondere Tig (und mit Abstrichen Half Sack) kommt immer wieder die undankbare Aufgabe zu, mit infantilem Witz jegliche Dramatik zu zerstören. Und so muss es kommen, wie es kommen muss. Gerade als der vermeintliche Höhepunkt der Gemma-Storyline erreicht ist – sie beichtet die Vergewaltigung Jax und Clay – müssen im unpassendsten Moment einmal wieder Tig und Half Sack in einer absolut dämlichen Situation hervorgekramt werden und die Stimmung zugrunde richten.
Jedoch ist Gemmas Storyline mit Sicherheit nicht der einzige Kritikpunkt an der zweiten Staffel. Vor allem das Beziehungsdrama rund um Jax und Tara kann einen Großteil der Zeit nur zu Augenrollen führen, so soapig und vorhersehbar war sie. Aus der selbstbewussten Ärztin wird ein eifersüchtiger Teenie, der keine Dummheit umgeht, um beweisen zu wollen, dass sie die Richtige für Jax ist. Nicht gerade ein Beispiel für gute Charakterzeichnung. Ganz allgemein wird man manchmal den Eindruck nicht los, dass "Sons of Anarchy" im Grunde viel zu oft ein stinknormales vorhersehbares Drama ist, das sich lediglich durch unzählige Realisierungen von Männerfantasien von seinen meist mittelmäßigen Genrevertretern unterscheidet.
Das Finale der zweiten Staffel war dann schließlich ein Machwerk, das sich vor Logiklöchern kaum retten konnte. Wie war es überhaupt möglich für Zobelle, trotz kaputtem Reifen vor SAMCRO mühelos zu fliehen? Weshalb ist der Ire mit Baby auf dem Arm so viel schneller als alle anderen und welchen Sinn hat es überhaupt, das Baby zu kidnappen? Weswegen sind die Sons, als sie von dem Kidnapping von Jax' Sohn erfuhren, geschlossen gegangen und nicht wenigstens einer zurückgeblieben, der Zobelle hätte zur Strecke bringen können? Wie konnten sie ihm überhaupt gefährlich werden, wo er doch eigentlich als Fed-geschützt galt? Wieso hat SAMCRO noch nie was von der Küstenwache gehört? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und zeigt, zu welchen Mitteln Sutter und Co. bereit sind, um Dramatik zu überzeugen, selbst wenn diese weder logisch noch realistisch ist.
Nach all der Kritik muss aber natürlich festgehalten werden, dass "Sons of Anarchy" trotzdem meilenweit davon entfernt ist, eine wirklich schlechte Serie zu sein. Wenn jedoch Episoden und Momente, die eine außerordentliche Qualität aufweisen und gleichzeitig das Potential aufzeigen, das die Serie eigentlich hätte, sich mit derartigen Schwächen abwechseln, dann ist das vor allem eines – sehr sehr schade. Immer wieder blitzt die eigentliche Genialität der Serie auf und macht Hoffnung auf mehr. Deswegen wiegen die negativen Punkte auch ungleich schwerer, weil man trotz alledem noch mehr erwartet. Kurzum ist die zweite Staffel von "Sons of Anarchy" insgesamt durchaus als enttäuschend zu bezeichnen, auch wenn es zahlreiche Staffeln anderer Serien gibt, die enttäuschender waren. Dennoch musste die Serie mit dem wohl größten verschenkten Potential an dieser Stelle entsprechend aufgeführt werden, wenn auch ganz hinten. Platz 10 daher für die zweite Staffel von "Sons of Anarchy" in der Hoffnung, dass eine Nennung der dritten Staffel in einer Flop-Kategorie nicht mehr nötig sein wird.
Andreas K. - myFanbase
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