Review: #2.03 Auf dünnem Eis
Das storytechnisch und schauspielerisch ohnehin schon hohe Niveau von "Taras Welten" steigert sich in der zweiten Staffel weiterhin von Folge zu Folge, was vor allem einer unvergleichlich gut aufgelegten Toni Collette zu verdanken ist, die ihren verschiedenen Rollen hier mit einer wunderbaren Natürlichkeit Herz und Leben einhaucht. Aber auch John Corbett bekommt endlich mal die Möglichkeit, richtig aus sich herauszugehen, als Max den Auslöser für einen längst überfälligen Ausraster präsentiert bekommt. Die Nebenhandlungen bieten zusätzlich erstaunliche Momente, die die skurrile Mischung aus Comedy und Drama der Serie abrunden.
Sex-addicts, tweekers, alcoholics, oxymorons – it's always the disease's fault, isn't it, never just someone bein' an asshole
Die Episode beginnt mit einer typischen Aufnahme Taras für ihr Videotagebuch, ihrem einzigen Vertrauten, dem Tara sich völlig öffnet. Diese Szenen zeigen immer die ungeschminkte Wahrheit, die Toni Collette mit absoluter Uneitelkeit spielt. Diesmal gibt Tara unumwunden zu, dass sie ihre Familie zum ersten Mal anlügt. Sie weiß, dass ihre Spaltpersönlichkeiten öfter gelogen haben, sie aber hat Max noch nie verschwiegen, dass ihre anderen Persönlichkeiten zum Vorschein gekommen sind. Sie meint, sie schütze Max damit vor einer großen Enttäuschung, denn er kümmert sich ja mit aller Sorgfalt - Sheriff, der er immer war - um ihre Einnahme der Medikamente. Müsste sie sich und ihre Spaltpersönlichkeiten nicht aber gut genug kennen, um zu wissen, dass sich nicht verheimlichen lässt, was sie tun?
Max und die Harmonie ihrer Ehe beschützen zu wollen, ist wahrscheinlich nur einer von mehreren Aspekten, die Tara dazu bringen, Bucks Auftauchen und seine Affäre zu verheimlichen. Tara beginnt nämlich kurz darauf, sich damit auseinander zu setzen, was heterosexuelle Frauen dazu verleitet, homosexuelle Erfahrungen machen zu wollen. In der Szene, als Charmaine Tara und dem Nachbarn die Haare macht, sprechen sie über das Erkunden und Verstehen der eigenen Sexualität. Und Tara wird sichtlich nachdenklich, als zum einen Charmaine andeutet, Frauen würden ihre Neigungen häufig in den Wechseljahren hinterfragen, und als zum anderen Ted sagt, man müsse alle möglichen Erfahrungen machen, um sich der eigenen Sexualität wirklich sicher sein zu können.
Kurz nach diesem Gespräch macht Tara sich auf den Weg zu Pammy, und da sie versucht, Buck nachzumachen, wird klar, dass sie offensichtlich ausprobieren will, wie es zwischen Buck und Pammy läuft. Sie will wissen, ob Buck einen von ihr heimlich unterdrückten Wunsch auslebt.
Wie Toni Collete Tara spielt, die ihrerseits versucht, Buck zu spielen, ist Schauspielkunst pur. Ohne Zweifel überzeugt Toni Collete als Buck, dem Veteranen aus dem mittleren Westen mit Vorliebe für Bier und Pornos, seit dessen erstem Auftauchen. Tara hingegen spielt Buck überhaupt nicht überzeugend, und es ist ein herrliches Vergnügen, ihr dabei zuzuschauen, wie sie auf holprige Art ihr Bestes gibt, um lässig und männlich zu wirken, während man ihr aber an der Nasenspitze ansieht, wie übertrieben sie ihre eigene Darstellung findet.
Pammy merkt zwar nicht sofort, dass Buck nicht so ist, wie sonst, dafür merkt Tara aber sehr schnell, dass sie Pammy nicht küssen kann. Ob damit geklärt ist, dass in ihr keine unterdrückte Vorliebe für Frauen wohnt oder ob sie Max nur nicht absichtlich fremdgehen kann, bleibt noch offen. Denn Pammy, die schon viel Pech mit Männern hatte, reagiert verständlicherweise hochgradig verletzt und enttäuscht und hält Taras Erklärung über ihre psychische Störung für eine Ausrede und ein Abwälzen der Schuld, wie sie es von Alkoholikern, Lügnern u.a. gewöhnt ist. Dass sie dabei "Oxymorons" (Ausdruck aus der Rhetorik, der die Verbindung zweier sich widersprechender Begriffe meint) als Gruppe von Leuten verwendet, die ihre Sucht als Entschuldigung für ihr Verhalten benutzen, unterstreicht nur, wie liebenswert dieser einfache, aber herzliche und liebeshungrige Charakter ist.
All I've ever done is be good to you
Beim familiären Ausflug zum Eislaufen erlebt man die Ruhe vor dem Sturm und dafür hätte kaum ein besserer Wohlfühl-Soundtrack als "Get down on it" von Kool & the Gang gewählt werden können. Dann aber bricht der Damm, als Pammy Buck über das Mikrofon eine Liebeserklärung macht. Ihr ist es egal, ob sie mit Buck oder Tara glücklich wird, sie denkt auch nicht weiter über Taras psychische Störung nach, sie weiß nur, sie hat den richtigen Menschen gefunden, und das ist Buck/Tara.
Während die Kinder und Charmaine das entstehende Chaos eher so betrachten, dass in ihrer Familie nun wieder alles beim Alten ist, setzt bei Max nun erstmalig alles aus. In der ersten Staffel sahen wir einen Mann mit einer schier endlosen Geduld. Die Eskapaden seiner Kinder, die nun wirklich nicht unwesentlich waren, die Abenteuer der Spaltpersönlichkeiten, die Situationen mit Charmaine und den Schwiegereltern, nichts schien diesen perfekten Ehemann aus der Ruhe bringen zu können. Sein Temperament deutete sich leicht an, als Tara sich mit Trip Johansson traf, von dem sie glaubten, er habe Taras Störung durch eine Vergewaltigung ausgelöst, aber auch da blieb Max halbwegs beherrscht.
Jetzt aber wird Max klar, dass er hintergangen wurde, und das kann er nicht hinnehmen. Zum Glück allerdings hat er auch gleich schon ein passendes Ventil, denn einer seiner Kumpels hat ihn um sein Geld betrogen und den sucht er auf. Als dieser sich dann auch noch mit einer bodenlosen Arroganz aus der Affäre ziehen will, lässt Max seinen Gefühle freien Lauf und schlägt den Kumpel zusammen.
People surprise you
Max dachte, Tara wäre ein Beispiel dafür, dass Leute sich dauerhaft verändern und damit ihre Mitmenschen positiv überraschen können. Er hat seine Erwartungen dadurch sehr hoch geschraubt und fällt nun umso tiefer, als er negativ überrascht wird. Tara steht nun völlig allein gelassen vor dem Scherbenhaufen des Moments und weiß nichtmals mehr wirklich, wer sie ist. Vor den beiden Toilettentüren für Herren und Damen bleibt sie stehen und zögert. Ihrer Mimik nach vollzieht sich ein Persönlichkeitswechsel, und sie geht in die Herrentoilette. Dort hinter verschlossener Kabinentür aber beginnt sie zu weinen, weshalb ich annehme, dass wir dort Tara sehen. Buck hätte eigentlich keinen Grund zu weinen. Eine Möglichkeit ist, dass Tara resigniert hat, und dass sie, da sie zuvor Buck eh bereits nachgeahmt hatte, hier bewusst in seine Haut schlüpft, da sie nicht sie selbst sein und sich mit dem Scherbenhaufen auseinandersetzen will. Es wäre aber auch möglich, dass aus demselben Grunde wirklich ein Wechsel stattgefunden hat, die Verzweiflung in ihr aber doch stark genug ist, um auch Buck zum Weinen zu bringen.
You never know if you have a talent for something until you actually do it
"Taras Welten" ist nicht nur für außergewöhnlich starke Frauen bekannt, sondern auch für forsche. Durch die Figur von Marshalls neuer Freundin Courtney wird erstmal mit dem Klischee aufgeräumt, nur männliche Pubertierende dächten ständig an Sex. Courtney erklärt dem ein wenig peinlich berührten Marshall hier auf dem Schulhof unumwoben, dass sie kaum an etwas anderes als an Sex denke und es kaum erwarten kann, Erfahrungen zu machen. Selbiges wird dann auch schon kurz später auf dem Dachboden der Schulaula nachgeholt, wo die beiden 15-Jährigen einander in einer skurril ungemütlichen Szene gegenseitig mit der Hand befriedigen. Als Zuschauer empfindet man dabei offensichtlich mehr Scham als beide Teenager zusammen, wobei Marshall eigentlich nur völlig desinteressiert wirkt, während Courtney mit ihrer herrlich natürlichen und naiven Art genießt, was geschieht, und dabei auch gar nicht merkt, dass Marshall sie zwar lobt, es aber offensichtlich gar nicht so meint.
I like my new friends more than I like numbers on a piece of paper
Kate wird von Lyndas Welt angezogen wie die Motten vom Licht. Sie liebt das Laissez-Faire der Hippiefrau und den Haschkonsum, der durch den Sohn aus reichem Hause, der zu Lyndas Freundeskreis gehört, ermöglicht wird. Recht schnell war klar, dass Kate ein Abbild der von Lynda erschaffenen Comic-Prinzessin Valhalla Hawkwind ist, und in dieser Folge durfte man Kate dann auch bereits im Kostüm bewundern. Wo das alles noch hinführen soll, ist mir noch schleierhaft, aber da Kate bereits anfängt, die Abgabe von Lyndas 5.000 Dollar-Scheck an ihre Firma in Frage zu stellen, weil sie ihre neuen Freunde so sehr ins Herz geschlossen hat, ist es durchaus möglich, dass sie bald schon Prinzessin Valhallas Superkräfte benötigen wird, um sich ihr Geld zu verdienen.
Fazit
Die zweite Staffel hat sofort Fahrt aufgenommen und man ist nach jeder Episode unheimlich gespannt, wie es weitergeht. Auch wenn die Nebenhandlungen nicht so interessant sind wie die Haupthandlung, so bin ich sicher, dass sich ihr Sinn für das Gesamtbild noch ergeben wird. Toni Collettes großartige Darstellung wiegt aber wieder so schwer, dass sie einen Punktabzug aufgrund der Nebenhandlungen ausgleicht, weshalb ich der Episode die volle Punktzahl gebe.
Nicole Oebel - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: The Truth HurtsErstausstrahlung (US): 05.04.2010
Erstausstrahlung (DE): 21.04.2011
Regie: Adam Davidson
Drehbuch: Tracy McMillan
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