Review: #1.01 Gute alte Zeit
Fahler Asphalt. Ein Pferd tritt ins Bild. Auf seinem Rücken sitzt ein Mann, bis an die Zähne bewaffnet. Sein Gesicht: Entsetzen, Angst, Ungewissheit. Er zögert kurz, fordert das Pferd dann mit einem Schnalzen auf, weiterzugehen. Die Kamera dreht sich um 180 Grad, schwenkt nach oben: Vor dem Reiter erhebt sich eine riesige, dunkle Stadt am Ende des Highways, eine Geisterstadt, über der die Raben kreisen. Es herrscht Totenstille, nur das Klacken der Hufe ist zu hören. Ein Bild der totalen Verwüstung.
Willkommen bei "The Walking Dead". Die apokalyptische Horrorvision von Robert Kirkman und Tony Scott hat den Sprung vom Comic ins Fernsehen geschafft und ein Zuhause auf dem Kabelsender AMC gefunden, dem aufstrebenden Stern am US-Senderhimmel, der sich mit herausragenden Formaten wie "Mad Men" oder "Breaking Bad" einen Namen gemacht hat. Mit "The Walking Dead" will man sich nun in neue Gefilde wagen und um das Experiment möglichst zum Erfolg zu bringen, wurde niemand Geringerer als Frank Darabont an Bord geholt. Der Regisseur, Autor, Produzent und dreifache Oscarnominee sollte sich des Comicmaterials annehmen und daraus eine Serie kreieren. Keine einfache Aufgabe bei einer Graphic Novel, die einen Eisner Award in der Tasche hat und hinter der eine große Fangemeinde steht. Doch Darabont war, wie dieser Pilot eindrucksvoll beweist, die perfekte Wahl.
Darabont schafft es in "The Walking Dead", dem totgeglaubten Zombiegenre wieder Leben einzuhauchen. Mit erstaunlicher Komplexität versucht die Serie zu beleuchten, was wir tun würden, wenn die Welt, wie wir sie kennen, plötzlich radikal auf den Kopf gestellt wird und es nur noch ums nackte Überleben geht. Die Zombies stehen dabei eigentlich nicht im Zentrum, sondern sind Mittel zum Zweck. Das wahre Motiv der Geschichte ist vielmehr die Erforschung menschlicher Grenzen: Wie weit würden wir gehen, wenn der Tod unser Leben beherrscht? Ab wann ist Mord aus Mitleid gerechtfertigt und wann ist Mord einfach nur Mord? Was ist Moral wert in einer Welt, in der es keine Gesetze gibt?
Um dies zu ergründen, konzentriert sich die Serie auf ihre Charaktere, allen voran Rick Grimes, der mit dem Briten Andrew Lincoln sehr gut besetzt wurde. Als Protagonist ist er im Piloten quasi in jeder Szene zu sehen und Lincoln wird dieser Aufgabe absolut gerecht. Seine Gestik und Mimik genügen, um den Zuschauer mit der Verwirrung, dem Grauen und der Panik, die Rick durchlebt, anzustecken. Ganz hervorragend, aber bislang leider nur als Nebendarsteller gelistet, ist Lennie James, dessen Darstellung des Morgan Jones einem bis ins Knochenmark geht. Jones ist Grimes' erster Verbündeter im Kampf gegen die Zombies und hat seine Frau an die Epidemie verloren, die nun als Untote jede Nacht versucht, zurück in sein Haus zu gelangen. Er sorgt für eine der stärksten Szenen, als Jones versucht, mit einem Gewehr seine zum Zombie gewordene Frau zu erschießen, es jedoch nicht übers Herz bringt.
Die Zombies – oder "Walkers", wie sie in der Serie genannt werden – sind natürlich ein integraler Bestandteil von "The Walking Dead" und verfehlen ihre Wirkung nicht. Die Kostüme und das Make-Up sind unglaublich authentisch und machen die Zombies selbst bei Tageslicht zu schauderhaften Kreaturen. Dabei nutzt Darabont die Freiheiten, die er aufgrund des Kabelsenders AMC genießt, um richtig viel Blut fließen zu lassen: Gehirnmasse spritzt durch die Gegend, Innereien landen dort, wo sie nicht hingehören und es explodieren mindestens zwei Dutzend Köpfe. Doch es ist vor allem das postapokalyptische Setting, das völlig atemberaubend ist. Die zu Beginn skizzierte Szene ist nur eine von vielen im Piloten, die dem Zuschauer regelrecht eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Darabont beweist zum wiederholten Mal sein Auge für großartige Kameraeinstellungen und fängt die allgegenwärtige Stimmung der Trostlosigkeit, der Leere und der Zerstörung hervorragend ein. Selten war ein Pilot visuell so ansprechend (und eklig) wie dieser.
Es ist jedenfalls ganz klar: Mit "The Walking Dead" könnte AMC ein weiterer großer Coup gelingen. Bei diesem Pilot stimmt einfach alles: Er ist aus schauspielerischer, dramaturgischer und kinematographischer Hinsicht absolut gelungen und macht Lust auf die Fortsetzung. Er zeigt auch die Zweideutigkeit des Titels auf, der sich nicht nur auf die wandelnden Zombies bezieht, sondern gewissermaßen auch fragt, inwiefern man noch lebendig ist und menschlich sein kann, wenn alles um einen herum tot ist. Wenn sich "The Walking Dead" weiterhin auf dieser subtil philosophischen Ebene bewegt und dabei gleichzeitig spannende Horroraction und menschliches Drama bieten kann, hat AMC wieder ein weiteres Werk erschaffen, das die qualitative Spitzenposition des Senders rechtfertigt.
Maria Gruber - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Days Gone ByErstausstrahlung (US): 31.10.2010
Erstausstrahlung (DE): 11.05.2012
Regie: Frank Darabont
Drehbuch: Frank Darabont
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