Bewertung

Review: #2.21 Das Urteil

Endlich, endlich! Nach etlichen Folgen des Hinauszögerns, der sich anhäufenden unverbundenen Storylines und unbefriedigenden Unübersichtlichkeit zaubern Rob Thomas und die Seinen mal wieder eine richtig gute Folge aus dem Hut und verdichten Handlungen, führen sie zusammen und schließen sie (fast) ab. Der Grundstein für ein grandioses Finale wird mit dieser Folge unzweideutig gelegt.

Nur eine Frage des Preises

Wieder einmal wird uns hier vor Augen geführt, dass sich in Neptune eben doch alles kaufen lässt: sogar Freiheit. Beinahe ein Jahr nach dem Abschluss der ersten Staffel wird der Fall um Lily Kane und ihren Mörder Aaron Echolls hier auf spektakuläre Weise zu den Akten gelegt. Und wer geglaubt hat, dass Rob Thomas seine Prinzipien über Bord wirft und endlich einmal einen berühmten und reichen Bürger Neptunes hinter Gitter bringen lässt, der hat sich ganz gewaltig geschnitten. Stattdessen benutzt er diese Gelegenheit, um uns zu zeigen, wie unfähig das amerikanische Gerichtswesen ist und dass alles, was man voreinander verheimlicht, irgendwann einmal zurückkommt, um einen (entschuldigt den Ausdruck) in den Arsch zu beißen.

So unsympathisch Aaron und sein Anwalt auch sein mögen, sie haben letztlich die Unfähigkeit von Veronica und Keith ausgenutzt, sowie Logan für seine bislang dümmste Aktion bezahlen lassen. Indem sie alles hervorholten, was sich so an Schmutz und Geheimnissen um diese Drei in den letzten zwei Jahren angesammelt hat, konnten sie eine von vornherein beeinflusste Jury davon überzeugen, dass jemand, der Vorstrafen und eine Geschlechtskrankheit hat, automatisch eher der Lügner ist, als ein Filmstar. Schamlos wird uns in dieser kurzen Szene eine Moral nach der Anderen um die Ohren gehauen. Die Rechtsprechung ist unfähig, wer Geheimnisse voreinander hat, wird irgendwann für sie bezahlen müssen und ein mal gefestigt geglaubter Status wird niemals aufgegeben. Eine wunderschöne und zugleich entsetzliche Inszenierung findet hier ihren Höhepunkt: fantastisch gemacht und unzweifelhaft eines der - wenn nicht das Highlight dieser Staffel. Bezeichnend wiederum für diese Staffel, dass sich ihre Highlights so häufig auf die vergangene Staffel stützen und nicht innerhalb dieser Staffel kreiert werden konnten.

Eine Anmerkung sei zu diesem Bereich noch erlaubt: Veronica wirft in einer, mit positiver Grundstimmung gefärbten Szene ihre Zukunft weg. Um Rache zu üben – oder, wenn man es positiver formulieren will, der Gerechtigkeit beizuwohnen – lässt sie die Chance verstreichen, nach Stanford zu gehen. Denn es dürfte uns allen klar sein, dass Keith nicht in der Lage sein wird ihr Studium dort zu bezahlen, selbst wenn man sie mit einem Totalausfall in ihren SATs dort noch annehmen würde. Auch hier wieder eine Szene, die ein wenig untergeht, aber in meinen Augen dadurch noch an Tiefe gewinnt. Für Veronica ist es selbstverständlich sich diese Chance nicht entgehen zu lassen, einen Todfeind bei seiner Verurteilung zu sehen, auch wenn es bedeutet, dafür unsägliche Konsequenzen zu tragen. Hier wird wieder einmal gezeigt, dass ihr Gerechtigkeitssinn ihrem Verstand manchmal eben doch um einige Ebenen überlegen ist.

Mr. Goodwood

Wie es richtig guten "Veronica Mars"-Folgen zu eigen ist, begnügt sich auch diese nicht damit, einen hervorragenden Höhepunkt zu erschaffen, sondern sie lässt es gleich richtig krachen. Wie ich schon in vergangenen Reviews erwähnt habe, ist Woody Goodman einfach unheimlich und hat eindeutig Dreck am Stecken. Tja, in dieser Folge zeigt sich, dass es sogar noch viel schlimmer ist. Der erst vor einigen Folgen (eigentlich erst letzte Folge) eingeführte Lucky besorgt hier den Wendepunkt, der den Bürgermeister zu Fall bringt. Dass er ein Kinderschänder ist, ist die bei weitem schlimmste Anschuldigung, die jemals in dieser Serie umhergeworfen wurde und geht in dieser Folge beinahe ein wenig unter.

Auch die tragische Figur des geschundenen Lucky (beinahe makaber, dass die Schreiberlinge diesen Spitznamen für ihn wählten) gerät hier fast ein wenig in Vergessenheit. Als Kind sexuell missbraucht, dann in den Krieg geschickt und schließlich nur noch auf der Verliererstraße und als Hausmeister der High School beinahe als menschlicher Abfall betrachtet. Beinahe ein zu überspitzter Fall, der hier aber dem Augenöffnen dienen soll. Dass dann auch noch sein Peiniger nach seinem Tod mit einer betroffenen Miene vor die Öffentlichkeit tritt und behauptet, man könne niemals verstehen, was in einem solch gestörten jungen Mann vorgeht und ihn dazu treibt, in der Schulcafeteria auszurasten, bringt einem fast die Galle hoch. Und so makaber und niederschmetternd diese Story auch ist, so fantastisch ist sie inszeniert und so hervorragend dient sie genau dem Zweck dieser Serie: nämlich der sozialen Kritik. Schade dass eine solche Tragödie nicht mehr Zeit bekam sich anzubahnen, sondern dass stattdessen Wochen und Monate für vor sich hin plätschernde Folgen verschwendet wurden.

Herdenverkleinerung

Außerdem schafft es diese Folge endlich einmal, die Zahl der Verdächtigen im Buscrashfall zu verringern und nicht zu erhöhen.

Terrence Cooks Freiheit wird von jemandem ergaunert, dem sie nun stattdessen gehört – der tragische Fall eines ehemaligen Sportheroen wurde zwar in der Staffel an sich immer wieder offensichtlich dargestellt, findet aber auch erst nach langer Vergessenheit in einer mit Handlungen vollgepackten Folge seinen Abschluss. Kurzes Resümee seiner Karriere? Baseballsuperstar – Spielsüchtiger – Mordverdächtiger – Leibeigener eines Spielcasinokartells. So schnell kann's gehen, es kann ja nicht bei jedem so flutschen wie Aaron Echolls. Dass einer der ganz Wenigen, die es nicht schaffen, das Gesetz zu umgehen oder es einfach dadurch niederzureißen, dass sie es mit Geldbündeln bewerfen, ausgerechnet ein Schwarzer ist, ist eine Andeutung, deren Interpretation ich euch überlasse.

Außerdem wird durch die Entdeckung der Opfer Woodys eigentlich wieder einmal spontan jeder andere Verdacht beiseite geräumt. Das erging uns letztes Jahr nicht anders, als kurz vor dem Finale Duncan der einzige Kandidat zu sein schien. Was damals daraus wurde, sollte allen noch im Gedächtnis sein – mal sehen, wie es sich dieses Jahr ergibt.

Schnipsel

In einer so vollgepackten Folge müssen einige Dinge einfach gekürzt werden, deswegen nur ein paar kurze Worte:

- Das Hin und Her zwischen Jackie und Wallace scheint hier sein Ende gefunden zu haben. Sie ist auf dem Weg nach Paris, weil ihr Vater nun nicht mehr für sie da sein kann. Dass sie es nicht übers Herz brachte, Wallace persönlich zu verabschieden, lässt das ganze "gescheiterte Liebe-Szenario" aber noch ein wenig unvollendet.

- Weevil wird als derjenige erkannt, der Thumper überwältigte und nun wird sich Lamb wieder einmal auf ihn stürzen und ihm den Mord an Selbigem unterschieben wollen. Schade, dass Weevils Tragik auch kein Ende findet, denn in dieser Folge hatte er es endlich geschafft, einen Schulabschluss zu machen und sich vor einigen Folgen erst vom Verbrecherdasein abgewandt. Dass es zurückkommen musste, um ihn noch ein letztes Mal heimzusuchen, war ebenso logisch wie traurig.

- Mac und Beaver kommen sich wieder ein wenig näher. Nachdem Beaver in der letzten Folge fast ganz aus dem Blickfeld verschwand und Mac an einen anderen "verschachert" wurde, zeigt sich hier wieder Potential für die Zukunft.

Fazit

Eine hervorragende Vorfinalsfolge, die schon einiges zum Abschluss bringt und anderes soweit zuspitzt, dass es nun endlich zum großen Finale kommen kann.

Ich habe in der Review wahrscheinlich Einiges gar nicht angesprochen, weil es durch die Dichte dieser Folge einfach unter den Tisch gefallen ist. Aber eine solche Storydichte ist immer eine Gratwanderung, die schon in etlichen vorherigen Folgen nicht gut ausging. Hier allerdings schaffen es die Schreiberlinge von Veronica Mars wieder einmal, eine vollgepackte, spannungsgeladene Folge darzubieten, die dennoch nicht überladen oder zu komprimiert erscheint. Die zwei spektakulären Entwicklungen um Aaron Echolls und Woody Goodman sind fantastisch inszeniert und durch die Abstinenz einer CotW auch in geeignetem Umfang dargestellt. Dass eine solche Folge einige Vorbereitungsfolgen, die nicht ganz so stark sind, bedarf, ist natürlich klar, ob man aber wirklich so viele Folge opfern musste, um in einer solchen Spitzenfolge auf alles zurückgreifen zu können, oder ob man nicht lieber einige solide Folgen hätte einstreuen sollen, ist der Beurteilung jedes Einzelnen überlassen. Ich vergnüge mich vorerst mit dieser wirklich hervorragenden Folge: Und vergesst nicht, diese Folge ist noch nicht der eigentliche Gipfel dieser Staffel. Es kommt ja noch die Finalfolge. Ob sie halten kann, was ich mir verspreche und überhaupt mit dieser Folge mithalten kann, wird sich zeigen, vorerst aber schon einmal für diese Folge die Höchstwertung – denn viel besser kann eine dreiviertel Stunde Fernsehunterhaltung nicht sein.

Martin Schultze - myFanbase

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