Review: #2.22 Nicht anwesend
Das war es also: das große Finale der zweiten Staffel. Besonders bei Veronica Mars etwas ganz besonderes, denn im Vergleich zu vielen anderen Serien ist das Finale einer Staffel bei VM immer der dramaturgische Höhepunkt, der Ort an dem alles zusammenläuft, endlich einen Sinn ergibt und anschließend der Weg für etwas Neues geebnet wird. Sicherlich ist auch bei anderen Serien das Staffelfinale jeweils der absolute Höhepunkt des Jahres, hier ist es aber so, dass die 21 vorangegangenen Folgen meist ein Vorspiel auf diese Dreiviertelstunde sind. Und letztes Jahr war es genial – damit hat Rob Thomas sich einen Maßstab gesetzt, den es dieses Jahr zu überbieten gilt.
Was wäre wenn...?
So werden wir in dieses Finale eingeführt. Die Traumsequenz Veronicas zeigt uns noch einmal, was sich an einem einzigen Tag für sie alles verändert hat. Durch den Mord an Lily Kane wurde ihr Leben gänzlich umgekrempelt und sie lebt seither ein gänzlich anderes Leben. Eben noch eine glückliche, etwas überzeichnete High-School-Schülerin mit ihrem wallenden blonden Haar und ihren beinahe idiotischen Freunden – einen Aschenbecher später eine Privatdetektivin mit Gespür und dem ungehemmten Drang nach Rache... err... Gerechtigkeit.
Für mich ist dieser Einstieg eine wunderschöne Sequenz, denn sie verdeutlicht durch ihre Hommage an die erste Staffel noch einmal, dass sie mit dieser zweiten eng verknüpft war und dieser Doppelstaffelblock nun ein Ende findet und von hier an etwas Neues entsteht. Zwar sehr typisch für die üblichen Serien, sich durch die Graduation von ihrer Vergangenheit zu lösen und dann ein Collegejahr anzuhängen (na, wem fallen in einer Minute weniger als sieben Beispiele ein?), aber dennoch bin ich in solchen Situationen immer ein wenig gerührt. Immerhin habe ich dieses bisherige Leben ja auch zwei Jahre lang verfolgt. Zudem (wenn ich es so drastisch sagen darf) tut dieser Staffel alles gut, was aus der genialen ersten Staffel herübergeschwappt werden kann, denn wenn wir einmal ehrlich sind, kommt sie nicht an deren Qualität heran. Aber um diesen Abschnitt positiv zu Ende zu bringen: ein schöner Ausklang der High-School-Zeit durch den Rahmen, den dieses Zurückdenken mit der Abschlussfeier bildet.
1750 Minuten
In etwa 1750 puren Veronica-Mars-Minuten, nachdem wir zum ersten Mal vom Tod Lily Kanes erfahren haben, findet diese Geschichte ihr Ende in der Ermordung Aaron Echolls. Doch nicht bevor er Veronica gegenüber zum ersten Mal gestand, dass er tatsächlich Lily tötete. Hierbei ist auch der Oscar ganz plötzlich vergessen, denn er gibt zu, es mit dem Aschenbecher getan zu haben. Auch hier mutet die Geschichte doch sehr Staffel-Eins-Revival-ig an; die Wiederkehr Clarence Wiedmans gibt dieser Geschichte einen Hauch nostalgisches Flair und macht den Abschluss in meinen Augen sehr rund. Dass es dann auch noch Duncan Kane ist, der den Mord anordnet, ist noch einmal ein schöner Dolchstoß für all die Duncan-Hasser da draußen (ich weiß, ihr seid viele), der mich persönlich sehr zufrieden stellt.
Aber zurück zur eigentlichen Geschichte – mit der Freilassung Aaron Echolls verliert Veronica ihren unbändigen Glauben, dass alles, was die Gerechtigkeit braucht, ein Schuldiger auf der Anklagebank ist. Wie sie es im Voiceover so schön sagt: "So this is how it is. The innocent suffer. The guilty go free. And truth and fiction are pretty much interchangeable." Sie fasst den Zusammenbruch ihres Gerechtigkeitsglaubens in dieser Szene zusammen. Dass sie das Streben nach Gerechtigkeit nicht verliert, ist wohl jedem klar, aber das werden wir in der nächsten Staffel bestaunen können.
"Not Pictured"
Ein wunderbarer Titel für dieses Finale, denn er enthält neben der direkten Anlehnung an das Bild in der Folge auch die Anlehnung an die gesamte Staffelhandlung bis jetzt: der wahre Schuldige tauchte niemals im Bild auf (also... metaphorisch gesprochen). Er war stets eine Randfigur in einer Staffel, in der so ziemlich jeder einmal das vermeintliche schwarze Schaaf sein durfte. Und wie schon im letzten Jahr soll plötzlich alles einen Sinn ergeben. Der große "Aha"-Effekt kommt zwar auch hier, aber er verfliegt recht schnell und mag nicht die Überzeugungskraft des letzten Finales annehmen.
Trotzdem: für alle, die so manch überflüssige Storyline schon vergessen hatten, wird sie hier noch einmal kurz in Retrospektive zusammengefasst: Beaver brachte Curly Moran um, weil dieser ihm den Sprengstoff gab und daher herausfinden würde, dass er den Bus in die Luft gesprengt hat; den Sprengstoff konnte er sich besorgen, weil er mit einem Mitschüler Kriegsfilme gedreht hat (da müsst ihr weit zurückdenken: das wurde in Folge #1.14 Mars gegen Mars einmal angesprochen); dann sorgte er auch noch dafür, dass sein eigener Vater mit Immobilienbetrug auffliegt (ja, auch das ist lang her: #2.03 Cheatty Cheatty Bang Bang); außerdem erpresste er auch noch Woody, sodass die Incorporation niemals zustande kam und er reich wurde. Außerdem stellt sich nun doch heraus, dass Veronica damals vergewaltigt wurde und zwar von Beaver. Achja und ganz nebenbei erfand er auch noch die Atombombe, verbreitete AIDS in Afrika und ist Schuld am Hunger und Leid aller armen Menschen. Diese Offenbarung auf dem Dach ist meiner Ansicht nach in ganz gewaltigem Maße überzogen und in beinahe Hollywoodesker Manier unlogisch: warum, frage ich mich, gibt in Filmen jeder Bösewicht alles bis ins kleine Detail zu, noch bevor er sich sicher sein kann, dass es vorbei ist?
So oder so: diese Story hatte zumindest ein unvorhersehbares Ende (wenngleich auch die Unvorhersehbarkeit vorhersehbar war). Über die Qualität lässt sich wahrlich streiten, aber es war immer noch eine interessantere Dreiviertelstunde als die meisten anderen im Fernsehen.
LoVe.
Jep, sie ist wieder da: LoVe. Logan eilt Veronica wieder einmal in lebensrettender Absicht zur Hilfe und kann so ihr Herz gewinnen. Während es sich ja schon vorletzte Woche andeutete, dass da wieder etwas zusammenwächst, wird es hier wieder offiziell. Da Veronica ihre letzte Prüfung wegwarf, um sich anzusehen wie der Mörder ihrer besten Freundin freigesprochen wurde und sie noch einen Freifahrtsschein für das Hearst College in Neptune hat (weil sie sich damals in der Jury als Geschworene so hervorragend geschlagen hatte), scheint es offensichtlich, dass sie in Neptune bleiben wird und sich die Dinge zwischen ihr und Logan weiterentwickeln werden.
Aber während eine Liebesgeschichte wieder aufflammt, geht eine andere zuende. Jackie offenbart, dass sie ihre Vergangenheit von Reichtum und Snobbismus größtenteils erfunden hatte und in Wirklichkeit ein One-Night-Stand Kind aus der Bronx ist. Mit einem zweijährigen Sohn. Harter Tobak für Wallace, der da aus dem nirgendwo auf ihn eingeprasselt kommt. Aber ein wirklich interessanter Aspekt: Veronica behauptet, es gewusst zu haben. Im Verlauf der ersten Staffel hatte sie noch alles über die Freundin Keiths herausgefunden und ihm aufgetischt. Hier weiß sie seit Wochen, wenn nicht Monaten von Jackies Vergangenheit und Zukunft und sagt Wallace kein einziges Wort. Sie verschweigt ihm die Wahrheit, weil er mit einer Lüge besser leben kann, wie sie glaubt. Ein großer und beachtlicher Schritt in Veronicas Entwicklung, der hier beinahe untergeht.
Schnipsel
- Der Cliffhanger für die nächste Staffel wird hier auch gesetzt: Kendall kommt mit einem mysteriösen Koffer zu Keith, bietet ihm einen Job an und versetzt dafür Veronica, mit der er in den Urlaub nach New York fliegen wollte. Sicherlich ein Ansatzpunkt für die nächste Staffel, aber nicht von spektakulärem Ausmaß (es tut mir leid, aber ich muss auch hier wieder den Vergleich zur ersten Staffel ziehen: es ist eigentlich keiner. Der Cliffhanger von der ersten zur zweiten Staffel war einfach bombastisch und ungerecht, der hier ist einfach... Mittelmaß.)
- Duncan lebt in Australien mit seiner Tochter und hat offensichtlich noch Kontakt zur Firma seines Vaters. Kommt er vielleicht nächstes Jahr zurück?
- Weevil wird des Versprechens an seine Großmutter beraubt. Lamb, untaktvoll und unmenschlich wie er ist, gestattet ihm nicht mehr sein Zeugnis entgegenzunehmen und verhaftet ihn wegen des Verdachts auf Mordes an Thumper. Auch hier eine interessante Geschichte, die sich in das nächste Jahr rettet, denn wenn er tatsächlich des Mordes überführt wird, wird er in VM nie wieder auftauchen.
- Der beinahe-Verlust Keiths hat mich sehr schockiert und findet hier nur keinen eigenen Abschnitt, weil er binnen fünf Minuten ausgeräumt wurde. Nicht vorzustellen, wie die gesamte Serie ohne ihn wäre.
Fazit
Ein gutes Finale, dass allerdings in seinem eigentlichen Höhepunkt vollständig überzogen und weit hergeholt anmutet, sich aber mit Hilfe hervorragender Nebenstories retten kann.
Wie schon gesagt: ich finde die Enthüllungen um Cassidy maßlos überzogen. So tragisch, so hart und unfair sein Leben auch hier im Nachhinein scheint, so unüberzeugend wird es hier vermittelt. Wirklich sehr schwach. Die Nebenstories allerdings sind wirklich hervorragend. Der Mordfall um Lily Kane wird definitiv abgeschlossen (immerhin gesteht Aaron noch, bevor er hingerichtet wird) und auch für alle LoVe-Shipper gibt es wieder einmal wirklich gute Neuigkeiten. Allerdings muss ich sagen, dass als Ganzes betrachtet, dieses Finale wie eine misslungene Kopie des Vorjahresfinales wirkt. Wie schon letztes Jahr wurde mit Verdächtigungen umhergeworfen bis zur letzten Sekunden und es gab eine dramatische Enthüllung in der Veronica um ihr und um das Leben ihres Vater fürchten musste. Logan kommt zu Veronica und ihre Liebe beginnt erneut. Kommt euch alles bekannt vor? Mir auch. Hoffen wir nur, dass die Serie im Verlauf ihrer dritten Staffel nicht noch weiter abbaut, sondern stattdessen wieder an die geniale erste Staffel erinnert. Das war's... wir sehen uns, wann es das ZDF will!
Martin Schultze - myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Not PicturedErstausstrahlung (US): 09.05.2006
Erstausstrahlung (DE): 20.10.2007
Regie: John T. Kretchmer
Drehbuch: Rob Thomas, John Enbom
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