Bewertung

Review: #1.01 Entgleist

Foto: S. Epatha Merkerson & Oliver Platt, Chicago Med - Copyright: Elizabeth Sisson/NBC
S. Epatha Merkerson & Oliver Platt, Chicago Med
© Elizabeth Sisson/NBC

Nach "Chicago PD" schicken Dick Wolf und sein Team nun das zweite Spin-Off der Erfolgsserie "Chicago Fire" ins Rennen, das nun das dritte Rettungsteam, nämlich die Ärzte und das Krankenhauspersonal, in den Mittelpunkt stellt. Und wie auch "Fire" und "PD" setzt Dick Wolf auch bei "Chicago Med" nicht auf eine langsame Einführung der Serie, sondern startet mit einem Knall, genauer gesagt mit einem größeren Bahnunfall, der die Notaufnahme des Krankenhauses von Chicago an ihre Grenzen bringt.

"Is every day like this?" – "Some days, we're busy."

Nachdem die Notaufnahme des Krankenhauses von Chicago durch eine Bombe zerstört wurde, wird sie nun wieder eröffnet und das mit einer Ansprache des Bürgermeisters. Doch gerade als die Rede beendet ist, fängt bei allen Ärzten der Pager an zu piepen, ein Bahnunfall fordert viele Opfer und bringt die neue Notfallabteilung an ihre Grenzen. Mit diesem Szenario sorgen die Macher von "Chicago Med" dafür, dass der Zuschauer sich gleich mitten im Geschehen befindet und sich ein Bild davon machen kann, wie die Ärzte der neuen Serie unter Druck arbeiten. Einerseits bringt man so schön Spannung und Action in die Folge, andererseits hat man es aber auch geschafft, ganz viele Emotionen in die Fälle einfließen zu lassen, so dass der Zuschauer mit jedem einzelnen Patienten, Angehörigen und Arzt mitfiebern kann.

Im Zusammenhang mit dem Bahnunfall müssen sich die Ärzte der Notaufnahme von Chicago mit einem verletzten Mädchen und einem lebensgefährlich verletzen Mann sowie mit einer schwangeren Frau, die eine schwere Kopfverletzung davongetragen hat, auseinandersetzen. Dabei werden bei jedem Patienten verschiedenen Themen angeschnitten, die in einem Krankenhaus sicherlich öfters auftauchen und nicht immer ganz einfach zu handhaben sind, da es oft nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern eben auch Grauzonen gibt. Da ist beispielsweise die schwangere Frau, die eine schwere Kopfverletzung erlitten hat und somit in Lebensgefahr schwebt. Dem ungeborenen Kind geht es vorerst noch gut, doch wird kurz durch Will Halstead angesprochen, was passieren wird, wenn die Frau sterben sollte. Man müsste sie in dieser Situation künstlich am Leben erhalten, damit der Fötus sich weiterentwickeln kann, bis er soweit ist, das Licht der Welt zu erblicken. Eine Methode, die in einer Diskussion sicherlich diverse Pro und Kontras hervorbringen würde, in der Episode aber nicht weiter thematisiert wird, da sich bei dem Fall plötzlich ganz neue Probleme auftun. Denn wie sich herausstellt, ist die Frau eine Leihmutter und hat mit den biologischen Eltern des Kindes einen Vertrag abgeschlossen, der nicht nur die Vormundschaft des Kindes nach der Geburt regelt, sondern den biologischen Eltern auch jegliche Entscheidungsrechte über die Leihmutter gibt. So stehen diese Eltern plötzlich vor der schwierigen Entscheidung, ob sie versuchen der Leihmutter das Leben zu retten und dafür das Leben des ungeborenen Kindes gefährden, oder ob sie das Risiko eingehen, dass ihre Leihmutter sterben wird, dafür das Kind aber überlebt. Wahrscheinlich hätte man bereits mit diesem einen Fall eine ganze Folge füllen können, gibt es ja schon bei dem Thema Leihmutter so einige Aspekte, die moralisch bedenklich sind und wenn man nachher noch diesen Vertrag bedacht oder die Entscheidung, welche die werdenden Eltern zu fällen haben, gibt es da sicherlich genügend Stoff für eine Folge einer TV-Serie. Natürlich wird aber in einer Krankenhausserie wie "Chciago Med" nicht nur ein Fall behandelt, sondern eben mehrere, und aus dieser Perspektive wurde die vorgenannte schwierige Thematik wirklich sehr gut gelöst. Man konnte trotz der beschränkten Screentime spüren, wie sehr die werdenden Eltern mit ihrer Entscheidung hadern und auch die Emotionen der Ärzte, die bei einem solchen Fall sicherlich auftauchen, wurden schön thematisiert, indem ihnen eben auch die rechtlichen Grenzen aufgezeigt werden und ein persönliches vernünftiges Gespräch manchmal eben durchaus mehr bringen kann, als Vorwürfe.

Der zweite Fall, der im Mittelpunkt steht, handelt von dem kranken Jamie, der schon seit langer Zeit auf eine Lungenspende wartet und gerade zu dem Zeitpunkt, in dem die Notfallstation sowieso schon am Rande ihrer Kapazitäten arbeitet, ins Krankenhaus eingeliefert wird. Durch seine wiederholenden Aufenthalte ist er dort schon bekannt und vor allem Dr. Daniel Charles unterhält zu ihm eine väterliche Beziehung, was diesem Charakter schön etwas Tiefe verleiht, doch dazu später mehr. Der Fall um Jamie wird zum Schluss sehr schön mit dem schwerverletzten jungen Mann des Bahnunfalles verbunden, welcher stirbt und für eine Organspende in Frage kommt. Auch wieder ein Thema das oft diskutiert wird und bei dem sich die Pros und Kontras die Waage halten. Schön und sehr emotional wird hier aufgezeigt, wie schwierig es ist, wenn erstens die Angehörigen so schnell nach dem Tod eines geliebten Menschen eine Entscheidung über eine Organentnahme treffen müssen, zweitens aber damit jemand anderem das Leben retten können und somit in gewisser Weise dem Tod "einen Sinn" verleihen.

Und natürlich konnte auch der Fall um das verletzte Mädchen berühren, was sicherlich vor allem daran lag, dass es sich hier um ein Kind handelt. An diesem Fall hat mir vor allem gefallen, dass wir die behandelnden Ärzte und Schwestern ein bisschen besser kennenlernen durften und ihre Menschlichkeit schön in den Mittelpunkt gestellt wurde, sei es bei der Behandlung des Mädchens selber, wie auch bei der Suche nach ihrem Vater, der in ein anderes Krankenhaus eingeliefert wurde.

"I just broke a little girls rips." – "Reese, you saved the girls life."

Ich muss ehrlich gestehen, dass die Serie mich mit dem Casting von Nick Gehlfuss als Dr. Will Halstead bereits in ihren Fängen hatte, als dann noch Colin Donell zum Cast dazugestoßen ist, wusste ich eigentlich, dass nichts schief gehen konnte. Dass mich aber auch die anderen Castmitglieder, vor allem Torrey DeVitto, die ich eigentlich sonst nur als die verhasste Crazy-Nanny Carrie aus "One Tree Hill" kenne, so überzeugen kann, damit habe ich nun doch nicht gerechnet.

Während Will Halstead, April Sexton und Daniel Charles bereits in den Serien "Chicago Fire" und/oder "Chicago PD" eingeführt wurden, hatten Connor Rhodes, Natalie Manning, Sarah Reese und Ethan Choi ihren ersten Auftritt in der Pilotfolge. Sharon Goodwin, kennt man bereits aus dem Backdoor-Piloten #3.19 Am Limit, wobei bei ihr dort noch nicht wirklich viel Charakterarbeit betrieben wurde. In dieser Pilotfolge erhält sie doch schon ein wenig mehr Profil und es wird klar, dass sie ihre Position als Krankenhausverwalterin ernsthaft ausführt und die Interessen des Krankenhauses wahrnimmt, dabei aber auch die Gefühle der Ärzte und Patienten nicht aus den Augen verliert. So wird in dem kurzen Gespräch zwischen ihr, dem Krankenhausanwalt und Will Halstead klar, dass sie das Vermitteln zwischen den Ärzten und den Bürokraten hervorragend beherrscht und schließlich durch ihr sehr persönliches Gespräch mit der biologischen Mutter des Babys durchaus auch Lösungsansätze verfolgt, die vielleicht nicht ganz der Norm einer Krankenhausverwalterin entsprechen, sie so aber unbürokratisch Probleme aus der Welt schaffen kann.

Will Halstead dürfte der Zuschauer der beiden anderen "Chicago"-Serien bereits kennenlernen und mir persönlich ist er durch seine manchmal etwas arrogante aber doch liebenswerte und fürsorgliche Art bereits sehr ans Herz gewachsen. In Form von Connor Rhodes wird Will nun ein Kollege zur Seite gestellt, der ihm in gewissen Bereichen sicherlich sehr ähnlich ist, was natürlich auch sofort einen Konkurrenzkampf zu Tage fördert. So lange sich dieser Konkurrenzkampf nicht auf nervige Art und Weise in den Mittelpunkt der Serie manövriert oder in einem Liebesdreieck gipfelt, kann ich gut damit leben, vor allem wenn man darauf abzielt, dass die beiden jungen "Alphatiere" sich nun arrangieren müssen und dabei feststellen, dass sie gar nicht so verschieden sind. Ich hoffe ja, dass sich hier so etwas wie eine Matthew Casey/Kelly Severide-Beziehung bei "Chicago Fire" entwickelt, denn bis jetzt haben mir Will und Connor in ihren kurzen gemeinsamen Szenen sehr gut gefallen.

Während April Sexton in dieser Folge eher vernachlässigt wurde, trat eine andere Krankenschwester, Maggie, vermehrt in den Vordergrund. Maggies liebenswerte, sympathische Art hat mir sofort gefallen und ich hatte das Gefühl, dass sie so etwas wie die gute Fee in der Notfallabteilung ist. So passte es auch wahnsinnig gut, dass man Christopher Herrmann, der für mich in "Chicago Fire" eine ähnliche Rolle einnimmt, bei seinem Gastauftritt auf Maggie Lockwood treffen ließ und dabei einmal mehr betont, dass man auch bei der neuen Serie im "Chicago"-Universum in Bezug auf die Charaktere das gleiche Ziel verfolgt wie bei den bereits bestehenden. Auch Oliver Platt als Dr. Daniel Charles wusste in dieser Folge zu überzeugen, etwas was er schon in den kurzen von ihm bestrittenen Auftritten in den anderen beiden Serien bewiesen hat. Bei seinem Charakter wurde aber in dieser Pilotfolge schöne Charakterarbeit betrieben und es wird einem bewusst, wie sehr ihm doch seine Patienten am Herzen liegen und wie viel er auch von seinem Privatleben in seine Arbeit investiert. Sicherlich handelt es sich hier bei Jamie um einen Spezialfall, doch sagt er trotzdem viel über die Arbeitsweise von Dr. Charles aus, die mir bis jetzt sehr gut gefällt. Seine Fähigkeit zuzuhören und Sachen zu erkennen, die sein "Patient" gar nicht direkt ausgesprochen hat, ist mir schon in seinen Gesprächen mit Erin Lindsay in "Chicago PD" aufgefallen und gefällt mir sehr gut, genauso wie einige seiner sarkastischen Bemerkungen, die in dieser Pilotfolge vor allem im Zusammenhang mit Connor Rhodes gefallen sind.

Neu kennengelernt haben wir auch die Praktikantin Sarah Reese und den Arzt Ethan Choi. Während erstere für den weiteren Storyverlauf doch sehr viel Potential verspricht, vor allem im Bezug auf die Angst plötzlich auf "echte" Menschen losgelassen zu werden, wurde der Charakter Ethan Choi eigentlich noch gar nicht vertieft und man kann ihn dadurch kaum beurteilen. Da man in der Pilotfolge aber nicht jedem Charakter Zeit widmen kann, ist es völlig in Ordnung, dass man von Ethan Choi noch nicht so viel gesehen hat, denn ich gehe stark davon aus, dass man dies in den nächsten Folgen nachholen wird.

Zum Schluss möchte ich noch auf die Kinderärztin Nathalie Manning eingehen. Als ich gehört habe, dass Torrey DeVito für "Chicago Med" gecastet wurde, hatte ich da so meine Bedenken, denn bisher ist sie mir vor allem aus der Serie "One Tree Hill" bekannt und dort hat sie als unsympathische Nanny Carrie für Unruhe bei meinem absoluten Lieblingspaar Nathan und Haley Scott gesorgt. Nicht, dass Torrey DeVitto Nanny Carrie nicht gut gespielt hätte oder ich die Storyline grundsätzlich schlecht fand, doch hatte ich irgendwie bedenken, dass ich in ihr einfach nur diesen Charakter sehe und mich mit ihr als sympathische Kinderärztin überhaupt nicht anfreunden kann. Doch da habe ich mich glücklicherweise völlig geirrt. Torrey DeVitto hat es sofort geschafft, mir ihren Charakter Nathalie sympathisch, liebenswürdig und fürsorglich zu präsentieren, so dass ich die Szenen mit ihr richtiggehend genossen habe. Sie zeigt sowohl als Kinderärztin als auch als Kollegin viel Einfühlungsvermögen und beweist, aufgrund ihrer schwierigen privaten Situation, Stärke und Durchhaltevermögen. Doch lässt sie auch Schwäche zu, was die Szene, als sie das Bild ihres verstorbenen Ehemannes ansieht, schön aufzeigt. So hat mir die Schlussszene mit den drei Frauen dann auch sehr gut gefallen, denn diese beweist gut, dass auch im Krankenhaus von Chicago ein familiäres Klima herrscht, wieder etwas was stark an "Chicago Fire" erinnert.

Fazit

Bis jetzt hat die neue Serie im "Chicago"-Universum alles richtig gemacht. Das Rad wurde nicht neu erfunden, sondern es wurde auf die Stärken der beiden bestehenden Serien gesetzt, indem man die Charaktere sympathisch und liebenswürdig darstellt und die Fälle intensiv, emotional und actiongeladen präsentiert. Soweit wie möglich wurde bereits auch schöne Charakterarbeit betrieben, was ebenfalls eine Auszeichnung für die Serien von Dick Wolf ist. "Chicago Med" ist also definitiv eine Bereicherung in der Serienwelt und ich freue mich darauf, die Charaktere dieser Serie besser kennenzulernen und hoffe natürlich auf weitere Crossover mit "Chicago Fire" und "Chicago PD", die sich ja in allen Bereichen geradezu anbieten.

Maria Schoch - myFanbase

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