Review: #10.22 Schneller als das Schicksal?
"Chicago P.D." kann sehr spannende Finale, das ist ein Fakt. Doch Spannung alleine macht eine sehr, sehr gute Folge nicht aus. Dementsprechend hat der Abschluss der Jubiläumsstaffel ein ähnliches Schicksal wie #9.22 Zum Zerreißen gespannt ereilt. Gut, aber nicht gut genug, um gewisse Mängel in der Ausführung vergessen zu können.
Es war schon länger klar, dass die Geschichte rund um die Becks ihr Ende im Staffelfinale finden würde, weil Großvater Richard auf einen gefährlichen Plan als Rechtsextremist hinsteuerte. Doch alle weiteren Umstände waren völlig unklar, weswegen ich damit geplant habe, dass ein Großteil der Folge dann ausmacht, dass wir nach und nach rausfinden, was der Plan ist und wie er dann verhindert werden kann. "Chicago P.D." hat dann aber einen anderen Schwerpunkt gelegt. Dieser ist nicht grundsätzlich schlecht, denn er hat thematisch eigentlich alles rund gemacht, aber dennoch sehe ich vor allem eine verpasste Chance. Diese kranke Rassenideologie von Richard war als Thematik trotz der Schwere der Situation einfach eine Idee, die mich gereizt hat. Ich war gespannt, wie weit die Serie hier geht, was für ein Statement sie setzt und wie man darin eben für die Intelligence Unit etwas Persönliches involvieren kann, denn ein Finale ohne ein ehrlich bedrohtes Leben? Das wäre nichts. Stattdessen ist der Plan zwar irgendwann verraten worden, doch dann ging es gar nicht mehr darum, diesen zu verhindern, sondern stattdessen aufzuhalten, dass Richard seinen Enkel Callum in die Finger bekommt. Ich rätsle noch ein wenig, ob das wirklich charaktergerecht ist. Ich denke schon, dass gerade Menschen, die einen solchen Wert auf die reine Rasse legen, die eigene Erbfolge sehr hoch hängen, vor allem wenn sie darauf auch stolz sind. Doch gleichzeitig sind Extremisten ja oft einem vermeintlich größeren Ganzen verschrieben, hier wären es eben die Anschläge auf Schulen gewesen, die mehrheitlich von afroamerikanischen Schüler*innen besucht werden. Dementsprechend hätte ich Richard eher treuer seinem Plan gegenüber vermutet. So war es letztlich nicht. Auch wenn ich eher pro Terrorattacke war, also dass sie charakterlich besser gepasst hätte, ist Callum als Enkel sicherlich nicht völlig falsch, aber es ist doch verschenktes Potenzial.
Diese Fokussierung auf Callum hat aber wie gesagt vor allem das rund abgeschlossen, was Adam Ruzek so eng an diese Undercover-Ermittlung gebunden hat. Zwei Monate lang ist so viel Zeit für diesen Fall gefressen worden. Auch wenn in dem Job ohnehin flexible Arbeitszeiten gefordert sind, so haben alle Episoden darauf hingedeutet, dass die Ermittlungen Adam gemeinsame Zeit mit Makayla klauen. Wo er eben früher seine Undercover-Einsätze hatte und vielleicht noch an Kim Burgess gedacht hat, die aber eh aus demselben Job kommt und ihm nie in den Ohren gelegen hätte, so war er aber ansonsten ungebunden und frei. Mit Kind verändert sich die Perspektive automatisch und es war immer augenscheinlich, dass Adam so viel investiert hat, weil es bei den Becks Callum gab, ein unschuldiges Kind wie Makayla. Es war natürlich nicht nur Callum alleine, denn Adam hat auch zu Samantha eine Beziehung aufgebaut, aber speziell das Kind, das schon von der schrecklichen Ideologie des Großvaters berührt wird, war das Hauptargument. Deswegen hat Adam auch so versessen daran gearbeitet, für Mutter und Sohn die Immunität auszuhandeln. Denn er hat nicht mehr gesehen, was Samantha all die Jahre über für Verbrechen begangen hat, er hat ein Elternteil gesehen, das alles dafür tun würde, das eigene Kind zu schützen. Damit konnte er sich identifizieren. Dennoch fand ich es gut, dass so offen diskutiert wurde. Natürlich war vor allem Kevin Atwater nicht glücklich, dass Samantha ohne Strafe auskommen sollte, aber auch Kim hat sich nicht selbstverständlich auf Adams Seite geschlagen, nur weil sie jetzt wieder ein Paar sind. Dass Adam sich letztlich durchgesetzt hat, lag dann vor allem am Zeitfaktor, denn die Uhr tickte.
All diese Voraussetzungen haben die Episode dann natürlich sehr tragisch gemacht. Samantha hatte nur diesen einen Gedanken: Callum schützen. Adam hat den adaptiert, aber wen hat man da eigentlich geschützt? An der Stelle war es gut, dass wir Callum zuvor oft genug erlebt haben. Ja, wir haben ein Kind gesehen, das auffälliges Interesse an Waffen hat, aber wir haben auch ein Kind gesehen, das gespielt hat, das genau richtig naiv wirkte und das einfach unschuldig wirkte. Das macht es eben so schrecklich, dass auch in richtigen Kindern, die auch Kinder sein dürfen, Wurzeln geschlagen werden können, die eine fürchterliche Ernte mit sich bringen. Letztlich haben wir nur einen ganz kleinen Teil gesehen, aber die Episode hat deutlich gezeigt, was Richard alles angerichtet hat. Adam hatte zwar nicht die falsche Hautfarbe, aber es hat dennoch gereicht, dass Callum so angestachelt werden konnte, um ihn anzuschießen. Das war kein kleiner Fehler oder Überforderung mit der Waffe (Callum ist schließlich ausgebildet worden), das war tatsächlich bewusst abgedrückt. Natürlich kann ein solcher Junge die Konsequenzen nicht begreifen und überblicken, aber das ist auch egal, denn er hat eben abgedrückt und damit eventuell ein Leben ausgelöscht. Hiernach war es etwas schade, dass wir Callum nicht mit seiner Mutter erlebt haben. War er die ganze Zeit cool? Was hat Samantha mit ihm geredet? Das wäre so spannend gewesen! Stattdessen erleben wir ihn erst wieder unter der direkten Einflussnahme seines Großvaters und da hat es gar nicht mehr gewundert, dass er ihm brav alles nachgeplappert hat. Seine Reaktion auf den Tod von Richard wiederum war seltsam. Für ein Kind, vor allem mit dieser Bindung zu seinem Großvater, emotionslos. Richtig Gänsehaut bereitend war aber Callums Blick, als er realisiert hat, dass Kevin den tödlichen Schuss abgefeuert hat. Ausgerechnet jemand mit dieser doch so verhassten Hautfarbe. Das war schon grausam, aber vom Jungschauspieler gut gespielt.
Tja. Wenn solche Wurzeln einmal geschlagen sind, dann ist es nicht neu, dass diese nicht so einfach wegzukriegen sind. Das erlaubt natürlich die Frage, welcher Art von Menschen da eigentlich alles untergeordnet wurde? Das wiederum ist natürlich eine moralische Herausforderung, die ich wiederum sehr spannend gesetzt fand. Man hat es auch deutlich in den Gesichtern von Kim und Kevin gesehen und man hat es auch vorher daran gemerkt, das sich Kim schwer getan hat, ihr Versprechen an Adam zu erfüllen. Wie kann man in einem Kind, das wissentlich den Abzug betätigt hat, noch das Kind sehen? Puh, schwere Frage. Wir alle kennen nicht den Mann, der Callum einmal werden wird. Für sein Rassen-Narrativ war Kevin als 'Mörder' seines Großvaters natürlich so gesehen perfekt, weil es alles weiter manifestiert, was er eingebläut bekommen hat, aber natürlich muss er nicht der Mann werden, der angelegt wurde. Zweifel kann man aber haben und vor dieser Herausforderung werden die Figuren und wir Zuschauer*innen gleichermaßen gestellt. Zu Samantha fällt mir da im Verhältnis gar nicht so viel ein. Ich glaube ihr, dass sie sich durch Callum gewandelt hat, aber dennoch muss sie eigentlich für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wird. Inwieweit ihr Deal nun wirklich noch Bestand hat, das wird sich auch erst noch zeigen müssen.
Nun bangen wir also um Adams Leben. Das hat mich nämlich auch sehr gestört. Nicht der Cliffhanger an sich, sondern dass es wirklich um Adam ab Minute 35 nicht mehr geht. Und selbst die finale Szene hat nicht mit ihm zu tun und zeigt stattdessen Hank Voight und Nina Chapman. Zwar sahen sie so angeschlagen aus, wie ich mich fühlte, aber wessen Idee war das denn? Das war eine seltsame Einstellung, um unter diese Staffel den Schlusspunkt zu setzen. Zwar war es interessant, dass Hank so viel daran gelegen hat, den Kontakt zu Nina wieder zu nutzen und das gleichberechtigt, aber letztlich war es für diese Episode so uninteressant und nichtssagend. Hier bin ich wirklich etwas sauer. Ansonsten war rund um Adam aber alles gut gelöst. Wie er seine Identität preisgegeben hat und damit selbst etwas gehadert hat, aber eben zurecht zu seiner Entscheidung stand. Wie er sich dann zu seinem Handy gerobbt hat. Diese Tragik, in der Kim zu lange nicht erkannt hat, was gerade am anderen Ende der Verbindung los ist und dann eben, wie zunächst Hank erscheint und dann Kim selbst. Die Parallelen zu ihrem eigenen Todeskampf am Ende von Staffel 8 waren schon sehr extrem, weswegen es auch gut passte, wie sie ihm alles erklärt hat, weil sie es eben selbst schon kennt. Die Parallele wurde aber dort aufgebrochen, wo Kim eben ihr Versprechen an Adam einlöste, während er einst im Krankenhaus an ihrer Seite komplett ausharrte. Dennoch insgesamt eine tolle Symbolik und perfekt zum Mitleiden.
Doch wird es Adam überleben? Ich habe tatsächlich bislang die größten Zweifel seit langem in "Chicago P.D.". Es ist aber auch fies, wenn man sich das gesamte OneChicago ansieht, wie viele langjährige Darsteller*innen wir da innerhalb von zwei Jahren verloren haben. Ich kann es verstehen, dass sie nach so langer Zeit eine neue Herausforderung suchen, also warum sollte auch Patrick John Flueger die nicht suchen wollen? Für die Figur und den gesamten Serienkontext würde es gerade gar nicht passen, denn gerade gab es erst das Happyend mit Kim. Er hat seine Familie, er hat sein Elternhaus übernommen. Aber auch Kim und Makayla sind beide zuletzt schwer traumatisiert worden, wie sollte das für sie weitergehen? Es passt wirklich vorne und hinten nicht, aber das macht es leider nicht unwahrscheinlicher. Dank des WGA-Streiks (den ich in der Sache absolut unterstütze!!!) werden wir auf die Antwort auch maximal lange warten dürfen. Ich habe immer wieder angesprochen, dass die Serie neuen Wind braucht, Dante Torres alleine reicht nicht, aber Adam dafür aufzugeben, erscheint mir nicht wie ein fairer Deal. Also müssen wir wohl ungeduldig ausharren und auf das Beste hoffen!
Fazit
"Chicago P.D." schließt die Jubiläumsstaffel spannend ab und entlässt uns in die sehr lange Pause mit einem fiesen Cliffhanger. Ich war aber überrascht über den Schwerpunkt der Episode und sehe auch eine verpasste Chance. Dennoch haben die Fragen rund um Callum Beck mich auch fasziniert. Das Ende des Drehbuchs wiederum war eine Unverschämtheit. Insgesamt also eine gute Unterhaltung für auch eine insgesamt gute zehnte Staffel.
Lena Donth – myFanbase
Die Serie "Chicago P.D." ansehen:
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Diskussion zu dieser Episode
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: A Better PlaceErstausstrahlung (US): 24.05.2023
Erstausstrahlung (DE): kein Termin
Erstausstrahlung (Pay-TV): 30.08.2023
Regie: Chad Saxton
Drehbuch: Gwen Sigan & Brian Luce
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