Review: #1.07 Bewegliche Ziele
Boyd Crowder und Raylan Givens sorgen wieder einmal durch ein einfaches Gespräch miteinander für Spannung und ganz spielerisch und nebenbei auch noch für die beste Szene der bisherigen Staffel.
Grundsatzfrage
Bevor ich mich aber den Aspekten widmen kann, die diese Folge sehenswert und auch nicht so sehenswert gemacht haben, muss ich zunächst auf eine kleine Nebensächlichkeit eingehen, die mir als Zuschauer bei dieser Folge ein wenig den Nerv geraubt hat. Es gibt nur zwei Serien, genauer gesagt, zwei Seriencharaktere, bei denen eine bestimmte Frage möglich ist und aus meiner Sicht auch irgendwie zum guten Ton gehört. Das wäre einerseits "White Collar" mit Neal Caffrey, andererseits eben "Justified" mit Raylan Givens. Die Frage schon erkannt? Richtig, wo war der verdammte Hut? Ich weiß, das ist ein kleines Detail und im Grunde dürfte es mich gar nicht stören, aber Raylan so ganz ohne Hut geht irgendwie nicht. Gar nicht.
Don't sit down
Ava muss scheinbar befürchten, umgebracht zu werden – wieder einmal. Und Raylan riskiert Kopf, Kragen und Karriere, um sie zu beschützen – wieder einmal. Ich werde aus den beiden ja nach wie vor nicht schlau und langsam glaube ich auch, dass nicht einmal Raylan selbst weiß, wie er zu Ava steht. Im Streit mit Art weiß er auf jeden Fall auf die Frage, ob er den Rest seines Lebens auf die junge Witwe aufpassen will, nicht so wirklich eine Antwort. Besagter Streit ist übrigens mit Sicherheit einer der Höhepunkt dieser Folge und zeigt das erste Mal, wie stark die Freundschaft zwischen Art und Raylan wirklich sein muss. Wie der Marshal seinen Kopf aus der Schlinge ziehen will, ist da weniger klar, was den Spannungsbogen der Staffel konstant straff hält.
Was bestimmt auch noch eine Rolle spielt, ist die Tatsache, dass sich Raylan auf nicht viele Menschen wirklich verlassen kann. Der Konflikt mit Sheriff Hunter Mosley zeigt das wohl am besten. Der Polizist ist bestimmt nicht von Haus aus ein schlechter Mensch, aber Korruption ist in dem Harlan, das uns "Justified" zeigt, nicht nur etwas, was man tut oder eben nicht, sondern vielmehr eine Überlebensstrategie. Johnny Crowder wäre ein anderes Beispiel. Obwohl ihm ein wenig das Charisma fehlt, das den Rest seiner Familie umgibt, zeigt sich doch, wie Gewalt und Machtspielchen auf mehreren Ebenen das Leben der ganzen Gegend bestimmen. Egal was man tut, die Schatten der Vergangenheit lassen dort anscheinend niemanden wirklich los und ich vermute, dass auch Raylan nur einen kleinen Vorgeschmack von dem bekommen hat, was Kentucky noch für ihn bereit hält. Ich wäre zugegebenermaßen auch ein wenig enttäuscht, wenn ein tollpatschiger Möchtegern-Auftragskiller und ein toter Ehemals-Auftragskiller das einzige gewesen sein sollten, was Raylan im Weg steht. Es geht ja immerhin um ein Drogen-Kartell, das es auf den Marshal abgesehen hat.
Motivations In Life
In der heutigen Serienlandschaft findet man kaum noch perfekte Szenen. Es gibt Momente, die einem den Atem rauben, es gibt Handlungsstränge, die einen zu Tränen rühren und Schauspieler, die man gerne als Zuschauer für ihre Leistung umarmen möchte. Aber Szenen, die von vorne bis hinten so stimmig sind und so dicht, dass man als Zuschauer sofort zurückspulen muss, weil man die Bilder immer wieder sehen möchte, die einem geboten werden, das ist selten. Und darüber muss man sich klar sein, um zu begreifen, welches Geschenk uns "Justified" mit dem Gespräch zwischen Boyd und Raylan gemacht hat.
Timothy Olyphant und Walton Goggins leisten mit ihrem ersten Gespräch im Gefängnis schon die Vorarbeit und laden bei ihrem zweiten Anlauf die Szene augenblicklich mit einer Atmosphäre auf, der man sich als normal denkender und fühlender Mensch nicht wirklich entziehen kann. Die Kamera fängt im richtigen Winkel die richtigen Blicke und die richtigen Worte, die Regie spielt mit Perspektivenwechseln wie mit den Charakteren. Dazu kommt ein Dialog, der uns zum ersten Mal nicht an Boyd Crowders aufrichtigem Interesse am Wohlbefinden seines Jugendfreundes zweifeln lässt und der gleichzeitig das Innenleben Raylans so eindeutig vor einem ausbreitet, dass man die Luft anhalten muss. Was so lange im Raum stand, wird hier offen ausgesprochen – Raylan ist in Summe das Produkt seiner Herkunft, seiner Wurzeln, vor denen er so unbedingt zu fliehen versucht und vor denen er sein Leben mit einzigartiger Obsession schützen möchte.
Trugschlüsse und Fehlentscheidungen sind vorprogrammiert, denn solange man einen wunden Punkt zum Kern seiner Motivation macht, kann man wohl kaum von ihm loskommen. Raylan scheint sich dessen bewusst zu sein und trotzdem keinen anderen Weg zu sehen, als eben den, auf dem er sich befindet. In diesem Sinne hält der Gefängnis-Dialog auch keine Erkenntnis für den Marshal bereit, außer vielleicht, dass er den nötigen Denkanstoß bekommt, der vonnöten ist, um Mosley zu durchschauen. Die Wahrheit, die in dem Moment steckt, ist eher für uns Zuschauer gedacht. Denn der "Blind Spot" von dem im Episodentitel die Rede ist, war bislang auch für das Publikum programmatisch. Es geht – und das glaube ich aus tiefster Überzeugung – bei "Justified" nicht um ein Ziel, das erreicht wird oder nicht. Vielmehr geht es um die Frage, ob der Weg, den man wählt, gerechtfertigt ist, oder nicht. Und ob die Motivation einer Handlung in irgendeiner Weise Absolution erteilen kann.
Fazit
Die Folge an sich war relativ spannend und relativ solide. Wenn man sich allerdings ansieht, was genau mit den Charakteren passiert und vor allem, was dieser Prozess mit einem als Zuschauer macht, dann könnte man fast davon ausgehen, dass diese Episode richtungsweisend war. Und da jetzt auch Bo Crowder ins Spiel zu kommen scheint, gehe ich davon aus, dass Harlan weiterhin eine Hauptrolle in der Serie spielt. Wenn es im Tonfall der Gefängnis-Szene weitergehen sollte, gebe ich mich auf jeden Fall geschlagen, dann bin ich restlos und vollkommen und vor allem auf ganzer Linie beeindruckt.
Eva Kügerl – myFanbase
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Informationen zur Episode
Englischer Titel: Blind SpotErstausstrahlung (US): 27.04.2010
Erstausstrahlung (DE): 21.04.2012
Regie: Michael Watkins
Drehbuch: Wendy Calhoun
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