Bewertung

Review: #1.10 Mike der Hammer

Foto: Joelle Carter, Justified - Copyright: Mark Seliger/FX
Joelle Carter, Justified
© Mark Seliger/FX

Diese Folge könnte als Musterbeispiel der Serie dienen. "Justified" überzeugt mit feiner Charakterzeichnung, perfekter schauspielerischer Leistung, einem gut durchdachten Plot und Humor, über den man eigentlich nicht lachen, sondern viel mehr weinen sollte.

Das Kreuz

#1.10 The Hammer überzeugt im Grunde schon mit der ersten Szene. Boyd Crowder hat offenbar seine Erfüllung darin gefunden, seine eigene kleine Gruppe Kleinkrimineller um sich zu scharen und seine eigene Kirche zu gründen. Ob er jetzt wirklich bekehrt wurde oder nicht, ist nach wie vor nicht wirklich klar, denn obwohl er viel von Gott und Heiligkeit spricht, hat er kaum etwas von seiner Kaltherzigkeit eingebüßt. Er bedroht nach wie vor Menschen, manipuliert und erpresst sie, mit dem Unterschied zu vorher, dass er jetzt den Haken vor dem Kreuz weglässt.

Man könnte zwar meinen, so etwas wie eine ehrliche Regung auf Boyds Gesicht zu entdecken, als er erkennt, dass er beim Anschlag auf ein Meth-Labor einen Menschen getötet hat, allerdings könnte das auch andere Ursachen haben. Angst vor Schwierigkeiten zum Beispiel, denn diese scheint er sowohl mit seiner Familie als auch mit dem Marshals Service zu haben.

Wieder einmal gilt, dass die Zukunft zeigen wird, was man genau von Boyd halten darf. Die Unsicherheit um die Position des Charakters ist ein relativ einzigartiger Knackpunkt in der Serienlandschaft. Denn obwohl man sich nicht wirklich auf den freigelassenen Sträfling einstellen und somit auch keine Wirkliche Bindung zu ihm aufbauen kann, ist man von dem Katz-und-Maus-Spiel nicht eine Minute lang genervt, im Gegenteil, man genießt es regelrecht. Das liegt zum einen sicherlich an der Art und Weise, wie Walton Goggins seinen Charakter angelegt hat, dass er ihn bis ins kleine Detail brillant zu spielen weiß, zum anderen hat es aber sicher auch etwas mit der Chemie zwischen ihm und Raylan Givens zu tun. Wenn die beiden zusammen im Bild sind, ist es für den Zuschauer so, als würde man bei der Jagd zusehen, ohne wirklich zu wissen, wer den Jäger und wer Beute ist. Raylan und Boyd inszenieren mit viel Fingerspitzengefühl eine ganz eigene Art von Verwirrspiel und dessen Bann kann man sich nur schwer entziehen.

Der Hammer

Eine ganz andere Art von Chemie entwickelt sich zwischen Raylan und seinem "Fall der Woche". Er soll einen Richter schützen, auf den ein Mordanschlag verübt wurde. Raylans Dienste sind dabei ausdrücklich erwünscht, der Richter sieht in ihm wohl so etwas wie einen Gleichgesinnten und diese Vermutung liegt im Grunde auch nahe. Der Richter bleibt relativ unbeirrt, wenn es um Gerechtigkeit geht und er hat kein Problem damit, eine Waffe zu zücken. Das sind Attribute, die man auch unserem Protagonisten ohne Zweifel zuschreiben kann.

Allerdings beweist diese Folge, was die zuvor schon angedeutet haben – Raylan ist ein besserer Mann als jene, die ihn mit sich auf einer Stufe sehen wollen. Wenn der Marshal schießt, geschieht das nicht leichtherzig und nie ohne zwingende Notwendigkeit, wie er uns schon in den vorigen Episoden bewiesen hat und dieses Mal sogar offen zugibt.

Er steht für seine Fehler ein und versucht so gut es geht Konsequenzen zu ziehen. Das funktioniert in den meisten Fällen ganz gut, wie auch hier mit dem Richter und dem ehemaligen Häftling, der diesem ans Leder will. Die Art und Weise wie Raylan die Situation zu schlichten weiß, ist relativ gefinkelt aufgezogen. Das ganze Setting kann sich einer gewissen Komik nicht verwehren und das Bild wird davon abgerundet, dass Virgil, der eigentliche "Böse" der Geschichte, vom Richter angeschossen wird, während er sich zu erklären versucht und ihm niemand wirklich zuhört. Die Ironie, dass man ihm auch als Zuschauer nicht zuhört, ist nicht von der Hand zu weisen und so entwickelt sich die Auflösung des Falles zu einer absurden Überzeichnung, die vermutlich nur dazu dienen sollte, Raylans Geisteshaltung klar zu machen, um sich leichter dem eigentlichen Problem widmen zu können.

Dass Boyd wieder frei herumläuft, macht Raylan nämlich schwer zu schaffen und als der Marshal davon erfährt, dass wegen seiner eigenen Fehler ein Mensch sterben musste, trifft ihn das härter, als ich es mir erwartet hätte. Ich kann mich nicht erinnern, Rylan zuvor so unsicher und hilflos gesehen zu haben, wie im Moment. Timothy Olyphant pulsiert geradezu in seiner Rolle und legt eine Stärke in Raylans verzweifelte Getriebenheit, die man ständig spürt, aber nie wirklich bemerkt. Das hört sich dramatisch an und vielleicht ist es das sogar wirklich, denn kaum eine andere Serie zwingt einen so sehr, zwischen den Zeilen zu lesen wie "Justified" und das in erster Linie über die Motivationen und Handlungen der Charaktere.

Es läuft also letzten Endes darauf hinaus, dass Raylan kaum etwas nicht tun würde, um Boyd hinter Gittern zu bringen, solange – und das ist der springende Punkt – es innerhalb der Grenzen passiert, die er sich setzt. Ein wenig zu drohen und mit möglichen Zeugen zu spielen ist eine Sache, eine Aussage zu verfälschen und damit die Wahrheit zu verdrehen, eine andere. Dass Raylan diese Grenze nicht überschreitet und seinen Akt am Drahtseil weiter durchzieht, obwohl er relativ leicht zu seinem Ziel kommen könnte, bewahrt die Integrität des Marshals und diese ist wiederum dafür verantwortlich, dass Raylan trotz aller verdrehten Handlungen und Einstellungen immer noch der eigentliche Held der Geschichte ist.

Das Herz

Dass kein Held ohne seine Herzdame auskommt, ist klar, aber wie jedes große Epos beginnt auch "Justfied" damit, Abkoppelungsmechanismen in Gang zu setzen. Ava darf im Grunde keine Rolle in Raylans Leben spielen, weil jeder Held seine Âventiure allein bestehen muss. Die Jungfrau ist gerettet und sobald man sie versorgt weiß, ist es an der Zeit, den nächsten Drachen zu töten. Wenn man sich ein wenig durch zwischenmenschliche Aspekte großer Geschichten liest, wird man immer wieder, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, auf diese Geschichte stoßen. "Justified" kopiert hier nicht, es ist auch nicht einfallslos, es ist schlichtweg ein bekanntes Werkzeug, um Charaktere dorthin zu bekommen, wo man sie haben will. Eine richtige Beziehung zu Ava würde auf lange Zeit gesehen zu kompliziert werden und verhindern, dass man der eigentlichen Geschichte genug Platz geben kann. Raylan ein wenig auf Distanz gehen zu lassen ist somit der richtige Schachzug und aus meiner Sicht sehr begrüßenswert.

Fazit

Wenn "Justified" eine Geschichte erzählt, kann man beinahe mit Sicherheit davon ausgehen, dass man uns eigentlich etwas anderes damit sagen möchte und wenn man dann noch einen Schritt weiter geht, eröffnen sich vage Aussichten, die alles an möglichen Entwicklungen plausibel machen, selbst wenn man ursprünglich nie damit gerechnet hätte. Durch die Vielschichtigkeit, die die Hauptcharaktere unter ihrer relativ überspitzt gezeigten Fassade aufweisen können, bleibt die Entdeckungslust aufrecht. Man weiß nicht, wo die Helden, wo die Bösewichte stehen und schon gar nicht, wie man als Zuschauer zu dem Ganzen steht. Die Serie spielt weiterhin in einer eigenen Liga. Und ich ziehe meinen Hut davor.

Eva Kügerl – my Fanbase

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