Bewertung

Review: #4.08 Der Geächtete

Foto: Timothy Olyphant, Justified - Copyright: Frank Ockenfels III/FX
Timothy Olyphant, Justified
© Frank Ockenfels III/FX

Besser spät als nie, so heißt ja das bekannte Sprichwort, und das dachten sich wohl die meisten Fans nach dieser fulminanten Episode von "Justified". Nachdem die bisherige Staffel, trotz zweifellos hohem Unterhaltungswert, viel zu sehr vor sich hindümpelte und die Storylines einfach nicht richtig in Fahrt kamen, präsentiert man uns nun mit #4.08 Outlaw die bislang stärkste Episode von Season 4. Der Strick aus Intrigen und Macht beginnt sich zuzuziehen, die tödlichen Mechanismen der Kriminalität treten in Kraft, und unser Protagonist muss zusätzlich mit einem einschneidenden Erlebnis fertigwerden: dem Tod des eigenen Vaters.

Raylans Beziehung zu Arlo ist immer einer der Grundpfeiler von "Justified" gewesen, denn es ist gerade in Abgrenzung zu seinem Vater, dem Kriminellen, dem Gesetzlosen, dass Raylan seine eigenen moralischen Grenzen absteckt. Sein Mantra ist ganz einfach: Leute wie seinen Vater hinter Gitter zu bringen. Das ambivalente Verhältnis von Raylan zu Arlo, den er zwar verabscheut, dessen Sohn er aber dennoch bleibt, war immer unwahrscheinlich faszinierend und ist größtenteils dafür verantwortlich, wieso Raylan überhaupt zu dem Mann wurde, der er ist. Die eigene Identität in konstanter Opposition zum Vater aufzubauen, verlangt eine enorme Willenskraft und Stärke, und es verlangt auch, eine gewisse emotionale Kälte an den Tag zu legen, um es zu ertragen, dass der eigene Vater einen nie akzeptieren wird. Dies wird ganz besonders zu Beginn der Episode deutlich, als Raylan Ex-Sheriff Mosley dazu bringen will, Drew Thompsons Identität preiszugeben, um Arlos Freilassung zu verhindern. "I like you better than [Arlo]", sagt Raylan zu Mosley, und das, obwohl Mosley ihn einmal fast umgebracht hätte.

Arlos bevorstehender Tod schwebt während dieser Folge über allem und führt dazu, dass Raylan noch angespannter ist, noch mehr am Rande des Wahnsinns steht als sonst. Timothy Olyphant liefert hier eine meisterhafte Leistung ab: die unterdrückten Gefühle, der Frust, die Wut, Trauer, Verwirrung, Enttäuschung, all das weiß er mit sehr subtilem Schauspiel zu vermitteln. So ist es eine enorm starke Szene, die sich da zwischen Raylan und Arlo am Krankenbett abspielt, in der Raylan ein allerletztes Mal versucht, irgendetwas von seinem Vater zu bekommen, irgendein Anzeichen der Akzeptanz, das sich Raylan durch Arlos Kooperation im Drew-Thompson-Fall erhofft: "Just... give me something […] Not for me, for your grandkids. They'll grow up with a chief deputy for a daddy, hear stories from their granddaddy who wasn't just a son of a bitch." Doch alles, was Arlo für seinen Sohn selbst in seiner Sterbestunde übrig hat, ist Ablehnung, und dies trifft Raylan tief, auch wenn er dies sich selbst oder seinen Kollegen gegenüber nicht eingestehen will. Als Art ihn nach Arlos Tod zwangsfreistellt, kochen all die unterdrückten Gefühle bei Raylan dann für einen Moment hoch, doch nur für einen Moment – und dann fasst er sich wieder. Wie Raylan da am Aufzug steht, innerlich brodelnd, ist sinnbildlich für seinen Gefühlszustand in der gesamten Episode.

Auch bei Boyd brodelt es auf seinen verschiedenen Brandherden, doch seine Cleverness und Skrupellosigkeit lassen ihn (zumindest vorläufig) als Gewinner vom Platz gehen. Duffy sitzt ihm im Nacken, weil er endlich Drew Thompson auf dem Silvertablett serviert haben will, während die reichen Männer von Clover Hill Frank Browning tot sehen wollen. Boyd aber, smart wie er ist, schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Er lässt Browning und Keener durch Duffys Männer umbringen und behauptet, einer von beiden sei Drew Thompson. Ein großartiger Schachzug, wäre da nicht Johnny, der Duffy darüber aufklärt, dass er von Boyd reingelegt wurde. Klar ist, dass Johnny ein immer wichtigerer Spieler im Gesamtgefüge wird, nicht nur, weil er Colts Geheimnis bezüglich Ellen May kennt, sondern auch, weil er nun den Freischuss auf Boyd erhalten hat und Duffy Thompson bringen soll. Doch auch wenn Johnny sicherlich guten Grund hat, seinen Cousin zu erschießen, so scheint es, dass irgendwie noch der letzte Stoß, das letzte Quentchen Hass fehlt, damit er diese Tat auch wirklich durchzieht. Oder?

Boyd läuft in dieser Episode mal wieder zur Höchstform auf. Die Coolness und das Selbstbewusstsein, die er gegenüber Duffy, gegenüber Nick Augustine oder gegenüber den herablassenden Clover-Hill-Männern an den Tag legt, sind einfach unnachahmlich und Walton Goggins verdient mal wieder größten Applaus. Ein absolutes Highlight ist das erneute Zusammentreffen zwischen Raylan, Boyd und Ava, bei dem sich die drei munter über Boyds und Avas Verlobung unterhalten und Boyd Raylan zu ihrer Hochzeit einlädt, während er gerade in Handschellen abgeführt werden soll. Auch Raylan ist in dieser Szene genial, ein erstes Mal als er (als ihr Ex-Liebhaber wohlgemerkt) Avas Männerwahl infrage stellt ("Is that an engagement ring? You know the definition of crazy, right? Keep doing the same thing over and over and expecting it to come out different?"), ein zweites Mal als er seine Autorität gegenüber dem vermeintlichen Polizisten klarstellt ("Did you just give me an order?") und ihn dann eiskalt erschießt. Definitiv ein weiteres Highlight ist Boyds Konfrontation mit den Clover-Hill-Männern, denn niemand, wirklich niemand, kann den Satz "Sit your white collar ass down!" mit derartiger Präsenz bringen wie Boyd.

Eigentlich müsste hier noch eine ganze Reihe an Highlights genannt werden: Shelbys aufrichtige Konversation mit Ellen May ("If you pretend to be something long enough, it's not pretending."), Raylans amüsanter Moment mit Eve Munro ("You still look like Ava Gardner."), das kurze Zusammentreffen zwischen Raylan und Shelby, Colts tödliches Intermezzo mit Mark (das zweifellos Tim in die Sache mitreinziehen wird), und und und... #4.08 Outlaw hat einfach alles richtig gemacht: Die Folge ist dramaturgisch, trotz der vielen Subplots, absolut überzeugend, sie bringt die Story weiter, sie treibt ihre Schauspieler zu Höchstleistungen an, sie fesselt und sie unterhält. Und so vereint diese Folge alle Stärken, die "Justified" ausmachen. Gerechtfertigt ist daher nur die volle Punktzahl.

Maria Gruber - myFanbase

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