Die besten Charaktere 2009/2010
Platz 9: Jack Shephard (Lost)

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"Lost" endet wie es beginnt, mit einem Blick auf Jack Shephard, wie er verletzt im Bambusfeld liegt, nur dass in der letzten Szene der Serie in #6.18 The End Jack nicht seine Augen öffnet, sondern für immer schließt. Ein Kreis schließt sich, eine Reise, die vor sechs Jahren am 22. September 2004 sowohl für die Passagiere des Fluges Oceanic 815, als auch den Zuschauer begonnen hat, endet. Und ebenso wie man die ersten Tage auf der mysteriösen Insel, die so viel mehr werden sollte als der bloße Ort des Geschehens, aus der Perspektive des Chirurgen Jack Shephard gesehen hat, kehrt man am Ende wieder zu diesem Blickwinkel zurück.

Man of Science? Man of Faith!

Dabei ist den Kreativen hinter der Kamera und Matthew Fox Außerordentliches gelungen, was noch vor Beginn der sechsten Staffel niemand für möglich gehalten hätte: Die Zuschauer wieder vollkommen auf Jacks Seite zu ziehen. Denn Jack war zwar über weite Strecken der Mittelpunkt des enormen Casts von "Lost", aber auch lange Zeit einer der unbeliebtesten Charaktere, vielleicht nur noch unterboten von der notorisch unentschlossenen Kate. Er hat es sicherlich auch nicht immer leicht gehabt, als Gegenpol zu solch spannenden Charakteren wie dem charismatischen John Locke, dem coolen Sawyer und dem faszinierenden Benjamin Linus zu fungieren. Naturgemäß haben es da die Figuren nicht leicht, die vergleichsweise normal und harmlos wirken, deren Hintergründe geprägt sind, von im Vergleich langweiligen Problemchen wie krankhafter Eifersucht, unverstandener Anerkennungssucht gegenüber dem Vater und dem daraus resultierenden, gestörten Selbstwertgefühl. Was ist das schon, im Vergleich zu Querschnittslähmung, weil vom eigenen Vater aus dem Fenster geschubst. Oder einem notorischen Betrüger auf dem Rachefeldzug (Mord inklusive) gegen den Mann, der den Vater dazu brachte, die Mutter und sich selbst zu erschießen, während man sich als kleiner Junge unterm Bett versteckt. Ganz zu schweigen von dem Mann, der einen Massenmord begangen hat, um seinem Papa eins auszuwischen.

Nein, Jacks Leben konnte damit nicht mithalten, dies hielt aber die Autoren nicht davon ab, dieses auszuleuchten wie kein anderes in der Serie. Da blieb keine Spur mehr von mysteriöser Unwissenheit, da waren alle Motive und Beweggründe klar. Irgendwann war der Zuschauer soweit, nur noch genervt die Augen zu verdrehen, wenn es auf eine Jack-zentrierte Episode zuging. Gepaart mit seinem sturen, unbelehrbaren Verhalten auf der Insel, was zwar immer unter guten Vorsätzen stand, meist aber genau das Gegenteil bewirkte, war Jack Shephard irgendwann auf dem Tiefpunkt angekommen. Mit seiner persönlichen großen Fehlentscheidung, den Frachter auf die Insel zu lassen, war der Niedergang des Charakters nicht mehr aufzuhalten. Aber Damon Lindelof und Carlton Cuse sind mit dem Ziel in die finale Staffel gegangen, den Zuschauer wieder für Jack zu gewinnen, und gemeinsam mit Matthew Fox ist ihnen dies auf ganzer Linie gelungen.

Beginnend mit seiner erdrückenden Schuld am Tode Juliets, durchlebt Jack eine charakterliche Entwicklung in dieser Staffel, wie kein Anderer in der Serie. Der Mann, der sonst immer mit allen Mitteln versucht hat, alles richtig zu machen und immer die logischen Entscheidungen zu treffen, beginnt zu erkennen, dass es oftmals besser ist, den Dingen seinen Lauf zu lassen. Es deutet sich schon in seinem Verhalten im Tempel und dessen Führer Dogen gegenüber an. Seine Aussage: "I don't trust myself. How am I supposed to trust you?" steht symptomatisch dafür, wie es in Jack aussieht. Er hat seinen Halt und seinen Glauben an sich selbst verloren, aber er gibt sich nicht auf. Er beginnt zu realisieren, dass er sich im Leben und besonders auf dieser Insel treiben lassen muss. Und spätestens nachdem er den Spiegel im Leuchtturm zerschlägt, symbolisch für die eigenen Fesseln, die er sich und seinen Überzeugungen auferlegt hat, ist Jack ein veränderter Mann. Er verinnerlicht die Dinge, die ihm John Locke zu Lebzeiten lehren wollte und versucht nun in diesem Sinne zu handeln. Er vertraut Hurley und dessen Urteil, er glaubt mittlerweile ohne Vorbehalte an Jacobs Regeln des Spieles, dass er als Kandidat nicht von eigener Hand sterben kann. In zwei atemberaubend beklemmenden Szenen beweist er dies. Zum einen, als er Richard Alperts Selbstmordversuch auf der Black Rock unterstützt und das Dynamit sogar selbst anzündet, im blinden Vertrauen, dass genau diese Tatsache den Sprengstoff am Explodieren hindern wird. Und dann noch einmal im U-Boot, als er verzweifelt versucht, Sawyer am Entschärfen der Bombe zu hindern, denn genau dies wird den Bann durchbrechen, der auf Smokeys Mordanschlägen auf die Kandidaten liegt. Die Ruhe und Überzeugung, die Jack mittlerweile ausstrahlt, erinnern dabei so stark an seinen ehemaligen Widersacher John Locke, dass es schon fast beängstigend ist.

So wird die Ehre und Würde, des mittlerweile schon anderthalb Staffeln von uns gegangenen John Locke durch Jack gewürdigt, und spätestens im Finale, als der Mann, der John Lockes Gesicht trägt, mit Jack gemeinsam in die Tiefe schaut, wie schon einmal zuvor, macht Jack unmissverständlich klar, wie nahe er Locke mittlerweile gekommen ist und wie sehr er deshalb Smokey verachtet. Zu diesem Zeitpunkt ist Jack schon kein Kandidat mehr, sondern offiziell Jacobs Nachfolger, das ist zwar die offensichtliche Wahl, wie Smokey süffisant anmerkt, aber dennoch eine konsequente. Und Jack übernimmt diese Aufgabe gefasst und voller Würde, mit der Ahnung, dass er diesen Job nicht lange wird ausführen können. Er ist der Mann, der bereitwillig die Verantwortung auf sich nimmt, die ihm von Anderen auferlegt wird. Der letztendlich Smokey besiegt, und dann sein eigenes Leben opfert, um das seiner Freunde zu retten. Der den richtigen Mann als dauerhaften Inselbewacher inthronisiert und danach zufrieden und glücklich stirbt, mit einem letzten Lächeln in Richtung des Flugzeuges, dass wegen ihm die Insel verlassen kann und treu bewacht von Vincent.

Auch in den Flashsideways überzeugt der Charakter Jacks auf ganzer Linie, er überwindet seine eigenen Vaterkomplexe dadurch, dass er selbst ein guter Vater für seinen Sohn wird. Er knüpft eine Verbindung zu dem mysteriösen Mann im Rollstuhl, den er gerade erst im Flugzeug kennen gelernt hat und ist ein in sich ausgeglichener Mensch. Man mag von der Auflösung der Flashsideways halten was man will, aber Jacks Entwicklung darin ist schlüssig und von zentraler Bedeutung für die komplette Staffel.

"Lost" hat sich in der vergangenen Season mit einer meiner Meinung nach alles andere als perfekten Staffel vom Zuschauer verabschiedet, und speziell die Auflösung der Sideways wurde kontrovers aufgenommen. Mit der Entwicklung und Charakterisierung Jacks hat man für mich aber in diesem Jahr alles richtig gemacht. Diese gehört zu meinen absoluten Highlights, nicht nur innerhalb von "Lost", und ist der Teil dieser Staffel, den ich ohne Abstriche als gelungen empfinde. Ich möchte dabei auch nicht verschweigen, dass die Aufnahme Jacks in unsere Liste der Top-Charaktere durchaus sehr kontrovers diskutiert wurde und es auch einige starke Gegenstimmen gab, speziell darauf bezogen, dass durch den absoluten Fokus auf Jack als Protagonist, andere Charaktere darunter gelitten haben, die wie Ben und Desmond viel zu lange aus dem Erzählfluss der Staffel verloren gingen. Aber ich halte dem entgegen, dass dies sicherlich ein berechtigter Kritikpunkt für die Staffel als Gesamtheit ist, die Errungenschaften in Bezug auf den Charakter aber nicht schmälern. Und die erste Emmy-Nominierung für Matthew Fox ist nun noch das Tüpfelchen auf dem i, denn er hat speziell im Finale eine wirklich grandiose Leistung vollbracht und braucht sich damit nicht hinter seinen Kollegen Terry O'Quinn und Michael Emerson zu verstecken.

Cindy Scholz - myFanbase

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