Review: #5.09 Halbwahrheiten

Gleichzeitig schreien und weinen! Das war eine dieser herzerreißenden Episoden, in denen der Zuschauer mehr weiß als die Figuren und hilflos mitansehen muss, wie sie einander verletzen. Dabei ist es einmal mehr beeindruckend, wie einfühlsam "Teen Wolf" mit dem Seelenleben von Teenagern umgeht. Die tonnenschwere Last eines schlechten Gewissens, Scham, Angst, der Zustand, in dem man schlicht und ergreifend nicht kann. Sich nicht mitteilen kann, Dinge nicht beim Namen nennen kann. Das gepaart mit dem jugendlichen Leichtsinn, selbst bei der Konfrontation Dinge nicht klar auszusprechen, weil das Gegenüber der beste Freund ist, mit dem man sich immer ohne Erklärungen verstanden hat, führt hier zu einer der besten "Teen Wolf"-Szenen überhaupt. Ein Dylan-Tyler-Moment, wie wir ihn so noch nicht gesehen haben.

"I came in like a Raeken ball!"

Selten waren Spaß- und Herzzerreißfaktor bei einer Mysteryserie mit Monstern gleichzeitig so himmelhoch, Liebe und Hass zu einer neuen Figur so dicht beieinander! Cody Christian tweete gestern vor der Episode ein Bild von sich bzw. Theo als Miley Cyrus reitend auf der Abrisskugel, und so ging ich mit einem herzlichen Lachen in die neue Episode, in der Theo wirklich als metaphorische Abrisskugel alles zerstört. Alles, was Scott in den ersten Minuten in seinem Voice-over darlegt, tut weh, tut richtig körperlich und seelisch weh. Hatte man in der vergangenen Episode noch einen Funken Hoffnung, dass Scott Theo gegenüber skeptisch geworden ist und sein Blick nicht nur von Qual sprach, so ist Theo hier derjenige, dem Scott sein Herz ausschüttet. Eigentlich nicht weit hergeholt, ist es doch meistens leichter, einem Außenstehenden sein Herz auszuschütten. Ausgesprochen interessant ist dabei, wenn Scott Theo gegenüber wirklich noch nicht misstrauisch geworden ist, dass er alles andere betreffend einen so erstaunlichen Durchblick hat. Was seine Freunde angeht, hat er genau erkannt, was zwischen ihnen geschieht, aber er weiß anscheinend wirklich nicht warum und auch nicht, wie er damit umgehen soll.

Dabei streift er einen wichtigen Aspekt: Das Selbstopfer in 3A, durch das die Dunkelheit überhaupt in ihren Herzen Einzug gehalten hat. Dabei stellt die kalte graue Darstellung der Schule in der Montage zu seinem jetzigen Voice-over einen krassen Gegensatz zu der warmen, hellen Atmosphäre aus dem 3A-Finale dar, als Scott im damaligen Voice-over Deaton erklärte, dass seine Freunde und er einander helfen, die Dunkelheit zu überwinden. Die Herausforderung war damals klar, die Dunkelheit ist von Dauer und war somit auch nicht in 3B plötzlich besiegt. Wir sehen jetzt, dass ohne den Zusammenhalt der Freunde auch weiterhin keine Chance gegen die Dunkelheit besteht. Dieser Einstieg in die Episode reißt einen förmlich in die Tiefe, genau so wie das Wasser in den Eisbädern über den Gesichtern von Stiles, Scott und Allison zusammengeschlagen ist. Wie Scott ringt man auch als Zuschauer um Atem, und was geschieht dann? Gibt Theo da wirklich den Heiratsschwur "In guten wie in schlechten Zeiten" zum Besten? In meinem Kopf röhrte Miley sofort los: "I came in like a wreeecking baaall!" Himmel, war das herrlich! Wann bekommt ein neuer Antagonist jemals so viele perfekte Szenen? So viele gute Dialogszenen mit allen wichtigen Figuren, so viele Gelegenheiten, Heldentaten zu vollbringen, Leben zu retten? Und gleichzeitig so viele Momente, die ihn als einen gerissenen Psychopathen entlarven. So viele, dass es nach wie vor viel zu einfach erscheint, wenn er am Ende wirklich nur ein Psychopath ist.

Sowohl Theo als auch Cody Christian glänzen in dieser Episode durch ihre schauspielerische Leistung! Wie Theo sowohl Scott als auch Sheriff Stilinski manipuliert und ihm bei seinen Schilderungen die Tränen kommen, war von Cody mitreißend dargestellt. Aber so perfekt Theo sein Netz aus Intrigen bisher gesponnen hat, so nehme ich an, hat er hier - ganz Sheriff Stilinskis Theorie folgend - seinen ersten Fehler gemacht: Er unterschätzt die Stilinskis. Um den Sheriff weichzukochen, tischt er ihm eine Lüge auf und zwar eine andere Lüge als die, die er Scott auftischt. Das wird sich rächen, wenn die Stilinskis sich endlich aussprechen!

"You're Scott McCall! You're the true alpha! Guess what all of us can't be true alphas!"

Erinnerte dieser gleichzeitig defensinve, verärgerte und enttäuschte Ausspruch von Stiles noch jemanden schmerzlich an den das verspielte "Why is it starting to feel like you're Batman and I'm Robin? I don't wanna be Robin all the time"? Es hat sich so viel verändert. Diese Kids haben so viel durchgemacht. Mama McCall hat Recht, wenn sie sagt, man kann ihnen nicht die Schuld daran geben, in diesen Horror hineingezogen worden zu sein, aber man kann auch nicht bestreiten, dass dieser Horror sie endgültig verändert hat. Und wie könnte das anders sein?

Hätte das kalte Händchen mein Herz beim Verfolgen der Konfrontation zwischen Scott und Stiles nicht fest im Griff gehabt, ich hätte sie angeschrien, einer solle endlich mal Tacheles reden. Warum erklärt Stiles, in Donovans Todesmoment sei es ihm um den Schutz seines Vaters gegangen? Weil es so ist. Hätte Donovan Stiles' Beine gefressen, wäre bei den Stilinskis kein gegenseitiges Aufpassen mehr möglich gewesen. Vor allem aber hätte Stiles sonst den Biss an seiner Schulter enthüllen müssen und die Angst lässt ihn dieses Geheimnis weiter hüten. Stiles kann nicht wissen, dass Theo ihn als wütenden Totschläger dargestellt hat, da er sich in seiner Selbstverurteilung schon ausgemalt hatte, dass Scott ihn fallenlassen wird. So spielt Scotts Reaktion natürlich voll in seine verzerrte Erwartungshaltung hinein. Und so ist es auch klar, dass Stiles sich nicht verteidigt, indem er Details darlegt. Er hat eh das Schlimmste erwartet.

Hier stehen zwei beste Freunde voreinander und verstehen sich einfach nicht. Klar, sie sind beide bis zum Anschlag manipuliert, und als Zuschauer kann ich meine Vorfreude auf die Auflösung dieses Knotens nur schwer im Zaum halten, aber die Ursache des Problems war hier nicht direkt Theos Manipulation, sondern Stiles' Unfähigkeit, sich Scott direkt anzuvertrauen. Stiles kämpft seit seiner Kindheit mit dem Gefühl, schuld am Tod seiner Mutter zu sein, er kämpft mit der Schuld an dem Chaos, das der Nogitsune angerichtet hat. Schuld am Tode Donovans zu sein, hat ihn völlig haltlos gemacht. Scott wiederum hat gelernt, dass er als True Alpha den meisten Wesen an mentaler Stärke überlegen sein sollte, aber ihm ist ganz klar, dass er das momentan nicht ist. Er ist genau so haltlos wie Stiles. Theo hat zu Anfang seines Auftauchens Scotts Rudel ausgecheckt, um die Schwachstelle zum Einhaken zu finden. Alles deutet im Moment darauf hin, dass er sie gefunden hat. Er weiß jedoch nicht, was wir wissen. Wie sagten Hayden und Liam: "What if I hurt you?" – "We'll get over it." Kids, stellt euch hinten an, dieses Motto gilt zu allererst für Scott und Stiles! Diese Bromance ist die größte Stärke von "Teen Wolf", Theo wird sich noch umschauen!

Wir hatten die großartigen Momente dieser Freundschaft in #3.06, als Scott verloren war und Stiles ihn auffing, und in #3.18, als Stiles verloren war und Scott ihn auffing. Scott war in #3.06 aufgrund von Eisenhut nicht er selbst. In #3.19 wiederum war Stiles nicht er selbst, als er unter dem Einfluss des Nogitsune Scott das Schwert in die Eingeweide rammte und ihn genüßlich quälte, indem er verspielt mit den Fingern das Schwert entlang trommelte. Scott nahm Stiles dies keine Sekunde übel, da er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte wusste, dass Stiles den Nogitsune nicht aufhalten konnte. In der neuen Situation sind sie beide verloren, keiner kann den anderen auffangen und sie sind beide sie selbst, kein übernatürlicher Einfluss – soweit wir wissen. Eine neue, ungeheuer ergreifende Situation zum Niederknien dargestellt von Dylan O'Brien und Tyler Posey. Was es bedeutet, wenn das zentrale Bruder-/ Freundespaar auch im wahren Leben unzertrennlich ist, wissen die "Supernatural"-Fans seit zehn Jahren zu schätzen. Dylan und Tyler sind viel jünger und ihre Leben sind nicht ganz so stark verknüpft wie das unserer beiden Lieblingstexaner, aber bedenkt man, wie Dylan und Tyler im wahren Leben mit dem Tod umgegangen sind, so berühren einen diese ergreifenden Szenen, die sich um Tod drehen, nochmal umso tiefer. Ich habe nicht geglaubt, dass das Gefühl aus den Dylan-Tyler-Momenten der dritten Staffel oder der Herzschmerz der beiden gigantischen Szenen des Selbstopfers und Allisons Tod nochmal erreicht werden kann. Aber spätestens, als Stiles' Stimme beim Appell an Scott brach, war es geschehen!

Ein ganz ganz entscheidender Moment aber geschah danach. Scott lässt Stiles draußen im Regen stehen, weil er jeden um jeden Preis retten will. Aber er lehnt es ab, Hayden in einen echten Werwolf zu verwandeln. Dieser Cliffhanger ist beinahe unerträglich und lässt mich erschaudern, wenn ich an nächste Woche denke. Da erwartet uns ein Cliffhanger, nach dem wir ein halbes Jahr warten müssen!

Randnotizen

• Danke Lydia, dass du dem Unfug ein Ende bereitest und Parrish die Wahrheit sagst! Neben ein paar niedlichen Szenen hat uns dies jedoch nicht sehr viel weiter gebracht, als dass wir nun wissen, dass Parrish vermutlich ein Wesen ist, das das Geheimnis um das Übernatürliche schützen soll. Dabei ist es allerdings langsam wirklich mal interessant, wer in Beacon Hills wovon Ahnung hat. Mrs. Martin reagierte auf Malias Augen ebenso besonnen wie Danny damals auf Ethans Offenbarung.
• In Mrs. Martins Unterricht ging es um die biologische Waffe Anthrax, mit der im Zweiten Weltkrieg Japaner Experimente durchgeführt haben sollen. Eine Verbindung zwischen den Doktoren und Noshikos Legende der "Wilden Jagd der Seelenjäger"?
• Das zarte Beziehungspflänzchen zwischen Liam und Hayden gedeiht und beginnt auch mir langsam das Herz zu wärmen. Liams durch Mark und Bein gehender Schrei hat mich endlich mal wieder erreicht!
• Weiß Mason eigentlich, was für ein Schatz er ist? Ist er im Moment der einzige aus dem erweiterten Inner Circle, der noch an Scott glaubt? Ihn sagen zu hören "He's trying to help more than most people would." war jedenfalls Balsam für die Seele.
• Objects in the mirror are closer than they appear. Bei Scotts Gespräch mit Theo, als Theo das Blaue vom Himmel runter log, sah man beide immer wieder in den Autospiegeln. Kennt Scott denn diese Warnung nicht? Die Dinge sind nicht, wie sie scheinen. Hofft noch jemand, dass Scott und Stiles Theo längst gemeinsam durchschaut haben und die Show vor der Tierklinik nur abgezogen haben, weil sie wussten, dass Theo innen lauscht? Ein wenig Hoffnung ist da, allein mir fehlt der Glaube.
• "Perigee syzygy" Ah ja! Kein Wunder, dass ich beinahe kein Wort von dem, was die Doktoren heute gefaselt haben, verstehen konnte. Es ging um Astronomie. Supermond, und so. Das Experiment zeigt anscheinend bei Supermond, ob die Doktoren sich endgültig einen neuen Job suchen sollten. An neuen Infos über sie haben wir diesmal lediglich erfahren, dass Theo anscheinend da weitermachen sollte, wo Wolverine im Staffelauftakt versagt hatte. Das Hindernis, also Scott, aus dem Weg zu räumen bzw. in Schach zu halten. Im Gegenzug versprachen sie ihm ein Rudel? Mensch, Theo, du hast wirklich an diese Zweckbeziehung geglaubt? Und jetzt weinst du, ach, das tut mir aber leid! Die perfekte Fassade bröckelt. Er ist verzweifelt. Ich bin sicher!
• Habt ihr einen Lieblingsdoc? Also meiner ist definitiv der mit dem gelben Monokel und dem Schwertstock. Wie der heute im Club erstmal was gegen den Alkoholkonsum Minderjähriger unternommen hat, fand ich phantastisch. Einem Nachtclubbesitzer, der Minderjährige für sich arbeiten lässt und als Code für seinen Safe 12 34 56 benutzt, muss man mal die Meinung geigen! Dennoch möchte ich einen Antrag einreichen: Liebes Rudel, bitte reißt den Doktoren beim Kampf das nächste Mal die Schläuche raus, anstatt euch die Fingerknöchel an ihren Stahlmasken wund zu schlagen.
• Warum um alles in der Welt ist Scotts Asthma zurück?

Fazit

Die Episode war im Rahmen dieser Staffel makellos. Im Vergleich zu anderen Staffeln fehlt mir der Humor und die Wärme, aber diese Staffel hat den bisher höchsten Anteil an Body Horror und steht 3B hinsichtlich der seelischen Belastung für die Charaktere in nichts nach. Humor und Wärme wären also abgesehen von den winzigen Momenten, die wir hier und da bekommen, fehl am Platze. Charakter- und Storyentwickelung, schauspielerische Leistung, Bildgestaltung, Emotionen, Action und Spannung waren auf den Punkt. Volle Punktzahl!

Nicole Oebel - myFanbase

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